Person der Woche: Alexej Miller Der Gazprom-Chef entscheidet über Deutschlands Schicksal
14.07.2022, 09:58 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören

Führt Gazprom: Alexej Miller.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Er ist wohl der zweitmächtigste Mann Russlands: Alexej Miller. Der Gazprom-Chef ist Putins Geldbeschaffer, Oligarch und neuer Gaskrieger. Er lebt in obszönem Luxus und erpresst derzeit Europa. Was plant er wirklich?
Ein Datum und ein Name machen Deutschlands Angst: der 21. Juli und Alexej Miller. An diesem Tag entscheidet sich, ob der mächtige Gazprom-Chef Deutschland den Gashahn ganz abdreht oder nicht. Seit dieser Woche fließt durch die Pipeline Nord Stream 1 nichts mehr, Wartungsarbeiten sind bis zum 21. Juli angekündigt und nicht nur die Bundesregierung zeigt offen Angst, dass auch danach kein Gas fließt. Das würde hierzulande den wirtschaftlichen Notfall mit staatlichen Gas-Rationierungen auslösen. Es käme wohl zu Energie-Lockdowns der Wirtschaft - Deutschland und Europa drohten, in eine tiefe Rezession abrutschen. Für Russland ist Gas damit jetzt eine unverhohlene Waffe im hybriden Krieg gegen den Westen. Moskau kann Rache üben für die westlichen Sanktionen wie für die Waffenlieferungen an die Ukraine.
Damit richten sich nun alle Augen auf den 60 Jahre alten Alexej Miller. Der Gazprom-Chef führt den größten Gaskonzern der Welt mit demonstrativer Stärke aus dem höchsten Wolkenkratzer Europas, dem 462 Meter hohen Gazprom Tower in Sankt Petersburg. Er macht keinen Hehl mehr daraus, dass er knallharte russische Außenpolitik betreibt und dem Westen seine Bedingungen aufzwingen will. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg hat er angekündigt: "Unser Produkt, unsere Regeln. Wir spielen nicht mehr nach Regeln, die wir nicht geschaffen haben."
Ein Land nach dem anderen wird von Miller mit Lieferstopps abgestraft, wenn es sich politisch nicht opportun verhält. Die Gasexporte nach Polen und Bulgarien wurden Ende April, in die Niederlande Ende Mai eingestellt. Nach Deutschland wird seit Mitte Juni nicht einmal mehr die Hälfte geliefert und nach Österreich wie Italien fließen seit dieser Woche plötzlich 70 Prozent weniger als bestellt.
Miller kündigt zynisch "Energiestabilität für Russlands Freunde" und eine "Umverteilung der weltweiten Energieressourcen" an. Das befreundete China werde mehr russisches Gas bekommen, das feindliche Westeuropa weniger, droht er offen. Der Gazprom-Chef ist sich seiner Position der Stärke aufreizend bewusst.
"Putins Brieftasche"
Das war nicht immer so in seinem Leben. "Der hängt sich in einem Monat auf", spottete sein Amtsvorgänger Rem Wjachirew, als er 2001 von Putin gefeuert und durch Miller ersetzt wurde. Damals war der 39-jährige Miller ein unsicherer, scheuer Mann mit dünnem Schnurrbart. "Das eigene Büro in der fünften Etage betrat er so unsicher, als befürchte er, man könnte ihn im nächsten Moment fortjagen", zitierte die Deutsche Presse-Agentur seine Mitarbeiter.
Aber Miller hatte mit Wladimir Putin nicht nur einen mächtigen Paten im Rücken. Auch der Leningrader KGB-Machtzirkel mit den Geheimdienstchefs Sergei Naryschkin, Alexander Bortnikow und Nikolai Patruschew beschützte ihn. Miller kennt sie alle seit frühesten KGB-Tagen aus Leningrad. Dieser Geheimdienstbruderschaft gehört Miller - trotz seiner russlanddeutschen Vorfahren - seit den Chaos-Tagen der Wende fest an. In der Petersburger Stadtverwaltung unter dem damaligen Bürgermeister Anatoli Sobtschak führte Putin das Büro für Auslandsbeziehungen, sein schüchterner Mitarbeiter hieß Alexej Miller. Putin forderte Schmiergeld für allerlei Lizenzen und Dienste, Miller hatte es zu verwalten. Bis heute wird er in Russland zuweilen "Putins Brieftasche" genannt.
Putin schätzt an Miller nicht nur die bedingungslose Loyalität und Diskretion, sondern auch dessen hinter allerlei Verklemmtheit verborgene Intelligenz. Miller ist Putins grimmig-smarter Buchhalter. In dieser Rolle ist er zu einer Art Super-Oligarch Russlands aufgestiegen. Nach 20 Jahren als Chef von Gazprom und enger Weggefährte Putins sehen ihn viele als zweitmächtigsten Mann Russlands. Das Magazin "Forbes" listete ihn 2013 erstmals unter den mächtigsten Menschen der Welt.
Millers Gazprom-Konzern steht für fast fünf Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts. Er hat Zugriff auf ein Siebtel der Weltgasreserven. Doch Gazprom fördert nicht nur Gas, sondern ist auch im Ölgeschäft tätig und Monopolist im russischen Pipelinegeschäft. Außerdem gehört zu ihm eine eigene Bank und der größte russische Medienkonzern. Gazprom setzte 2021 mit rund 473.000 Mitarbeitern 133,8 Milliarden Euro um, der Gewinn betrug 27,4 Milliarden Euro.
Miller politisiert seine Geschäfte bis in sprachliche Details. Beim Sportsender Match TV zwingt er die Kommentatoren, auf englische Begriffe zu verzichten. Mehr als 100 Wörter hat er auf einen Verbots-Index gesetzt. Demnach sollen etwa "Loser", "Playoff", "Coach", "Performance", "Derby", "Restart" und "Shortlist" künftig ins Russische übersetzt werden. Der Journalist Stanislaw Gridassow, der die Liste zuerst im Nachrichtenkanal Telegram veröffentlicht hat, meinte: "Es ist bekannt, dass der Chef von Gazprom (...) ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Reinheit der russischen Sprache ist." Gazprom Media besitzt 9 landesweite Fernsehkanäle, 29 Spartenkanäle, 10 Radiosender und 2 Verlage.
Miller will weiter liefern
Die gewaltige Macht und den enormen Reichtum, den Miller anhäuft, hat das Team um den Kremlkritiker und inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny in einem spektakulären Video thematisiert. Das Enthüllungsvideo zeigt Millers pompöses Villen-Anwesen "Greenfield" in einem Moskauer Vorort. Der Protzbau imitiert das Weiße Haus in Washington und soll über rund 8500 Quadratmeter Wohnfläche mitsamt Minigolfanlage, Heimkino, Eisenbahn, Kapelle und einer Garderobe ausschließlich für Pelzmäntel verfügen. In dem Video wird behauptet, dass Miller Immobilien im Wert von rund 750 Millionen US-Dollar besitze. Darunter befänden sich Villen sowie Häuser in Sotschi, Hotels in Gelendschik und Anwesen in Moskau.
Die Veröffentlichung des Videos ist für Miller, der seit Jahren eher öffentlichkeitsscheu unterwegs ist, ein großes Ärgernis. Schon seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist sein Imperium unter innerem Stress. Machtkämpfe, Intrigen und Säuberungsaktionen häufen sich, eine Serie von mysteriösen Todesfällen erschüttert den Konzern und Gerüchte über einen wachsenden Einfluss des Geheimdienstes machen die Runde.
Auch für Miller wird daher der 21. Juli zu einem Definitionsmoment seiner Macht. Insider berichten, dass er und sein Managementteam die Gaslieferungen nach Deutschland gerne wieder in voller Höhe aufnehmen würden - auch um den lukrativen Strom von wichtigen Devisen aus Deutschland zu sichern und nach den Sanktionen nicht noch durch eigene Boykottmaßnahmen Schaden zu nehmen. Die Lieferung der sanktionierten Siemens-Energy-Gasturbine wird bei Gazprom als ein "Signal des deutschen Kooperationswillens" gesehen.
Die Falken im Kreml feiern die Turbinenlieferung sogar als einen machtpolitischen Erfolg - Deutschland habe damit die Sanktionen des Westens demonstrativ unterlaufen. Das wolle man belohnen. "Wenn die Turbine nach der Reparatur kommt, dann erlaubt das eine Zunahme der Umfänge", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Seine Glaubwürdigkeit ist freilich in den vergangenen Wochen bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Also wartet alles auf Miller und seine Entscheidung am 21. Juli.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 12. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de