Linke und Rechte im Verbund Warum der deutsche Antiamerikanismus brandgefährlich ist


Links- oder Rechtsradikale? Der Slogan allein gibt hier keinen Hinweis.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Verachtung der USA als Hort des Bösen ist eine der wenigen Erscheinungen, die Ost- und Westdeutsche, Links- und Rechtsradikale seit eh und je verbindet. Aber die Bundesrepublik sollte es sich besser nicht mit Amerika verscherzen.
Spätestens seit der zur Friedensdemonstration verklärten prorussischen Kundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer vor dem Brandenburger Tor wird gerätselt, was Menschen aus dem weit links und weit rechts stehenden Spektrum verbindet. Ganz einfach: Es ist der Antiamerikanismus. All diese Leute sehen in den USA schlechthin Quelle und Hort des Bösen. Sie sind deshalb bereit, das inzwischen außenpolitisch weitaus aggressivere Russland oder "die Palästinenser" als Opfer der Missetäter im Weißen Haus zu betrachten und in Schutz zu nehmen, was stets mit einer Relativierung der Verbrechen Putins oder der Hamas einhergeht.
Bei dieser Täter-Opfer-Umkehr wird unter Verweis auf die Vergangenheit verschleiert, dass die Geschichte eine Vorgeschichte hatte. Die Pointe ist immer dieselbe: Die Amis sind schuld. An allem. Denn sie sind imperialistisch, kriegslüstern, verlogen, hegemonial, kurzum: der fiese Weltpolizist. Und im Übrigen sind US-Bürger erzkapitalistisch, konsum- und geldgeil, dekadent, bigott, impertinent, stil- und kulturlos. Von linker Seite kommt noch rassistisch hinzu, von rechter woke.
Jeder dieser Vorwürfe hat in Vergangenheit und/oder Gegenwart eine gewisse Berechtigung. US-Regierungen haben Hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen, auch krasse Fehler in der Außenpolitik begangen. Die Mär von den angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak, mit der die USA vor 20 Jahren ihren Angriff auf das Land begründete, diente einem Bruch des Völkerrechts mit verheerenden Folgen in der Region bis heute. Aber warum sind Russlands und Chinas ewige Lügen und ihr imperiales Streben so viel besser und tolerierbar? Warum darf China ohne Kritik von scharf links und weit rechts anstreben, die machtpolitische Nummer eins in der Welt zu werden? Die Antwort ist simpel: weil es sich gegen die USA richtet.
"Der Amerikaner"
Dass die Vereinigten Staaten seit Ewigkeiten für technischen und medizinischen Fortschritt stehen sowie - im Gegensatz zu Russland - seit zig Jahren keinen Krieg mehr angezettelt haben und sich militärisch möglichst raushalten, interessiert dabei nicht. Wie so oft in diesen Zeiten, wird ignoriert, was nicht ins Weltbild passt. Dafür wird umso mehr orakelt und - ungeachtet des Offenkundigen - theoretisiert, gerne verschwörungswild und nebulös. So wie der frühere Trigema-Chef Wolfgang Grupp, der das Weiße Haus und das Pentagon als geheimen Strippenzieher für den russischen Angriff auf die Ukraine sieht: "Ich behaupte, dass der Amerikaner im Hintergrund alles steuert, damit er alleine eine Weltmacht bleibt." Was für ein Unsinn.
Auch Grupp hat offenkundig nicht mitbekommen, dass Donald Trump und seine republikanische Partei - unterstützt von großen Teilen der US-Bevölkerung - einen konsequent protektionistischen Amerika-zuerst-Kurs angestoßen haben. Die USA sind dabei, ihr Land außenpolitisch neu zu justieren. Geht es nach Trump, dann geht es auch ohne NATO und UN-Organisationen. Aber auch die Demokraten sind längst nicht mehr erpicht darauf, die Probleme der Europäer zu lösen. Das ist vor allem gefährlich für Deutschland, das nicht in der Lage ist, seine Armee mit genügend und obendrein funktionsfähigen Waffen auszustatten, sodass es im Verteidigungsfall gerüstet wäre.
