
Papier gilt immer, Digitales manchmal.
(Foto: dpa)
Die staatliche Verwaltung ist muffig, unfreundlich, undigital und unreformierbar, also müsste da irgendwer mal aufräumen. Oder, noch besser: Wir gründen einen Arbeitskreis!
Sie kennen diese Art von Kollegen, die gern hochfliegende Vorschläge machen, bei der Umsetzung aber immer irgendwie verhindert sind. Ich nenne sie "man-müsste-mal"-Kollegen. Man müsste mal den Toner tauschen, man müsste mal Fenster putzen, man müsste mal das Höllenwerkzeug Microsoft Teams für immer löschen. Man müsste mal, aber es macht halt keiner.
Auch die nächste Bundesregierung hat "man-müsste-mal"-Kollegen, es sind sogar ganz viele. "Initiative Staatsreform" heißt die neueste Initiative, nicht zu verwechseln mit "Reform-Staat", aber dazu kommen wird auch noch.
Die Idee dieser bedeutungsseligen Truppe, deren Schirmherr übrigens der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist: Man müsste mal den Staat modernisieren! Der ist immer so unfreundlich, undigital, unmodern.
Verwaltung unmodern? Wahnsinn!
Ja, da wird der Hund in der Pfanne verrückt! Unsere Verwaltung unmodern? Ein Wahnsinn, zu welchen Schlüssen man kommt, wenn man etwa als Rentner oder Bundespräsident viel Tagesfreizeit zur Verfügung hat. Ganz vorn stehen in dieser Initiative nämlich Thomas de Maizière, Ex-Bundesminister, Andreas Voßkuhle, Ex-Bundesverfassungsrichter, Peer Steinbrück, Ex-Stinkefinger, und Julia Jäkel, Ex-Rundfunkkommissionsleiterin und Unternehmerin.
Mit einem Gestus, als sei der Befund einer gewissen Lahmarschigkeit im deutschen Staatswesen ein origineller, noch nie gedachter Gedanke, trägt die "Initiative Staatsreform" nun allerlei Wünsche vor.
Der schönste davon ist vielleicht: Der Datenschutz soll schrumpfen. "Afuera Datenschutz!", rief ich spontan in den Berliner Himmel, denn die Steinmeier-Gang hat ja recht: Der deutsche Datenschutz ist so überflüssig wie eine dritte Backe am Hintern.
Richtig blitzeuphorisierte mich ein Interview mit dem Mit-Initiatior Andreas Voßkuhle in der FAZ: Dort räumte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts ein: "Hier (also beim Datenschutz) könnte man einen Richtungswechsel vornehmen."
Kaum zähmbarer Bürokratie-Godzilla
Man müsste mal! Man müsste mal den Datenschutz entschärfen! Das ist natürlich lustig aus dem Munde eines Mannes, dessen Gericht den deutschen Datenschutz mit dem Volkszählungsurteil immerhin zu Bürokratie-Godzilla mutieren ließ, der also womöglich im Berufsleben das eine oder andere daran hätte ändern können.
Da war sie also hin, meine Euphorie. Datenschutz stellt deutschen Unternehmen jeden Tag Beine wie zwölf Katzen, die man in die Küche lässt, das weiß jeder Jurist, das weiß auch jeder Datenschützer, auch wenn letztere es ungern aussprechen, um nicht die eigene Berufsbiografie zu entwerten.
Die Vorstellung, dass eine Steinmeier-Initiative nun das vollbringt, was Verbände und Fachleute seit Jahrzehnten fordern, ist schlicht naiv. Freunde der Initiative behaupten, man müsse durch möglichst viele Arbeitskreise ein Momentum aufbauen. Das ist in etwa so, als wollte man durch gemeinsames Anpusten einen Muldenkipper rangieren.
Wohlfeile Vorschläge
Ähnlich wohlfeil wie die Datenschutzrevolution klingen andere Vorschläge der Initiative. Gesetzgebungsverfahren? Sollen gründlicher werden! Gesetze? Innovationsfreundlicher! Bürokratie? Abbauen, ob Sie's glauben oder nicht! Internet? Digitalministerium! Föderalismus? Neu machen!
