Person der Woche Die Wahrheit hinter Robert Habecks Absturz
09.09.2022, 11:01 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Robert Habeck war der letzte Star der angeschlagenen Ampelregierung, viele sahen ihn schon als kommenden Kanzler. Doch in der Energiekrise macht er schwere Fehler, von der Gasumlage bis zum Atomausstieg. Plötzlich wird der Sympathieträger von allen Seiten hart attackiert - dabei wird etwas Heikles offenbar.
Im Beliebtheitsranking der Politiker hatte Robert Habeck jeden lichten Gipfel erklommen - beliebtester Politiker Deutschlands, Kanzlerkandidat der Herzen, Glaubwürdigkeitskönig. Im flackernden Licht der schwachen Ampel sanken alle anderen Minister ins Halbdunkel herab. Arbeitsminister Hubertus Heil und Innenministerin Nancy Faeser, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Umweltministerin Steffi Lemke, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Verkehrsminister Volker Wissing - alle backstage, nur Habeck stand im Rampenlicht. Neben dem Popstar der Politik wirkte sogar der Kanzler wie ein Kabelträger der Macht.

Die Härte, mit der auf Habeck eingedroschen wird, erklärt sich einerseits mit der Dramatik der Lage. Andererseits holt der Ikarus-Effekt den Highflyer ein.
(Foto: dpa)
Habecks großer Akzeptanz-Erfolg lag darin, dass er eine neue, ganz eigene politische Kommunikationsform entfaltet hat, die das Publikum betört, beinahe hypnotisiert: Psychopolitik. Habeck hat die enorme Begabung, politische Konflikte in sanfte Therapeutengespräche zu verwandeln und sich als eine Art Sigmund Freud der Berliner Republik in Pose zu bringen. Innerlich angeschlagene Polit-Gemüter erspürten bei ihm gefühlte Befreiung von allerlei Komplexen und Zwängen. Kurzum: Er war das neue Über-Ich der Regierung.
Die härtesten Angriffe kommen von der SPD
Doch nun rutscht der große Therapeut mit einem lauten Knall von seiner sanften Couch und schlägt hart auf den Boden der Realität. Russlands Angriffskrieg hat Deutschland in eine dramatische Energiekrise gestürzt. Es explodieren nicht nur die Strom-, Gas- und Ölpreise, es steht die Versorgungssicherheit des gesamten Industriestandortes auf dem Spiel. Die Inflation ist außer Kontrolle und eine dräuende Rezession bedroht Millionen deutscher Arbeitsplätze. Und zwar für immer. Denn ohne Gas und mit den höchsten Energiepreisen der Welt dürften zentrale Wertschöpfungsketten des industriellen Produktionsnetzwerks reißen und final ins Ausland abwandern. Kurzum: Die Wettbewerbslage Deutschlands steht historisch auf dem Spiel.
Da helfen keine schönen Worte mehr. Es sind plötzlich Not-Operateure statt Therapeuten gefragt.
In dieser Disziplin aber macht Habeck große Fehler. Viel zu spät hat er den Kohleausstieg revidiert und den stärkeren Wiedereinsatz von Kohlekraftwerken erlaubt. Bei der nötigen Nutzung von heimischem Gas und deutschen Atomkraftwerken verweigert er sich sogar komplett. Er bleibt ideologisch gefangen, irrlichtert mit schrägen Spar-Appellen umher und versperrt die Notfall-Nutzung eigener Ressourcen. Fracking, Wasserkraft und Kernenergie werden - aus Angst vor der grünen Basis - verteufelt, anstatt sie zumindest übergangsweise zu nutzen. Und so verstromt Deutschland weiterhin Importgas, das nur zu horrenden Preisen einzukaufen ist. Habeck setzt alles auf die Importgaskarte und verzockt sich dabei. Die umstrittene Gasumlage wird für ihn zum Fanal seiner gescheiteren Energiepolitik.
Plötzlich prasselt Kritik von allen Seiten auf den einstigen Star hernieder. Die härtesten Schläge kommen dabei erstaunlicherweise von eigenen Koalitionspartnern. SPD-Chef Lars Klingbeil rüffelt öffentlich nicht bloß "handwerkliche Fehler", sondern stellt Habeck als Luftikus und Schwätzer dar: "Am Ende zählen in der Politik nicht nur schöne Worte, es muss vor allem die Substanz stimmen." SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese ätzt: "Das Prinzip Habeck geht so: Auftritte filmreif, handwerkliche Umsetzung bedenklich und am Ende zahlt der Bürger drauf." Die FDP stellt Habeck als Schönredner und Ideologen dar, treibt ihn sogar genüsslich vor sich her, fordert die Freigabe von Fracking wie die Weiternutzung von Atomkraftwerken und stellt ihm gar Ultimaten, seine Gasumlage zu überarbeiten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hält Habeck für "überfordert", er mache "im politischen Handwerk keine gute Figur". Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei von der CDU wirft Habeck "Ahnungslosigkeit und Naivität" sowie "handwerklichen Pfusch" vor. Von SPD-Chefin Saskia Esken bis zum Grünen Anton Hofreiter lästert derzeit jeder einmal öffentlich über Habecks Fehler ab.
Wer ist die neue Volkspartei der linken Mitte?
Auch in den Medien verdüstert sich das Bild Habecks schlagartig. Das "Handelsblatt" sieht ihn "vom Posterboy zum Patzerboy" fallen, vom Redaktionsnetzwerk Deutschland bis "Capital" wird die Vokabel Habeck-"Entzauberung" spazieren geführt, die "Frankfurter Rundschau" wähnt gar die "Habeck-Dämmerung", der "Spiegel" fragt: "Was nun, Häuptling Silberzunge?" und unterstellt dem Wirtschaftsminister in einer Kolumne Doppelmoral. Habeck setze auf die klimaschädlichen Tankertransporte mit Frackinggas aus den USA, im Inland sei die Methode aber weiterhin tabu, "obwohl sich mit ihrer Hilfe der deutsche Gasbedarf für das nächste Vierteljahrhundert decken ließe".
Die ungewöhnliche Härte, mit der nun auf Habeck eingedroschen wird, erklärt sich einerseits mit der Dramatik der Lage und der Folgenschwere seiner Fehler. Andererseits klingt in den Attacken aber auch durch, dass einige Konkurrenten und Kommentatoren den Helden jetzt gerne einmal fallen sehen möchten. Ein Ikarus-Effekt holt den Highflyer ein. Bei einigen Habeck-Bashern spielt Genugtuung eine Rolle, dass endlich einmal hinter die Fassade der Feuilletons geblickt und wenig Substanz entdeckt werde. Bei politischen Kollegen bricht sich blanke Eifersucht Bahn, bei einigen sogar billige Rache. Im Medienbetrieb gibt es zudem die alte Weisheit, dass man mit Helden gerne den Karriere-Aufzug hochfährt, noch lieber aber herunter.
Eine Angriffslinie aber soll Habeck strategisch treffen. Die SPD hat sich offensichtlich entschieden, Habeck frontal zu attackieren und strategisch zu schwächen. Die härtesten Angriffe kommen aus der Sozialdemokratie, weil man Habeck dort als eine Bedrohung für die eigene Volksparteienexistenz betrachtet. Habecks Erfolg hebt die Grünen über die SPD hinaus, eine Wiederwahl von Olaf Scholz wäre bei Habecks dauerhaften Popularitätswerten beinahe unmöglich. Schon mit Blick auf die für die SPD so wichtige Landtagswahl in Niedersachsen sorgt sich die SPD, von den Grünen so geschwächt zu werden, dass am Ende die CDU wieder stärkste Kraft im Lande werden könnte. Kurzum: Es geht um die Frage, ob SPD oder Grüne die künftige Volkspartei der linken Mitte ist. Auch deswegen wird Habeck mit großen Kalibern aus SPD-Rohren beschossen. Dagegen wirkt die Kritik von Friedrich Merz geradezu väterlich mild.
Und so geht es beim Habeck-Entzauberungs-Furor auch um das Machtgefüge zwischen Rot und Grün in Deutschland. Wenn Habeck sich und seiner Partei eine Kanzlerperspektive retten will, muss er diese Krise - die erste, die er als Bundeswirtschaftsminister überhaupt erlebt - überzeugend bewältigen. Er wird rasch die Frage beantworten müssen, ob er nur schön und therapeutisch reden, oder auch kraftvoll regieren und die Energiekrise lösen kann.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 30. August 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de