Für die USA gilt unter ihren Verächtern nicht das, was bei der Betrachtung der Sowjetunion respektive Russland herangezogen wird: die Vorgeschichte der Geschichte. Außen vorgelassen wird, dass Amerika geholfen hat, Deutschland und den Rest Europas von einem größenwahnsinnigen Diktator zu befreien und den Holocaust zu beenden, aber auch, dass es im Kalten Krieg als Schutzmacht gerade für die Bundesrepublik agierte. Dankbarkeit war gestern. Oder sie gilt bevorzugt der Roten Armee, wobei großzügig übersehen wird, dass die Sowjetunion ohne Hilfe aus den USA - Geld, Nahrung, Rohstoffe und Waffen - gegen Hitlers Wehrmacht weitaus schlechter dagestanden hätte. Unter Putin-Verteidigern fängt die Vorgeschichte der Geschichte erst ab dem Vietnam-Krieg an.
Vom Antiamerikanismus zur Russlandliebe
Aus Sicht der Kreml-Apologeten greifen die Amerikaner inzwischen auf eine raffinierte Schlachtführung zurück, bei der sie selbst ihre Soldaten verschonen und die - jedenfalls unter "Schlafschafen" - weniger auffällt: den sogenannten Stellvertreterkrieg. Das heißt, die Ukraine kämpft angeblich auf ihrem Territorium in Wahrheit nicht für ihre Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie, sondern dafür, dass die Bösewichte im Weißen Haus die Weltmacht Nummer eins bleiben und die düsteren Geldgeber im stockdunklen Hintergrund wie die Dummen daran verdienen. Folgt in dem Kontext ein Verweis auf "die Rothschilds" oder George Soros, ist es fertig, das antisemitische Querfront-Gebräu.
Der Antiamerikanismus ist eine der wenigen Erscheinungen, die Ost- und Westdeutsche seit eh und je verbindet. Generationen zwischen Sylt und Alpenrand, Rügen und Erzgebirge sahen und sehen in den USA den imperialistischen und zu jeder Schandtat bereiten Imperator, gegen den Darth Vader ein Kandidat auf den Friedensnobelpreis ist. Wagenknecht fragt, wie wohl die Vereinigten Staaten reagieren würden, wenn in 150 Kilometer Entfernung von Washington russische Raketen stationiert würden. Das klingt, als hätten die Dinger eine maximale Reichweite von 150 Kilometern, als würde der Kreml dem Westen, auch Deutschland, nicht Woche für Woche mit Kernwaffen drohen und seinen atomaren Langstreckenraketen auf den Putz hauen.
Björn Höcke, ein Rechtsextremist und Relativierer der Nazi-Verbrechen, glaubt: "Wenn Europa Frieden will, müssen wir uns von den Amerikanern lösen. Die Interessen Amerikas sind nicht die Interessen Europas." Das kann man nur so sehen, wenn man Gewalt, auch militärische, als Mittel zur territorialen Expansion und Machtsicherung akzeptiert, die universellen Menschenrechte für genauso verzichtbar hält wie Minderheitenrechte sowie die Zukunft Deutschlands im Nationalstaat und der Abschottung sieht. Die Alternative zu den Vereinigten Staaten kann nach Meinung Höckes natürlich nur Russland sein. Zwischen Putins Diktatur und der Bundesrepublik könnte es so schön sein, glaubt Höcke, wären da nicht die Amis, die die Deutschen angeblich als willfährige "Stiefelknechte" missbrauchten.
Wo Höcke und Lafontaine einer Meinung sind
Auch mit seiner Einschätzung der NATO als "vermeintlichen Schutzschirm eines fernen Hegemons", also die USA, ist Höcke ganz nah an Wagenknecht und nicht weit von der Ideologie der Reichsbürger entfernt, die die Bundesrepublik als nicht souveränes Land betrachten. Es verwundert nicht, dass auf Höckes Kundgebungen immer wieder der Ruf "Ami go home" erklingt - aber auch nicht, dass Lafontaines jüngstes Buch den Titel "Ami, it's time to go" trägt.
Deutschland mit seiner schwachbrüstigen Armee sollte es sich genau überlegen, ob es die Amerikaner verjagen will. Die USA bieten den Schutz, den wir uns nicht leisten wollen und zu dem wir offenkundig nicht in der Lage sind. Bisher konnte sich die Bundesrepublik hinter den breiten Schultern des kraftstrotzenden Amerikas verstecken und dabei sogar die Staatskasse schonen. Damit wäre Schluss, wenn wir Amerika als Bündnispartner verlören, was unter einem republikanischen Präsidenten der Marke Trump schneller wahr werden könnte, als gut für uns wäre.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit eines dritten Weltkriegs so groß wie seit der Kuba-Krise nicht. Länder wie Polen und die baltischen Staaten haben das erkannt. Deutsche hingegen kritisieren und verachten die USA - ausgerechnet das Land, das ihnen im schlimmsten Fall beispringen würde.
Quelle: ntv.de