Krypto-Crash und Bandenkrieg Bitcoin-Diktator Bukele droht der Bankrott
21.05.2022, 20:45 Uhr
Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele im vergangenen Jahr bei einer Rede im Kongress.
(Foto: AP)
Alles wird besser, das war das Versprechen von El Salvadors Präsident Nayib Bukele. Doch sein Pakt mit den mächtigen kriminellen Banden endet in einem Blutbad. Und nun schwächelt die neue Landeswährung, der Bitcoin. Manche sehen die Staatspleite anklopfen.
Während andere Länder noch in Armut und alten Denkmustern verharren, wird sich El Salvador mit Goldglanz aus seiner Misere erheben, denn: Der dynamische Präsident hat die Zeichen der Zeit erkannt, macht den kleinen zentralamerikanischen Staat zukunftsfähig und zum Vorbild für andere in der Welt. Also investiert euer Geld doch einfach hier in Zentralamerika! Die Kritiker, sie haben natürlich alle keine Ahnung.
Das in etwa ist die Geschichte, die Staatschef Nayib Bukele und dessen Anhänger spätestens seit seiner erfolgreichen Wahl 2019 öffentlich spinnen. Auf Twitter bezeichnet er sich als "coolster Präsident der Welt", "coolster Diktator auf der ganzen Welt", oder einfach nur: CEO von El Salvador.
Zuletzt präsentierte der 40-jährige frühere Unternehmer eine goldene Modell-Vulkanstadt für Krypto-Einwanderer, die Bitcoin City. Er empfing Dutzende Delegationen und Staatschefs aus aller Welt, um über die Chancen des Bitcoin und von Kryptowährungen zu sprechen. Bukele hatte sie eingeladen, weil fraglos etwas Revolutionäres vor sich geht in Zentralamerika: Die Kryptowährung Bitcoin ist seit rund einem Jahr offizielles Zahlungsmittel in El Salvador, zusätzlich zum US-Dollar. Das Experiment läuft, aber es ist unklar, welche Folgen es mittel- bis langfristig haben wird für das Land und seine 6,5 Millionen Einwohner.
Äußerst gefährlich wird das Experiment nun deshalb, weil der Wert des Bitcoin eingebrochen ist, El Salvador ein Schuldenproblem plagt, und die Gewalt im Land eskaliert. Seit der Einführung der neuen Währung hat die Zentralbank des Landes meist in sogenannten Dips, also bei Kurseinbrüchen der äußerst schwankungsanfälligen Kryptowährungen, auf Anweisung Bukeles über 2300 Bitcoins mit Steuergeldern gekauft. Eine offizielle Angabe zum Kryptobesitz gibt es zwar nicht, dies aber ist die Schätzung der auf Finanznachrichten spezialisierten Agentur Bloomberg. Aktuell ist der Bitcoin-Vorrat rund 67 Millionen Dollar wert. Fest steht, dass damit ein Teil des Staatsvermögens außerhalb des regulierten Finanzmarkts liegt.
Im Juni muss das Land rund 40 Millionen Dollar an Schulden zurückzahlen. Doch wegen der Marktfolgen des Krieges in der Ukraine, der grassierenden globalen Inflation und Zinserhöhungen der US-Zentralbank ist die inoffizielle Krypto-Leitwährung mittlerweile auf die Hälfte ihres vorherigen Höchststandes gefallen. In Dollar umgerechnet hat El Salvador deshalb Dutzende Millionen verloren. El Salvador ist mit fast 100 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Wegen der schwierigen Lage heißt es schon mancherorts, es dauere nicht mehr lange bis zum Staatsbankrott und damit einem möglichen Ende des Experiments. Als der Bitcoin-Kurs jüngst unter 30.000 Dollar fiel, kaufte Bukele wieder mit Steuergeld ein: 500 Bitcoin für insgesamt 15,5 Millionen Dollar.
