Kommentare

Nach der Kundgebung in Berlin Wagenknecht und Schwarzer lassen zwei Fragen offen

1ec6d27e8583f3295ccf8b9c1150a5fd.jpg

Zentrale Forderung der Kundgebung war ein Ende der Waffenlieferungen. Unklar blieb, was dann mit der Ukraine passiert.

(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Artikel anhören
00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden

Die Mehrheit der Teilnehmer an der Kundgebung von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht hat vermutlich echte Ängste und legitime Positionen. Allerdings bleiben zwei Fragen unbeantwortet.

Zwei Fragen stellen sich aus Sicht eines Menschen, der nicht blind glaubt, was Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am Samstag von der Bühne hinter dem Brandenburger Tor verkündet haben.

Zunächst: Was geschieht mit der Ukraine, wenn der Westen seine Waffenlieferungen einstellt? Darauf gibt es mehrere mögliche Antworten: Es könnte sein, dass Schwarzer und Wagenknecht die Ukraine egal ist. Das klang in ihren Reden sehr deutlich an, denn über das von Russland überfallene Land wurde auf ihrer Kundgebung so gut wie gar nicht als handelndes Subjekt gesprochen, sondern vor allem als Opfer - der USA. Der Täter Russland blieb an den entscheidenden Stellen unerwähnt.

So sagte Schwarzer, es gebe "Tote, vergewaltigte Frauen, traumatisierte Kinder, eine schwere Erschütterung Europas, eine ökonomische Krise, ganz zu schweigen von der Lage des Globalen Südens". Sie sagte nicht, wer für die Toten und die Vergewaltigungen verantwortlich ist. Ein bewusstes Versäumnis? Das Ausblenden einer unangenehmen Wahrheit?

Niemand ist so richtig verantwortlich

Vom Krieg sprach Schwarzer als "Gipfel des Männlichkeitswahns", als handele es sich um eine Naturkatastrophe, für die niemand so richtig verantwortlich ist. Es mag Kriege geben, die so anfangen. Dieser Krieg jedoch hat einen klaren Urheber: Putin hat den Überfall auf die Ukraine befohlen. Er lässt seine Soldaten dort töten, vergewaltigen, Kinder verschleppen.

Wagenknecht dagegen zeichnete die Ukraine als Land, das nicht wert ist, unterstützt zu werden: "Der ukrainische Oligarchenkapitalismus, der genauso korrupt ist wie der russische, kämpft angeblich für unsere Freiheit und unsere Demokratie", sagte sie etwa. Aus dem Opfer machte sie einen Täter, denn natürlich fehlte in ihrer Rede nicht eine Anspielung auf die russische Legende, die Ukraine sei faschistisch.

Ein von Wagenknecht enthusiastisch angekündigtes Grußwort per Video verbreitete gar die Verschwörungstheorie, es habe in der Ukraine einen von den USA gelenkten "Staatsstreich" gegeben. Den Grüßenden beschrieb Wagenknecht als kompetenten Ex-Berater aller möglichen internationalen Organisationen. Sie verschwieg, dass dieser Mann auch in Propagandashows im russischen Fernsehen auftritt.

Wagenknecht glaubt an einen Putin, den es nicht gibt

Vielleicht ist das alles nur ein Missverständnis und die vorgebliche Empathie von Wagenknecht und Schwarzer für die Ukraine ist gar nicht geheuchelt, sondern echt. Dann bliebe die Frage, wie die Ukraine sich ohne Hilfe verteidigen soll. Von Wagenknecht und Schwarzer kam dazu nichts. Das Sterben müsse ein Ende haben, sagte Schwarzer nur. Wer wollte ihr da widersprechen?

Aber hätte das Sterben ein Ende, wenn die Waffenlieferungen aufhörten? Eine Antwort, die unter Teilnehmern der Demo gelegentlich zu hören war, lautete: Dann wird verhandelt. Das kann man glauben, man kann es sich einreden. Wahrscheinlicher ist, dass Putin die Ukraine komplett "entnazifizieren" und "entmilitarisieren" würde - unterwerfen oder vernichten.

Der blutigen Realität in der Ukraine zum Trotz gibt es in Wagenknechts Vorstellung keinen Putin, der so etwas tun würde. Mehrfach wurde in diesen Tagen an ihr Zitat von vor einem Jahr erinnert, auch hier. Sie sagte damals: "Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird. Nämlich ein durchgeknallter, russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben." Das Zitat ging noch weiter: Wenn das so wäre, sagte Wagenknecht vor einem Jahr bei Anne Will, dann wäre die Diplomatie hoffnungslos verloren. "Und ich möchte mir nicht ausmalen, wie lange Europa dann noch bewohnbar wäre." Putin sei aber vielmehr ein kühl kalkulierender Machtpolitiker, der sich immer relativ berechenbar verhalten habe.

Zynisch, aber legitim

Das hat sich als falsch herausgestellt. Putin ist vermutlich korrekter beschrieben als Imperialist, der völkischen Ideen folgt, wahrscheinlich sogar selbst an sie glaubt. Würde so jemand verhandeln, wenn die Ukraine keine Waffen mehr hätte? Wohl kaum. Die Wagenknecht von vor einem Jahr hatte recht: Die Diplomatie ist im Moment ziemlich chancenlos - es ist Putin, der ihr keine Chance gibt. Ironischerweise hielt sie ihre Rede am Brandenburger Tor hinter einem Schild mit der Aufschrift "Diplomatie statt Waffenlieferungen".

Mehr zum Thema

Die zweite Frage schließt an diese Forderung an: Erhöht es wirklich die Sicherheit Westeuropas, wenn wir die Ukraine fallen lassen? Schwarzer und Wagenknecht sagen dazu klar Ja. "Jetzt geht es um noch mehr als die friedliche Existenz der Ukraine, jetzt geht es um die Existenz der Welt", sagte Schwarzer in ihrer Rede. Man kann diese Haltung zynisch nennen, aber es ist legitim, das eigene Sicherheitsinteresse über das eines anderen Landes zu stellen - auch wenn man dann nicht von "Solidarität" mit der Ukraine sprechen kann, ohne sich lächerlich zu machen.

Klar ist: Was aus allein deutscher und westeuropäischer Sicht klüger ist, lässt sich nicht sicher sagen. "Für diesen Krieg hat niemand eine Blaupause in der Schublade", sagte der SPD-Außenpolitiker Michael Roth im Interview mit ntv.de. Er selbst plädiert für Waffenlieferungen, aber er räumt ein: "Beide Ansätze sind mit Risiken verbunden, auch meine Strategie der Wehrhaftigkeit und der Solidarität mit der Ukraine. Vermutlich wissen wir erst in einigen Jahren, was der richtige Weg gewesen wäre." Der Haken ist: Entscheiden müssen wir schon heute.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen