Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Scholz klingt wie ein Businessdödel

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Bundeskanzler Scholz inspiziert auf der Hannover Messe die Augmented Reality.

Bundeskanzler Scholz inspiziert auf der Hannover Messe die Augmented Reality.

(Foto: dpa)

Der Kanzler will "ins doing kommen": Nach "Wumms" und "Doppelwumms" ist nun auch noch das verklemmte Denglisch in der Spitzenpolitik angekommen. Ein Lamento.

Der Kanzler spricht nicht viel, aber im Wenigen, das man von Olaf Scholz hört, ist mir etwas aufgefallen: Er liebt offenbar extrablödes Denglisch. "Ich bin der Meinung, dass ich ein echter truly Sozialdemokrat bin", stellte sich Scholz, damals nur Vize, im Jahr 2019 auf einer Regionalkonferenz als Kandidatenkandidat vor.

"Echter truly"? Ist das nicht doppelt? Und ist truly nicht ein Adverb? Wäre daher "true" nicht richtig, klänge aber nochmal blöder, weil man klanglich wohl "truer" sagen würde? Ja, ja und ja. Aber gut, geschenkt, dachte ich, das kommt bestimmt nicht noch einmal vor.

Kam es aber: "You will never walk alone" hieß es im vergangenen Sommer, als Scholz ein Entlastungspaket für steigende Energiepreise versprach. Nun gut, Fußball-Referenzen waren nie meins - geschenkt, dachte ich schon wieder, das war jetzt aber ganz sicher das letzte Mal, das kommt bestimmt nicht noch einmal vor.

Alles ist jetzt "Zeitenwende"

Kam es aber: Diese Woche sprach der Kanzler auf der Hannovermesse, er sagte, man müsse bei der Klimatransformation "ins doing kommen". Und jetzt müssen wir doch einmal kurz darüber reden, warum sich Scholz immer mal wieder entscheidet, wie ein bemüht enthusiastischer Account-Manager in einer Teamskonferenz zu klingen. Er ist doch der Kanzler! Eine historische Figur in historischer Zeit!

Die "Zeitenwende", immerhin, ist ja ein sehr treffender Begriff. Scholz kann nichts dafür, dass Kommunikationsleute von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg jetzt "Zeitenwenden" für jeden Quatsch ausrufen. Kürzlich stand ich mit einem Becher Kaffee in der Hand vor der geöffneten Kühlschranktür und schaute statt auf einen Milchkarton auf "Oatly Barrista Edition". Natürlich habe ich diesen Missstand gegenüber anderen Haushaltsangehörigen als "Zeitenwende" bezeichnet. Manchmal mag ich Drama.

Und man verstehe mich bitte nicht falsch: Englisch ist toll, es ist kurz, es ist fancy oder hilarious dort, wo im Deutschen einfach nichts trifft. Awesome ist unübersetzbar ("geil" trifft es nicht), der Begriff cool ist so nuancenreich, dass "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt darüber ein ganzes Buch geschrieben hat. Sprache kann nie reich genug sein.

Denglisch ist albern - aber alle machen mit

Mit Nachdruck distanzieren möchte ich mich von knallrechten Arschlöchern, die ihren Nationalismus artikulieren, indem sie das Internet als "Weltnetz" bezeichnen und die Homepage als "Heimatseite". Go fuck yourselves, und bitte mit Anlauf!

Aber Denglisch? Finden wir das nicht alle inzwischen albern? Wann immer jemand die quälend billigen Anglizismen als Thema aufbringt, entsteht sofort eine Art verbale Mitbringparty: Jeder hat einen extra dummen Ausdruck dabei und stellt ihn zu den anderen. Es sind low hanging fruits, jeder sorgt für input, das ist keine rocket science - haha, ja, wie doof das klingt, lustig!

Und im nächsten Call? Da machen wir alles wieder wie vorher. Tag für Tag entscheiden sich viele Tausende Deutsche für Vokabular, das sie klingen lässt, als wären sie ganz und gar aus Plastik gemacht. Warum eigentlich?

