Person der Woche

Person der Woche: Boris Rhein Die vier Geheimnisse des politischen Hessen-Krimis

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Der hessische Landtag soll den CDU-Politiker Boris Rhein zum neuen Ministerpräsidenten wählen. Doch die Sache ist denkbar knapp. Viele Akteure haben eine verdeckte Agenda. Selbst die Bundesregierung könnte deswegen neu formiert werden.

Deutschlands dienstältester Ministerpräsident tritt ab. Der hessische Landesvater Volker Bouffier will nach 12 Jahren den Regierungsstab an seinen CDU-Parteifreund Boris Rhein übergeben. Doch der Wechsel ist heikel. Die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden hat nur eine Stimme Mehrheit. Und viele Akteure verfolgen verdeckte Absichten. Auf vier Dinge gilt es zu achten:

  1. Boris Rhein verabschiedet Volker Bouffier am Montagabend aus dem Amt. Ob es heute tatsächlich für ihn reicht bei der Wahl?

    Boris Rhein verabschiedet Volker Bouffier am Montagabend aus dem Amt. Ob es heute tatsächlich für ihn reicht bei der Wahl?

    (Foto: dpa)

    Der Wahlgang im hessischen Landtag könnte ein Polit-Krimi werden. Um die Nachfolge Bouffiers anzutreten, braucht Rhein alle 69 Stimmen der Abgeordneten von CDU und Grünen. Stimmt auch nur ein Grüner gegen Rhein, wäre die Regierungskrise in Hessen eröffnet. Die Grünen könnten auf vorgezogene Neuwahlen spekulieren, da sie in den Umfragen derzeit hohe Zustimmungswerte erzielen. Der jetzige Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir hätte sogar Chancen, erster grüner Ministerpräsident Hessens zu werden. Bei einer Selbstauflösung des Landtages käme es binnen 60 Tagen zu Neuwahlen - also noch in diesem Sommer.
    In Wiesbaden raunen daher Beobachter von einem "Simonis-Moment" der Politik. Im Jahr 2005 war die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis in einer ähnlichen Lage und wurde spektakulär abgewählt. Nach vier Wahlgängen, in denen sie keine Mehrheit errang, zog die damals 61-Jährige ihre Kandidatur zurück. Ihr CDU-Kontrahent Peter-Harry Carstensen wurde schließlich Ministerpräsident, die Karriere von Simonis war schlagartig zerstört. Bis heute ist unbekannt, wer am 17. März 2005 in Kiel zum "Heide-Mörder" wurde.
  2. Sollte Boris Rhein die knappe Parlamentsmehrheit nicht versammeln (auch innerhalb der CDU-Fraktion kann es nach Monaten der Machtkämpfe heimlich Abtrünnige geben), bliebe die bisherige Landesregierung erst einmal geschäftsführend im Amt. Der Landtag müsste dann über die Landtagsauflösung und Neuwahlen beraten. Daran haben aber weder Linke noch AfD noch FDP wirklich Interesse. Alle drei Parteien würden nach derzeitiger Stimmungslage deutlich schlechter abschneiden als 2018. Den Linken droht sogar der Rauswurf aus dem Parlament. Es könnte also gut sein, dass es weder eine Mehrheit für die Wahl Rheins noch eine Mehrheit für die Auflösung gäbe. Der ewige Volker Bouffier bekäme damit eine ungewollte Amtszeit-Verlängerung, theoretisch sogar bis zum Ende der Legislaturperiode - erst im Herbst 2023 soll die nächste Landtagswahl in Hessen stattfinden.
  3. Für die SPD ist die Konstellation besonders spannend. Sie plant schon seit Monaten den Regierungswechsel in Hessen. Nach elf Jahren Roland Koch und zwölf Jahren Volker Bouffier soll das Herzland der Republik endlich wieder unter sozialdemokratische Führung. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser war als geeignete Spitzenkandidatin ausgeguckt, erste Regierungschefin Hessens zu werden. Ihre eigene Kabinettskollegin Christine Lambrecht (auch die Verteidigungsministerin kommt aus dem SPD-Landesverband Hessen) hat vor wenigen Tagen erklärt, Faeser wolle gar nicht so lange Bundesinnenministerin sein, sondern im nächsten Jahr als Spitzenkandidatin im hessischen Landtagswahlkampf antreten. Für Faeser kam das Geplauder Lambrechts zur Unzeit, sie dementierte halb. Doch der Faeser-Wechselplan dürfte bei Olaf Scholz und den SPD-Strategen von Anfang an eine Rolle gespielt haben, denn zwei Bundesministerinnen aus der Hessen-SPD hätte es ohne dieses Kalkül kaum gegeben. Sollte der hessische Landtag nun aber rasch aufgelöst werden und binnen 60 Tagen Neuwahlen anstehen, dann müsste Faeser sofort springen und das Bundeskabinett verlassen. Für Lambrecht wäre dann der Weg frei, sich ins Innenministerium zu retten, denn als Verteidigungsministerin ist sie kaum noch zu halten. Scholz könnte dann endlich einen Verteidigungsminister mit Fachkompetenz berufen, Lars Klingbeil wäre hier eine gute Besetzung.
  4. Sollte Boris Rhein den Wahlkrimi überstehen und siegreich neuer Ministerpräsident werden, dann wäre das für die CDU ein dritter Erfolg binnen kurzer Zeit. Nach Schleswig-Holstein und NRW hätte die Union dann binnen weniger Wochen drei Ministerpräsidenten der neuen Generation etabliert. Daniel Günther, Hendrik Wüst und Boris Rhein sind sich in ihrem politischen Profil wie in Persönlichkeit erstaunlich ähnlich. Alle drei sind Kinder der siebziger Jahre (Rhein 1972 geboren, Günther 1973, Wüst 1975), alle drei sind Katholiken, kommen aus Mehrkindfamilien, sind Familienväter, bodenständig (haben ihren Wohnort nie verlassen), haben keine Eskapaden, keine Doktortitel, Hobby: Fahrradfahren. Sie sind mittig-pragmatisch und wollen die CDU "jünger, weiblicher und bunter" machen. Die drei sind allesamt als Jugendliche in die Kohl-CDU eingetreten und haben die Ochsentour durch die Partei hinter sich, sie sind Politprofis und unideologische Ingenieure der Macht. Alle drei könnten am Ende schwarz-grüne Regierungen führen und damit ein serielles Modell begründen - auch für die Bundesregierung nach der Ampel-Phase.

Quelle: ntv.de

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