Es sind abgewetzte Erkenntnisse auf bunter PDF-Vorlage. Allein die Forderung, europarechtliche Vorgaben sollten erfüllt, aber nicht übererfüllt werden - "Goldplating!" -, ist ein Satz, der im politischen Berlin häufiger gesprochen wird als "Guten Morgen!".
Es ist die Art von "wünsch-Dir-was"-Geplapper, wie man es unter dem Schirm des Bundespräsidenten nicht anders erwarten sollte. Garniert wird es mit LinkedIn-tauglichen Stanzen bei der Vermarktung: "Machen statt meckern", posaunt etwa Steinbrück im Radio, man müsse wieder "Champions League" spielen - und was an Deutschland-nach-vorn-ballern-Gerede sonst noch denkbar ist.
Wenn du nicht weiterweißt, …
Was ist eigentlich aus den zwei Föderalismuskommissionen geworden, die den Staat effizienter machen sollten, aus den Jahren 2003 und 2007? Was ist aus der Kommission zur Reform der Staatsverwaltung geworden, die tagte zwischendrin, im Jahr 2004? Wollte nicht Gerhard Schröder in Bundeskanzlerzeiten bis 2005 alle internetfähigen Dienstleistungen der Verwaltung online zur Verfügung stellen?
Was zum Beispiel ist denn aus der aktuellen Initiative "Reform-Staat" geworden? Auch dort wird viel miteinander geredet, es gibt Pioniere mit schicken Zitatkacheln, "Wir suchen nach dem Staat von morgen", heißt es auf der Webseite und es gibt einen ganz aktuellen "Aufruf für eine mutige Staatsreform", vom März 2025.
Auch bei Reform-Staat gibt es Unterzeichner, sogar eine Ex-Bundesverfassungsrichterin hat man an Bord, die Forderungen klingen ähnlich. Ist das ein Zwillingsarbeitskreis? Sollten die beiden Arbeitskreise "Initiative Staatsreform" und "Reform Staat" nicht einmal einen Arbeitskreis "Reformstaatsreform" bilden?
Unfreundlich, undigital und behäbig
Die Impertinenz solcher Initiativen liegt darin, dass sie so tut, als bräuchte es Zurufe, um zu schlichten Erkenntnissen zu gelangen. Es ist eine Variante des magischen Denkens: Sag es und es wird!
Als wären die Leute an der Spitze der Verwaltung alle dumm und uninformiert. Dass der Staat unfreundlich, undigital und behäbig ist, weiß aber jeder, der in den letzten 50 Jahren mal ein Amt betreten hat, ob als Bittsteller oder Beamter.
Wenn im Freundeskreis sich wieder jemand in einen Staatsberuf verkrochen hat, muss die- oder derjenige beim nächsten Besuch in einer Bar erst einmal aufgepäppelt werden. Denn kein Vorurteil der Welt bereitet einen auf die gottlose Verschnarchtheit der deutschen Verwaltung vor.
So geht das nicht weiter
Wenn Kommissionen und Arbeitskreise Munition wären, könnten wir Wladimir Putin damit totwerfen, aber stattdessen plappern wir uns selbst ums Leben. Nein, so geht das nicht weiter. Wer den Staat reformieren will, muss sich mit ihm anlegen. Wer den Datenschutz entschärfen will, muss sich mit Datenschützern anlegen. Man mag dies Disruption nennen oder Kettensäge - aber die Hoffnung, dass mit sich der drölfzigsten Nun-aber-los!-Initiative Tante Deutschland ins 21. Jahrhundert bequemt, ist naiv und selbstverliebt. Sie dient den Leuten auf den Zitatkacheln, nicht dem Land.
Und, ja, ich habe mitbekommen, dass CDU-General Carsten Linnemann (Podcast: "Einfach mal machen!") bei Illner die Reformvorschläge gelobt hat. Auch das ist wie im Büro: Die "man müsste mal"-Kollegen bekommen verlässlich Beifall. Das ist das Schönste an Kommissionen: Sie verfügen über eine eingebaute Applausgarantie. Ändern tun sie nichts.
Quelle: ntv.de