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Verbot von Veggie-Wurst Union macht Kulturkampf für Blöde und die Agrarlobby

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Das große Fressen: CSU-Chef Söder zeigt sich unter dem Hashtag #Soederisst im Netz. Fleischlos sind da nur die Desserts.

Das große Fressen: CSU-Chef Söder zeigt sich unter dem Hashtag #Soederisst im Netz. Fleischlos sind da nur die Desserts.

(Foto: picture alliance / dts-Agentur)

Hält die Union Verbraucher für dumm? Eine angebliche Verwechslungsgefahr muss als Argument herhalten für ein Verbot, Fleischersatzprodukte als Schnitzel, Wurst und Burger zu verkaufen. CDU und CSU unterstützen ein entsprechendes EU-Gesetz - getrieben von der Agrarlobby und billigem Kalkül.

Der Bundeskanzler wusste, was er zu sagen hatte: "Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan", beantwortete Friedrich Merz pflichtschuldig die Frage von Caren Miosga. Die ARD-Journalistin hatte des Kanzlers Meinung wissen wollen zu einem möglichen EU-Verbot, pflanzliche Produkte als Wurst, Burger oder Schnitzel zu bezeichnen. Dem Menschen Merz dürfte das Thema herzlich egal sein. Dem CDU-Vorsitzenden Merz darf es nicht egal sein, denn bei Fragen der Agrarpolitik gilt für CDU und CSU: "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing". Wenn jenes Lied auch noch Kulturkampf-Töne anschlägt, grölt man umso beherzter mit: Populäre Meinungen zu bestätigen und zu bestärken, verspricht Wählerstimmen, und seien diese Meinungen noch so dämlich. Die alte Leier von der bösen Veggie-Wurst hat in diesem Sinne Ballermann-Qualität.

Dreieinhalb Jahre lang hat sich die Union am vermeintlichen Verbotsfetisch des grünen Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir abgearbeitet und stattdessen dem freien Markt sowie dem mündigen Verbraucher das Wort geredet. Gegen eine verbots- und regulierungswütige EU zu ätzen, ist ebenfalls fest eingeübt. Alles hohle Phrasen! Das zeigt sich an der Unterstützung von CDU und CSU für das im EU-Parlament am Mittwoch zur Abstimmung stehende Verbotsgesetz. In paternalistischer Manier geben sich Lobby-Verbände und Union besorgt, Verbraucher könnten "verwirrt" werden, wenn vegetarische oder vegane Fleisch-Ersatzprodukte mit dem Namen Wurst, Schnitzel, Steak oder Burger verkauft werden.

Eine Industrie kämpft um ihr Geschäft

Das Argument ist an den Haaren herbeigezogen: Schon das Verpackungsdesign und der oft deutlich höhere Preis pflanzlicher Produkte sprechen gegen eine Verwechslungsgefahr. Die meisten Lebensmittelhändler sortieren Veggie-Produkte zudem in gesonderten Regalen ein. Vergiftungsgefahr ist ebenfalls nicht gegeben, höchstens ein angenehmer Überraschungseffekt: Fertig-Schnitzel, Nuggets, Hack oder etwa Lyoner-Wurst sind dem fleischlichen Vorbild in Geschmack und Textur inzwischen so ähnlich, dass noch mehr Verbraucher ins Grübeln kommen könnten: Braucht jedes Pausenbrot, jeder Snack und jede Bolognese-Sauce ein totes Tier? Das zudem CO2-intensiv ist und so viel mehr Grundwasser und Landwirtschaftsfläche verbraucht, als Käse oder eben pflanzliche Produkte?

Der Marktanteil von Fleischersatzprodukten ist immer noch niedrig, wächst aber stabil. Der Fleischkonsum sinkt derweil in Deutschland, auch weil gesunde Ernährung immer populärer wird. Wie sehr die großen Fleisch- und Milchproduzenten um ihr Geschäft bangen, hat schon das EU-weite Verbot für pflanzliche Milch gezeigt. Unter anderem unterstützt von CDU- und CSU dürfen Hafer-, Soja- und Mandelmilch seit 2013 und verschärft seit 2020 nach außen nicht den Eindruck erwecken, Milch zu sein. Der Begriff Sonnenmilch ist aber ok. So dumm scheinen die Menschen dann auch wieder nicht zu sein - trotz der deutlich riskanteren Folgen einer Verwechslung.

Verpflichtende CO2-Ausweise auf Lebensmitteln lehnt die Union derweil ab. Mündige Verbraucher sollen gefälligst selbst herausfinden, dass ein Liter Kuhmilch mindestens so viel Wasser und CO2 verbraucht wie etwa 15 Liter Haferdrink. Wer übrigens diesen Anglizismus furchtbar findet, möge dies dem Lager der angeblichen Traditionalisten aus Landwirtschaft und Politik vortragen.

Fleisch als Kulturkampfvehikel

Natürlich unterstützt auch Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer das Verbot des Labels Wurst, Burger, Steak und Schnitzel für vegetarische und vegane Produkte. Rainer war von CSU-Chef Markus Döner - Entschuldigung: Söder! - ins Amt befördert worden, weil Bayerns oberster Agrar-Lobbyist Günther Felßner kurzfristig auf den Jobwechsel verzichtet hat. Metzgermeister Rainer wiederum begründet das Namensverbot mit seiner Sorge um die vom Traditionshandwerk erarbeitete Reputation deutscher Wurst und anderer Fleischprodukte. Kurios: Wenn etwas diesen Ruf gefährdet, sind es doch wohl Billigwurst und Billigfleisch. Fertigschnitzel der Haltungsklasse zwei etwa für unter einen Euro sind, man kann es nicht anders nennen, Abfall - sowohl geschmacklich als auch im Nährwert.

Wer es ehrlich gut meint mit Geringverdienern, schützt diese aktiv vor schlechter Ernährung mit vermeintlich billigen Tierqual-Produkten. Diese zahlen nur auf das Konto fragwürdiger Landwirte ein, nicht auf den guten Ruf der deutschen Wurst. Doch schon ein Blick auf den Instagram-Account von CSU-Chef Söder zeigt: Wurst und Fleisch sind derzeit liebstes Kulturkampf-Vehikel der mit der Agrarlobby so eng verquickten Union. Das intellektuelle Flachschwimmen mit heuchlerischen Argumenten verspricht kurzfristig ja auch tatsächlich Erfolg. Viele Menschen wählen offenbar diejenigen Parteien, die ihnen am meisten Angst vor einem Wurst- und Fleischverbot einjagen. Dass Stolz und Identität vieler Bundesbürger derart fragil an der Bratwurst hängen, macht indes betroffen.

Quelle: ntv.de

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