Wieduwilts Woche

"Mind your own damn business!" Tim Walz, die Abrissbirne für Trump und seine Spießgesellen

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Lehrer, Football-Coach, Soldat - und nun Kandidat für die Vizepräsidentschaft: Tim Walz.

Lehrer, Football-Coach, Soldat - und nun Kandidat für die Vizepräsidentschaft: Tim Walz.

(Foto: AP)

Kamala Harris' neuer Streitgefährte ist eine Macht in Sachen Kommunikation. Das sind die sieben Wuchtfaktoren, die deutsche Politiker vom "running mate" lernen können.

Ich sag's wie es ist: Kamala Harris hat mich nicht bezirzt. Sie ist wenig mehr als die Erlösung vom Greis, der Joe Biden geworden ist. Sie wirkt abgehoben, schrill, exaltiert, verkopft und eitel. Ihr Stellvertreter ist ein völlig anderes Kaliber: Tim Walz könnte eine Abrissbirne für die Rechtspopulisten Amerikas werden. Und genau deshalb sollte man sich ihn auch hierzulande näher anschauen.

Wer ist Walz? Er ist Gouverneur von Minnesota, ehemaliger Lehrer, Football-Coach und Soldat - seine Wikipedia-Einträge werden von Wahlkampfteams gerade fleißig poliert und repariert. Aber Fakten sind das eine. Die wichtigere Frage lautet: Wie ist Walz?

Der Mann hat eine heitere Gravitas, die mich an den SPD-Kanzlerkandidaten der Herzen erinnert, Boris "Munitionskiste" Pistorius. Erdverbunden, aber nicht tumb, gereift, aber längst nicht tattrig, versiert, aber nicht protzig - ein stämmiger Opa, von dem man als Kind gern Bonbons zugesteckt bekäme und dem man als Elternteil zutraut, dem Nachwuchs Klimmzüge beizubringen.

Und Walz ist vor allem eines nicht: woke.

Wuchtfaktor 1: Walz ist ein bürgerlicher Woke-Kriegsverweigerer

Walz ist nicht woke, sondern bürgerlich. Er ist verheiratet und trägt Anzüge, die gut sitzen, ohne bemüht zu wirken. Er kann frei sprechen, ohne dass es auch nur eine Sekunde lang falsch, überinszeniert oder roboterhaft wirkt.

Walz hat zudem einen fantastischen Jiu-Jitsu-Griff drauf: Statt in den identitätspolitisch durchtränkten Kulturkampf einzusteigen, aus dem absolut niemand als Gewinner hervorgeht, predigt er bürgerliche Tugenden wie Toleranz und Anstand ("grace"). Das ist leicht grundiert in christlichen, aber eben nicht fascho-christlichen Tugenden - und dennoch haben seine Positionen einen klar linken Vektor. In seinen Worten: "Mind your own damn business!" In etwa: "Kümmere Dich um Deinen eigenen Scheiß!" Sinngemäß: Leben und leben lassen - eine Kulturkampfvermeidung.

Das ist schlicht brillant: Walz setzt sich inhaltlich durchaus für woke Themen ein, etwa Menstruationsutensilien auf Herrenklos. Aber er macht derlei Politik anschlussfähiger für solche Republikaner, an deren Küchentisch ein transsexuelles Kind sitzt und die deshalb die Welt nicht mehr verstehen. Auch Erzkonservative sind vielschichtig. Toleranz als bürgerliche Tugend baut ihnen eine Brücke, über die sie gehen können - anders als grelle linke Ideologien.

Wuchtfaktor 2: Walz hat eine Strategie

Hinter Walz' Toleranz liegt eine Strategie. Im hörenswerten Podcast des "New York Times"-Kolumnisten Ezra Klein spricht Walz ausdrücklich davon, wie hoch er die Bedeutung von Anstand schätzt. Er probiert nicht irgendwie rum, wie allzu oft das deutsche Politik-Spitzenpersonal.

Zudem hat Walz es binnen kürzester Zeit geschafft, den Republikanern das "Freiheit"-Schild aus der Hand zu reißen und ihnen damit beherzt den Hintern zu versohlen. In Kampagnen kann es sinnvoll sein, nicht die Schwächen, sondern die Stärken des Gegners zu attackieren. Freiheit vom Staat - das gehört eigentlich zum politischen Tafelservice der Republikaner.

Auch in Deutschland befindet sich der Freiheitsbegriff stellenweise in Metamorphose. Dabei sollte sich wiederum die CDU Notizen machen: Es hat nichts mit Freiheit zu tun, wenn man Menschen das Gendern verbietet, so doof man es auch selbst finden mag.

Wuchtfaktor 3: Walz kann unpeinlich ein T-Shirt tragen

Der Gouverneur von Minnesota kann in Flanell und Camouflage-Kappe herumlaufen, ohne dass es unstimmig wirkt. Die Leute machen virale, aber meist wohlwollende Witze darüber. Bei Politico schreibt ein Mode-Guru einen ganzen Essay über das Thema. Das unterscheidet Walz von Scholz, der im T-Shirt zwar aussieht, als habe man ihn zufällig im Baumarkt getroffen, aber man ahnt: Da trifft man ihn eigentlich nicht.

Walz sei "hemdsärmelig", hieß es in einer frühen deutschen Einschätzung zum selbst in den USA mäßig bekannten Walz. Das klingt immer ein wenig nach geistiger Einfalt. Ebenso unterschätzen viele die Nahbarkeit eines Donald Trump. Der hat ein goldenes Klo, aber genau das macht ihn nahbar: Er lebt einen Protz mit Trotz, über den "die da oben" die Nase rümpfen. Natürlich ist das für viele Menschen attraktiv.