Die Sprache ist ein Clubausweis

Weil Sprache stets auch ein kleiner, gut sichtbarer Clubausweis ist. Kürzlich las ich bei FAZ-Autoren das Wort "Gloriole", das weist die Autoren als belesen aus. Wer mühelos "Besitz" und "Eigentum" auseinanderhält, ist im Juristenclub, wer "Witwer*innen" schreibt, ist womöglich ein bisschen zu woke, und wer zu Marihuana "Bubatz" sagt, ist kein Dealer im Görli, sondern wahrscheinlich nur in der FDP ("Wann Bubatz legal?"). So ungefähr geht das.

Vielleicht war es vor vielen, vielen Jahren einmal sehr prägnant und beeindruckend, von low hanging fruits zu sprechen. Einer ging auf eine Konferenz mit Amerikanern und brachte dort den Ausdruck mit in seine Meetings in, sagen wir, Oldenburg. In Oldenburg klang der Kollege nun sehr international, vernetzt und cool, zeigte eine erstrebenswerte Clubmitgliedschaft - bis es absolut jeder ständig sagte. Von da an stand auf dem Clubausweis nicht mehr "schnell denkendes Wirtschaftsgenie", sondern "uninspirierter Langweiler".

Zurück also zu Scholz: Eigentlich beherrscht der Kanzler durchaus das outside the box thinking: Eine Weile klang er wie der Bürgermeister von Entenhausen: "Wumms" und "Doppelwumms", das hatte etwas, auch wenn sich die konservativen Kollegen bei der "Neuen Zürcher Zeitung" vor Empörung über so viel sprachliche "Infantilisierung" an ihren Monokeln verschluckten.

Krach, Bumm, Boing und Doing!

Die Zürcher irrten: Entenhausen ist bekannt für ganz vorzügliches Deutsch. Die "Süddeutsche" lobte Scholz damals zu Recht: Die Politik sollte mehr "Krach, Bumm, Boing wagen!", forderte sie. Die Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs verwendete schließlich viele Gedanken darauf, wie etwa ein im letzten Moment fallen gelassener Gegenstand wohl klingt: "Boing" macht der nämlich. Macht ein weicher Gegenstand womöglich "Doing"? Darüber hätte ich mit der alten Dame gern gesprochen, aber sie ist schon lange tot. Schluck!

Dumm ist Scholz’ Doing-Kommunikation nicht. Dissonante Sprache bleibt hängen, wie eine raue Muschel zwischen glattgeschliffenen Kieselsteinen. Einige Belege: Sofern Sie damals schon auf der Welt waren, wissen Sie beispielsweise, was unter der Rufnummer 11880 passierte: Da werden Sie geholfen! Sie erinnern sich auch an "Flasche leer, ich habe fertig" - und Sie stellen die Ohren auf, wenn ein Pilsener "das König der Biere" ist. Und, wie oben erwähnt, an den Verb-losen Slogan: "Wann Bubatz legal?"

Insofern ist ein ins doing kommender Scholz ein sogar fast brillanter Kommunikator, auch wenn er seine Kanzlerschaft damit nicht sehr elegant erzählt. Scholz’ Einzeiler bleibt im Gedächtnis - allerdings klingt der Kanzler damit auch ein wenig wie ein agiler Scrum-Coach auf LinkedIn.

Was hätte Robert Habeck gesagt?

Doch für die elegante Erzählung der Regierungspolitik ist ohnehin ein anderer zuständig. Jemand, der mit der deutschen Sprache ein engeres Verhältnis pflegt als Scholz: Robert Habeck, dem Bundeswirtschaftsminister, unangefochtenen Sprachkünstler im Kabinett, wäre "ins doing kommen" nie aus dem Mund gepurzelt. Was hätte der Buchautor wohl gesagt? "Wir müssen in die Pötte kommen!", vielleicht. Das hätte zu Habecks norddeutscher, geerdeter Reputation gepasst.

Anstelle von "Reputation" hätte ich auch von Habecks gelungenem personal branding schreiben können. Aber es gehört wohl zum truly bizarrsten Bullshit, dass wir uns nach dem Vorbild seelenloser PR-Dödel als mit einem glühenden Eisen bestempeltes Vieh bezeichnen lassen.

Zisch! Ächz! Stöhn!

Bitte, Deutsche, einschließlich Bundeskanzler: Machen Sie bei diesem Unsinn nicht mehr mit.

Quelle: ntv.de

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