Gaskraftwerke gegen DunkelflauteSie nennen es Strategie, es ist das Gegenteil

Nach dem Koalitionsausschuss loben Union und SPD ihre Beschlüsse, auch die nun geeinte Kraftwerksstrategie. Tatsächlich aber hat CDU-Wirtschaftsministerin Reiche mit ihrem Vorgehen die Energiewende bislang nur teurer und unsicherer gemacht.
"Voller Ideologie und ohne Pragmatismus" sei das Machwerk von Robert Habeck, ätzte Jens Spahn im Dezember. So begründete der heutige Vorsitzende der Unionsfraktion das damalige Nein zum Kraftwerkssicherheitsgesetz des grünen Wirtschaftsministers. Das aufwendig vorbereitete Papier war abstimmungsreif, nur fehlte es SPD und Grünen nach ihrem Zerwürfnis mit dem Koalitionspartner FDP an einer eigenen Mehrheit. Die Union verweigerte ihrer Zustimmung, berauscht von der Aussicht, binnen Wochen selbst das Land zu regieren. Nun hat die schwarz-rote Koalition ihre Kraftwerkstrategie beschlossen, im Dezember kommt sie mit einem Jahr Verzögerung in den Bundestag. Das Problem: Nichts ist in dieser wertvollen Zeit besser geworden, keines der von der Union proklamierten Ziele wurde erreicht.
Seit ihrem Wechsel von der Gaswirtschaft ins Wirtschaftsministerium predigt Bundesministerin Katherina Reiche ein wohlklingendes Mantra: Sie wolle die Energiewende günstiger und sicherer machen sowie die deutsche Wirtschaft mit wettbewerbsfähigeren Strompreisen stützen. Zu diesem Dreiklang, das machte Reiche von Beginn an deutlich, gehöre ein deutlich größerer Zubau von Gaskraftwerken, als es das Habeck'sche Gesetz vorgesehen hatte. Gaswerke mit einer Gesamtkapazität von 20 statt 12,5 Gigawatt (GW) sollten künftig bereitstehen für Wetterlagen, in denen nicht genügend Strom aus Solar- und Windkraft gewonnen werden kann. Und zwar ohne den Zwang, von Erdgas auf Wasserstoff (H2) umrüstbar zu sein. Der Jubel in der Energiewirtschaft war verhalten. Die mahnte vor allem zur Eile nach dem Scheitern im Dezember.
Nicht mehr, sondern weniger Gaskraftwerke genehmigt
Experten mahnten: Das sei erstens zu viel und zweitens werde Brüssel dem keine Genehmigung erteilen. Denn Gaskraftwerke, die nur bei Bedarf ans Netz gehen, rechnen sich nur mit staatlichen Zuschüssen an die Betreiber, weshalb die EU-Aufsicht mitredet. Lange hatten Habecks Gesandte auf Brüssel einwirken müssen und mit dem Beitrag der H2-bereiten Kraftwerke zur Dekarbonisierung argumentiert. Dieses Argument fiel bei Reiche weg. Die von ihr und der Union gepredigte Unsicherheit im Netz sah Brüssel so nicht. Ergebnis: Es kommen nun 10 GW, von denen nur 8 garantiert Gaskraftwerke sein sollen. Die übrigen 2 GW müssen technologieoffen ausgeschrieben werden, können also auch Batteriegroßspeicher sein.
Ausgerechnet die Union, die gerne und laut vor Stromausfällen wegen Dunkelflauten warnt, hat verhindert, dass die ersten Gaskraftwerke längst im Bau sind. Der Bedarf ist objektiv gegeben: Kohle verschwindet bedingt durch den CO2-Preis und das meist große Angebot günstiger erneuerbarer Energie schneller vom Markt als im deutschen Kohleausstieg vorgesehen. Der durch die Verzögerung gestiegene Zeitdruck dürfte die notwendigen Zuschusssummen erhöhen. Die Klimawende wird also erstmal teurer und ist mit mehr Unsicherheiten behaftet. Fairerweise sei gesagt: Reiche hatte das 20-Gigawatt-Ziel nicht in den Koalitionsvertrag verhandelt. Nach ihrem Wechsel aus der Gaswirtschaft hat sie es aber mit Verve verfolgt - und ist gescheitert.
Wo ist die Strategie?
Aus einem bedauerlichen Vorgang wird aber ein Alarmsignal, wenn man die Widersprüchlichkeit des Regierungshandelns betrachtet. Reiche will erkennbar der deutschen Gaswirtschaft und den Gasnetzen zum Überleben verhelfen. Dafür gibt es Argumente, doch eine Strategie ist nicht erkennbar. Langfristig werden die Netze - die ja auch Vermögenswerte von Kommunen und Ländern darstellen - nur einen Wert haben, wenn sie für Wasserstoff nutzbar werden. Potenzielle Wasserstoffproduzenten und -importeure stehen bereit, beklagen aber den fehlenden Nachfragemarkt. Es mag den marktwirtschaftlichen Überzeugungen der Union widersprechen, aber die Vorgabe von Wasserstoff-bereiten Gaskraftwerken hätte ebendiese Nachfrage schaffen sollen.
Reiche hat im Haushalt 2026 eine deutliche Erhöhung der Fördermittel für den Wasserstoffhochlauf durchgesetzt. Im selben Atemzug auch die Nachfrage anzuschieben, wäre konsequent gewesen. Zugleich kommt ihr Haus nicht voran, wie in einer Übergangszeit auch andere Wasserstoffderivate als nur aus Wind und Sonne gewonnene Moleküle eingesetzt werden könnten. Derweil bleiben Maßnahmen liegen, die das Netz schon jetzt stabiler machen könnten: Projektierer beklagen zahlreiche auf Halde liegende Netzanschluss-Anträge für Großbatterie-Speicher. Die Branche fühlt sich zunehmend unerwünscht
Katherina Reiche ist bisher sehr gut darin, Ziele zu formulieren und das Wirken ihres Amtsvorgängers zu tadeln. Nach einem halben Jahr im Amt ist aber jede Schonfrist vorbei. Ministerin und Union sollten allmählich den Beweis erbringen, eine sinnvollere Energiepolitik als der von ihnen so oft und heftig gescholtene Habeck zu machen.