Diese reflexhafte Geringschätzung der Nahbarkeit in der Medienöffentlichkeit könnte erklären, warum die politische Mitte in Deutschland lieber mit steifen Kommunikationsausfällen wie Olaf Scholz und Armin Laschet angetreten ist.

Wuchtfaktor 4: Walz schenkt den Demokraten Aggressivität

Walz mag aussehen wie der nette Opa aus der Werbung für Karamellbonbons. Er mag auch gelegentlich sanfte Formulierungen bemühen, aber er ist deutlich aggressiver, als es die Demokraten in den Vereinigten Staaten bislang waren.

In einem einzigen Fernsehauftritt hat Walz das Schmähwort "weird" für die Republikaner etabliert. Das ist ein Ausdruck, der als "seltsam" übersetzt werden kann, was aber nicht seinen ganzen Sinngehalt spiegelt. Deshalb nutzen auch viele Deutsche gern das englische Original, um Menschen zu verspotten, die eben "weird" sind.

Walz perfektioniert dabei einen Balance-Akt: Er beschimpft nicht die Wähler der Republikaner, wie es Hillary Clinton tat. Er beschimpft die politische Führung - dies aber mit erstaunlicher Energie. Mit J.D. Vance etwa würde er gern debattieren, sagte Walz, wenn Vance denn "vom Sofa aufstehen mag". Da kam der Coach durch. [Und ein Meme, mit dem sich Internet-Nutzer über Vance lustig machen, Anm. d. Redakteurs.]

Wuchtfaktor 5: Walz weiß, was "show, don't tell" bedeutet

Es gibt eine Handvoll Tricks, mit denen politische Botschaften Wucht entwickeln. Eine lautet: Werde konkret. Das Showbusiness kennt den Spruch "show, don't tell!" Gemeint ist, dass man nicht mit Adjektiven beschreibt, was passiert, sondern es zeigt. Man sagt nicht "ein riesengroßer Mann kommt durch die Tür". Man sagt: "Der Mann musste sich unter dem Türbalken beugen, damit er sich nicht den Kopf stößt."

Walz kann das sehr gut. Er spricht etwa nicht davon, dass er in Schulen Mahlzeiten subventioniert. Sondern er sagt: "Kinder essen und haben volle Bäuche, damit sie lernen können." Seine Worte haben Textur und lassen Bilder in den Köpfen des Publikums entstehen.

In der deutschen Politik beherrscht und nutzt diese Technik kaum jemand - am ehesten noch Robert Habeck, im Gegensatz zum Kanzler, der sich verlässlich in abstraktem Behördendeutsch verheddert. Kinderbuchautoren und Lehrer können so etwas, Juristen nicht.

Wuchtfaktor 6: Walz ist glaubwürdig

Die Republikaner versuchen derzeit panisch, Tim Walz in ein schlechtes Licht zu rücken. Donald Trump spritzt mit Beleidigungen um sich, als wäre er ein mit Hass und Galle gefüllter Rasensprenger. Verständlich: Wenn ein bis dato unbekannter Politiker die Bühne betritt, öffnet sich für den Gegner ein kurzes Zeitfenster, in dem er ihn sturmreif schießen kann.

Jeder Fehler kann hier fatal sein. Deshalb kosteten Armin Laschets Patzer ihn sofort die Kanzlerschaft. J.D. Vance gerät deshalb erheblich unter Druck, weil die Demokraten frühere bizarre Äußerungen ans Licht zerren, etwa zum angeblich erhöhten Risiko Kinderloser, Soziopathen zu werden. Und so werfen die Republikaner Walz nun vor, er habe sich vor dem Kriegsdienst im Irak gedrückt, er sei noch linker als Harris und habe seinen Rang als Soldat geschönt (was stimmt).

Große Sorgen machen muss sich Walz eher nicht. Er ist Jäger, hat 24 Jahre in der Nationalgarde gedient, sich in seinen beruflichen Stationen als Lehrer, Coach und Soldat unbestritten für andere eingesetzt. Und er ist unter "Hillbillys" aufgewachsen, also der Landbevölkerung, was ihn zu einem idealen Gegenspieler für J.D. Vance macht, der sich mit dem Buch "Hillbilly Elegy" als Identifikationsfigur für die amerikanische Landbevölkerung inszeniert.

Wuchtfaktor 7: Walz kennt den Zeitgeist

Zur Empathie gehört auch ein Bewusstsein für den Zeitgeist, also die Gegenwart, Kultur, Trends, Memes im Internet. Bei uns kann das etwa Markus Söder ganz gut, der das allerdings in einer Weise auf die Spitze treibt, die ihn unernst wirken lässt. Boris Pistorius hat es auch drauf, bei dem klingelt ganz beiläufig die "Star Trek"-Melodie auf dem Telefon.

Wie geschickt Walz den Zeitgeist nutzt, zeigt ein Schlagabtausch mit J.D. Vance: Trumps running mate hatte kinderlose Frauen als "Katzenladys" verspottet, die in einer Demokratie weniger zu sagen haben müssten. Was sagte Walz? Er sprang auf die ironische Ebene: "Mein Gott, sie sind auf Katzenfans losgegangen! Schalt das Internet an und schau nach, was Katzenfans machen, wenn man auf sie losgeht."

Und bei Katzen hört der Spaß nun wirklich auf!

Quelle: ntv.de

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