Köster über RB Leipzig Von wegen krasser Außenseiter
22.11.2016, 17:15 Uhr
Kesser Aufsteiger? Ralf Rangnick.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Dass RB Leipzig die Bundesliga anführt, ist keine Sensation. Es ist das Ergebnis fauler Tricks, millionenschwerer Investitionen - und der Schwäche des FC Bayern. Grund genug, sich nicht als Sagrotan-Variante eines Fußballklubs aufzuspielen.
Gerade erst hatte sich Borussia Dortmund am Samstag mit einem hart erkämpften 1:0 gegen Bayern München im Titelkampf der Fußball-Bundesliga zurückgemeldet, da hatte der Trainer des siegreichen BVB einen speziellen Meistertip parat. Nicht die allgegenwärtigen Bayern, sondern der Aufsteiger RB Leipzig könnte am Ende das Rennen machen, prognostizierte Thomas Tuchel. Und einmal in Schwung, verglich der Coach den überraschenden Spitzenreiter Leipzig dann auch gleich mit Leicester City, dem englischen Sensationsmeister der letzten Saison.
Bei allem Respekt vor Tuchels Urteilskraft: Was für ein Unsinn! Sein Vergleich war so schief, dass er schon beinah wieder gerade war. Denn mit dem Siegeszug von Jamie Vardie, Robert Huth & Co. in der englischen Premier League hat das, was da just in der Bundesliga passiert, überhaupt nichts zu tun. Das verdeutlicht schon ein kurzer Blick auf die Finanzen. In der Meistersaison 2015/2016 betrug der Mannschaftsetat von Leicester City etwa 60 Millionen, etwa ein Drittel der Etats aus Manchester und Chelsea, womit sich der Klub im unteren Drittel des Ligagefüges befand.
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußballmagazins "11 Freunde". In seiner Kolumne "Kösters Direktabnahme" greift er jeden Dienstag für n-tv.de ein aktuelles Thema aus der Welt des Fußballs auf. Zudem ist er seit der Saison 2016/17 Bundesligaexperte von n-tv.
Bei RB Leipzig behaupten sie zwar, sich bei den Gehältern im Mittelfeld der Liga zu bewegen - in Wirklichkeit dürfte der Etat längst auf dem Niveau des oberen Drittels angekommen sein. Und es wird in Zukunft noch mehr geklotzt werden. Es ist ja kein Zufall, dass der allgewaltige RB-Herrscher Ralf Rangnick gerade die zuvor so stolz vor sich hergetragene Drei-Millionen-Gehaltsgrenze beerdigt hatte. Und ebenso wenig wird es eine spontane Eingebung des Coaches Ralph Hasenhüttl gewesen sein, dass er in einem Interview verkündete, er sehe aktuell "keine Grenzen" für den Klub. Man kann also das Geplapper vom "kessen Aufsteiger" RB Leipzig gerne beiseitelegen und sagen, was ist: nämlich, dass mit den Leipzigern einen mit den Millionen eines großen Konzerns gemästeter Retortenklub etwas vorzeitig dort angekommen ist, wo er hin wollte, nämlich an die Bundesligaspitze. Und dass es nicht einmal eine halbe Saison gedauert hat, bis die Attitüde des bescheidenen, zurückhaltenden Neulings von den Verantwortlichen ad acta gelegt worden ist.
Nur mal zur Erinnerung: Was hatten sich die Leipziger für ihre vermeintliche Bescheidenheit feiern lassen. Gigantische Gehälter sollte es in Leipzig nicht geben, stattdessen organisches Wachstum. Ein billiger PR-Trick, wie sich nun herausstellt und den die deutsche Medienlandschaft zuvor bereitwillig in die Welt getragen hat. Und das hat System in Leipzig. Dafür dass dort ständig von Fairness und Respekt die Rede ist, wimmelt es in der Klubgeschichte vor Rechtsbeugungen und schmutziger Tricks. Vom kruden Vereinsnamen, der nichts weiter als eine Werbebotschaft ist und einem Wappen, das eigentlich eine Reklametafel ist, über die Lizenzerteilung durch willfährige DFB-Funktionäre, über rüde Methoden in der Nachwuchsarbeit bis hin zu offenkundigen Verstößen gegen das Financial Fairplay, die dem Klub noch gehörigen Ärger bereiten könnten.
All das sollte den Leipzigern eigentlich Grund genug sein, sich selbst nicht ständig als Sagrotan-Variante eines Fußballklubs aufzuspielen. Dass ihnen das gelingt, ist auch zahlreichen Gazetten und Fernsehsender zu verdanken, die inzwischen kaum noch von der Leipziger PR-Abteilung zu unterscheiden sind. Man kann die sportliche Leistung der Leipziger in dieser Saison anerkennen. Man kann RB Leipzig auch schon voreilig zum Meister ausrufen. Man kann, wenn einem alles egal ist, sogar ignorieren, auf welch unsportliche Weise sich Leipzig in die Liga gemogelt hat. Aber man soll bitte nicht so tun, als sei hier ein krasser Außenseiter sensationell und unerwartet auf Titelkurs.
Quelle: ntv.de