Person der Woche

Person der Woche: Medwedew Putins Kettenhund - und Nachfolger?

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Einst ein liberaler Hoffnungsträger, schockiert der russische Ex-Präsident nun regelmäßig die Weltöffentlichkeit mit martialischen Drohungen. Die verbalen Attacken haben vor allem das Kalkül, seine eigene Machtposition in Russland zu festigen.

Er droht mit Atomkrieg und dem "Verschwinden der Ukraine von der Landkarte". Sollte die Ukraine versuchen, die Halbinsel Krim zurückzuerobern, werde über alle Ukrainer sofort das "Jüngste Gericht" hereinbrechen, "sehr schnell und schwer". Dmitri Medwedew schockiert die Weltöffentlichkeit im Wochenrhythmus mit martialischen Drohungen. Ausgerechnet der einstige Hoffnungsträger für liberale Reformen entpuppt sich im Krieg als brutaler Kriegstreiber und großrussischer Imperialist. Innenpolitisch droht er die Wiedereinführung der Todesstrafe für den Fall an, dass in Russland nicht alles "ruhig" bleibe. Außenpolitisch schärft er eine Sprache des Hasses - vor allem gegen die USA und Großbritannien. Auf Telegram postete er: "Ich werde oft gefragt, warum meine Telegram-Posts so hart sind. Die Antwort ist: Weil ich sie hasse. Sie sind Bastarde und Abschaum. Sie wollen unseren Tod, den Tod Russlands. Und so lange ich lebe, werde ich alles tun, um sie verschwinden zu lassen."

Die Tonlage von Medwedew ist so schrill, als wäre hier ein randständiger Troll in sibirischen Keller-Foren unterwegs. Tatsächlich aber verkörpert der nationalistische Scharfmacher ein absolutes Machtzentrum Russlands. Er ist seit 2012 Vorsitzender der Putin-Partei "Einiges Russland" und seit 2020 stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Er gilt als einer der engsten Vertrauten Putins und war von 2008 bis 2012 Präsident Russlands und anschließend bis 2020 Ministerpräsident der Russischen Föderation. Nur ihm hat Putin so sehr vertraut, dass er den Präsidentenposten tauschen konnte. Nun kursieren in Moskau Gerüchte, dass Medwedew sich mit seiner demonstrativen Radikalisierung politisch gezielt in Stellung bringe. Zum einen demonstriert er Putin seine totale Loyalität und will liebedienernd zurück in den engsten Machtzirkel des Kreml. Zum andern signalisiert er der Welt, dass er - und niemand anderes - Schlagzeilen und Tonlage des neuen Imperiums bestimmen kann.

Medwedew schwadroniert, dass es ihn freue, wenn die Welt vor Russland wieder Angst habe. Russland werde wieder ernst genommen. "Mit Russland wird nun ernsthaft gerechnet. Wie mit der Sowjetunion. Und in mancher Hinsicht sogar noch ernsthafter, dem Sanktionspaket nach zu urteilen", geifert er.

Medwedew versucht Image als Liberaler und Streber zu bekämpfen

Medwedew korrigiert mit seiner Kettenhund-Rolle gezielt sein doppeltes Image als Liberaler und Streber. Der 56-Jährige ist Professorensohn, promovierter Einser-Jurist und gerne im Designeranzug unterwegs. Die alten KGB-Seilschaften sehen ihn als Musterknaben und Messdiener Putins. Das Brave will er nun offensichtlich durch besonders brutale Rhetorik ablegen. Ebenso das Liberale. Denn im öffentlichen Bewusstsein galt Medwedew lange Jahre als potenzieller Reformer. Die Liberalen in Russland und der Westen setzten Hoffnungen auf den geschmeidigen Mann, der so viel konzilianter und offener wirkte als Putin. Legendär sind die Fotos, wie er mit Barack Obama in einem Burger-Restaurant scheinbar Freundschaft schloss und einen Neustart der russisch-amerikanischen Beziehungen mitsamt START-Abrüstungsabkommen wagte. Michael McFaul, der US-Botschafter in Moskau von 2012 bis 2014, schreibt in seinen Memoiren über Medwedew: "Er sprach ein kultivierteres Russisch als Putin und schien sich mehr an westlichen Ideen zu orientieren oder zumindest mit ihnen vertraut zu sein." In einem Artikel vom September 2009, in dem er seine politische Vision darlegte, bezeichnete Medwedew die russische Demokratie als "zerbrechlich" und als etwas, das "geschützt werden muss". Er rief zum Dialog mit der Zivilgesellschaft auf und verwies auf die von ihm vorgenommenen Änderungen zur Verbesserung des Wettbewerbs bei Wahlen. McFaul fand: "Putin hätte das nie so gesagt."

Medwedew und Obama im Juli 2010 in einem Burger-Restaurant in Arlington.

Medwedew und Obama im Juli 2010 in einem Burger-Restaurant in Arlington.

(Foto: picture alliance / dpa)

Heute ist vom geschmeidigen Reformer nichts mehr zu sehen. "Medwedew will sein öffentliches Bild unbedingt korrigieren. Der Krieg bietet ihm dafür die perfekte Gelegenheit", erklärt ein EU-Diplomat aus Moskau.

Clown mit Ente

Medwedew hängt insbesondere der investigative Dokumentarfilm des Regimekritikers Alexej Nawalny nach, in dem 50 Minuten lang das geheime Luxusleben des Ex-Präsidenten enthüllt wird. Das Video ist inzwischen 45,5 Millionen Mal aufgerufen worden und belegt peinlich genau Medwedews korruptes Geschäftsnetzwerk, das ihm Luxusvillen, Jachten und Weinberge in der Toskana eingebracht haben soll. In einem Sommerdomizil von Medwedew sollen demnach auch die Enten wie Könige gelebt haben - in einem eigenen Entenhaus. Seither gilt die Gummiente in Russland als Symbol für die Korruption der Putin-Clique. Eine große, öffentlich gezeigte Gummiente konnte auch noch 2018 zu einer Verhaftung führen. Der Ansehensverlust Medwedews führte 2021 sogar dazu, dass er - obwohl Parteichef - nicht mehr als Spitzenkandidat bei der Duma-Wahl aufgestellt wurde. Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Außenminister Sergej Lawrow nahmen seine Rolle ein.

Demonstration in St. Petersburg gegen Korruption, 12. Juni 2017.

Demonstration in St. Petersburg gegen Korruption, 12. Juni 2017.

(Foto: AP)

Wenn Medwedew nun martialisch mit Atomwaffen-Einsätzen droht, will er die Gummienten-Affäre vergessen machen. Indem er sich als starker Mann positioniert, hofft der einstige Streber, Musterknabe und Luxuskorrupte auf ein neues Image. Eine Analyse der "Nowaja Gaseta" kommt allerdings zum Schluss, dass Medwedew Profilierungsversuch vergebens sei, er habe den Zenit überschritten. Er sei sogar zu einer Art Medienclown verkommen. Doch in Putins Russland kann auch ein fauchender Medienclown noch sehr mächtig werden - wenn Putin es will.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 19. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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