
Für Pflegekräfte ist die Pandemie eine zusätzliche Belastung.
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Eine Milliarde Euro aus der Staatskasse sind für den Pflegebonus vorgesehen. Gezahlt werden soll er für "herausragende Leistungen". Somit können ihn alle Pflegekräfte für sich reklamieren. Trotzdem kriegen die einen mehr als die anderen. Die Prämie zeigt die Unmöglichkeit fairer Politik, die bezahlbar bleibt.
Eine Einmalzahlung für eine bestimmte Berufsgruppe in einem Koalitionsvertrag festzuhalten, ist eine absolute Seltenheit in der deutschen Politik. Die Ampel hat es getan in der erklärten Absicht, die "herausragende Leistung" von Pflegekräften in der Conona-Pandemie zu würdigen. "Der Bund wird hierfür eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Dazu werden wir die Steuerfreiheit des Pflegebonus auf 3000 Euro anheben", heißt es im Abkommen zwischen SPD, Grünen und FDP.
Seit der Unterzeichnung des Vertrags lastet auf der Prämie der Vorwurf eines PR-Coups, einen Betrag zu nennen, der die Öffentlichkeit staunen lässt. Trotzdem werden Zehntausende Beschäftigte des Gesundheitssystems leer ausgehen. Man darf davon ausgehen, dass alle für sich in Anspruch nehmen, eine herausragende Leistung vollbracht zu haben. Der angekündigte Steuerfreibetrag erweckte die Erwartung, sämtliche Begünstigte könnten mit 3000 Euro zusätzlich rechnen - ein unbezahlbares Ding der Unmöglichkeit, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach schon im Januar einkassiert hat.
Die Ampelparteien hatten den Bonus - richtig und nachvollziehbar - im Dezember ins Jahr 2022 verschoben. Sie wollten klären, wer warum zu den Auserwählten gehören wird, damit es nicht abermals zu einem herzlosen Gefeilsche kommt wie zu Zeiten der Großen Koalition. Seit dieser Woche ist bekannt: Die Milliarde soll jeweils zur Hälfte an Kliniken und Pflegeeinrichtungen gehen. Beschäftige der Altenpflege kriegen - nach momentanem Stand und ohne mögliche Länderbeteiligung - maximal 550 Euro. Eine Zahl der Begünstigten nennt die Koalition bisher nicht. Anders bei den Krankenhäusern: Hier sollen es rund 280.000 Pflegekräfte sein, den das Geschenk aus der Staatskasse gewährt werden soll.
Symbol für die Unmöglichkeit gerechter Politik
Wer genau wie viel bekommt, sollen die Krankenhäuser mit ihren Personalvertretungen klären. Einzige Vorgabe: Beschäftigte der Intensivstation sollen "einen höheren Bonus erhalten als Pflegekräfte in anderen Bereichen". Das beinhaltet einiges Konfliktpotenzial. Eine Milliarde ist ein Batzen Geld, mit dem Schulen, Brücken oder Museen saniert und Fahrradewege oder Obdachlosenheime gebaut werden könnten. Aber der Betrag reicht nicht, sämtlichen Pflegekräften einen Bonus in "nennenswerter Höhe" zu zahlen, wie es Lauterbach formulierte.
So wird ausgerechnet die gutgemeinte Prämie zum Symbol für die Unmöglichkeit gerechter Politik. Richtig machen können die Verantwortlichen nichts (mehr). Doch nun stelle man sich umgekehrt vor, alte und neue Regierung hätten den Bonus abmoderiert und erklärt: Geht uns nichts an, ist Sache der Arbeitgeber, sollen die die Kohle ausgeben - Deutschland würde ausflippen, die sozialen Medien heiß laufen. Was immer die Politik tut, sie kann nur enttäuschen.
Ein gravierendes Problem ist die emotionale Ebene. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen funktionieren nur in Teamarbeit. Fair ist es nicht, wenn die Beschäftigten einer Corona-Intensivstation tatsächlich 3000 Euro erhalten, während die Kollegen derselben Klinik im Stockwerk darunter, die Patienten mit Knochenbrüchen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen betreuen, weniger bekommen. Jede Wette, dass auch letztere trotz Corona-Gefahr über Monate Herausragendes geleistet haben. Wie soll hier eine plausible Grenze gezogen werden, die die Belegschaft als gerecht empfindet?
In Altenheimen sollen Beschäftigte in Verwaltung, Haustechnik, Küche, Wäscherei, Gebäudereinigung, Empfangs- und Sicherheitsdiensten, Garten- und Geländepflege, oder Logistik bis zu 370 Euro kriegen, wenn "mindestens 25 Prozent" ihrer Arbeitszeit "der direkten Pflege und Betreuung" zugutekommen. Es ist löblich, dass diese Menschen bedacht werden. Welche Reinigungs- und Küchenkraft eines Krankenhauses soll verstehen, dass sie - so muss man Lauterbachs Konzept deuten - leer ausgehen sollen, die Kolleginnen und Kollegen in Seniorenheimen aber etwas kriegen? Aber auch dort geht es nicht fair zu: Der Hausmeister bekommt weniger, obwohl er sich ebenfalls ständig dem Corona-Risiko ausgesetzt sah wie Pflegerinnen und Pfleger. Und wer soll die 25 Prozent Arbeitszeit ausrechnen?
Woher sollen die Milliarden kommen?
Der Deutsche Hausärzteverband verlangt staatliche Zusatzzahlungen an Fachangestellte in den Arztpraxen oder zumindest Steuerentlastungen. Das ist verständlich, da extrem viele Corona-Infizierte zuerst bei ihnen aufschlugen. Sie waren es, die sich mit renitenten Maskenverweigerern rumschlagen mussten und beschimpft oder gar geschlagen wurden. Aber für Zehntausende soll es keinen Bonus geben? Was ist mit der ambulanten Pflege und der Behindertenhilfe? Auch von Rettungssanitätern ist bisher nicht die Rede.
So etwas wie - gefühlte - Gerechtigkeit wird sich also nicht einstellen und auch niemals erreichbar sein. Man kann die Debatte sogar noch weiter aufbohren, wenn der Bonus so etwas wie Dank und nicht nur eine politische Maßnahme sein soll, die nach viel Geld klingt. Was ist mit Lehrkräften und Erzieherinnen, die jeden Tag ihr Bestes geben? Was ist mit Polizisten, die ausbaden müssen, was die gesamte Gesellschaft verzapft? Wie steht es um die Kassiererinnen in den Supermärkten, die tapfer - Delta hin, Omikron her - ihren Dienst verrichten? Wo bleibt der Bonus für DHL-Fahrer, die jeden Tag zig fremden Leuten gegenüberstehen? Was ist mit den Beschäftigten in Teststationen und Laboren?
Alle hätten eine Sonderzahlung verdient. Doch dann muss man sagen, woher die Milliarden kommen sollen. Tatsächlich gibt es Andeutungen aus der SPD, dass die eine Milliarde Euro aufgestockt werden soll, um mehr Beschäftigte des gesamten Gesundheitswesens beglücken zu können. Offenbar wird tatsächlich Steuerfreiheit für Prämien an Angestellte in Arztpraxen, Rettungs- und Laborkräfte diskutiert, die die Arbeitgeber zahlen sollen. Das kostet viele Millionen. Bei allem Mehr müssten Finanzminister Christian Lindner und seine Länderkollegen mitziehen.
Somit lautet das ernüchternde Fazit: Die Politik hat die Wahl zwischen sozialer Unzufriedenheit oder Staatsverschuldung. Beides ist ungut.
Quelle: ntv.de