Angst vor Repressionen
Bukele ist ein autoritärer Präsident. Das Parlament ist auf Linie, der Zentralbankchef spricht beim Bitcoin nur von "positiven Risiken", und in der Justiz hat der Präsident nicht nur den Obersten Gerichtshof mit Verbündeten besetzt, sondern ein Drittel aller Richter des Landes ausgetauscht. Schon vor Monaten wollten sich salvadorianische Politikwissenschaftler gegenüber ntv.de gar nicht oder nur anonym äußern, weil sie sonst Repressionen oder Schlimmeres für sich, ihre Familie und Freunde befürchteten. "Wir sind schon in einer Diktatur", sagte einer von ihnen. Die Machtpositionen im Staat seien mit Verwandten und Freunden Bukeles besetzt, und Unternehmer könnten machen, was sie wollen.
Eigentlich sollte mit Gewinnen aus Kryptogeschäften auch die Bitcoin City gebaut werden, eine steuerfreie neue Heimat für Krypto-Einwanderer aus aller Welt, wo mit Vulkanwärme die Digitalwährung auch umweltfreundlich geschürft werden soll. Die in der vergangenen Woche vorgestellten architektonischen Modelle der Stadt muten allerdings an wie der Traum eines Größenwahnsinnigen.
Mit dem futuristischen Plan wollte Bukele neue Anleger anlocken: Im November 2021 warb er für eine spezielle "Vulkananleihe" mit einer Gesamtsumme von einer Milliarde Dollar und 6,5 Prozent Zinsausschüttung nach fünf Jahren Laufzeit. Mit der Hälfte der Einnahmen sollte der Bau der Bitcoin City finanziert werden. Die andere Hälfte sollte in Bitcoin fließen, mit dessen Kursgewinnen dann die Rückzahlung erfolgen würde. Doch die Anleihe ist noch immer nicht zur Zeichnung freigegeben.
"Wir warten auf den richtigen Moment und den Präsidenten", sagte der Finanzminister von El Salvador zu Anfang des Monats: "Es hängt vom Marktzustand ab." Und der ist nicht gut. Schon die aktuellen Staatsanleihen sind kein Renner und werden zu einem Bruchteil des Ausgabepreises gehandelt. Vor der Einführung des Bitcoin im vergangenen Jahr hatten verschiedene Ratingagenturen das Land bereits auf negative Kreditwürdigkeit abgestuft. Zudem stellt sich die Frage: Warum sollte jemand sein Geld in die "Vulkananleihe" stecken, wenn er einfach selbst Bitcoin kaufen kann - nur ohne das Risiko El Salvador?
Im Alltag spielt Bitcoin keine Rolle
Manche sehen in der schlechten Kreditwürdigkeit des Landes den Grund, warum Bukele überhaupt das Experiment mit der Kryptowährung begann: El Salvador braucht Geld. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hätte El Salvador mit 1,3 Milliarden Dollar unter die Arme gegriffen, legte den Kredit aber wegen des Bitcoin-Abenteuers Anfang des Jahres auf Eis. Der Organisation sind Kryptowährungen zu unsicher und zu intransparent. Ganz zu schweigen von ihrer Eignung für illegale Geschäfte und Geldwäsche. Will das Land den Kredit, muss der Währung wieder der offizielle Status aberkannt werden, fordert der IWF.
Die Risiken des unregulierten Kryptomarktes sind für das Land ein Fluch. El Salvador besitze die unsichersten Auslandsschulden ("distressed sovereign debt") der Welt, wurde etwa der US-Wirtschaftswissenschaftler Steve Hanke Anfang des Jahres im US-Magazin "Fortune" zitiert. Und dies liege am Bitcoin: "Die Marktakteure denken, dass Bukele verrückt geworden ist, und das ist er." Seit dieser Einschätzung hat sich die Kreditwürdigkeit El Salvadors noch weiter verschlechtert, Die Rating-Agentur Fitch etwa sieht sie auf Ramschniveau CCC. Für Bukele wird es also immer schwieriger, an Geld zu kommen.
Im Alltag der Salvadorianer spielt Bitcoin keine große Rolle, was neben den heftigen Kursschwankungen auch mit nicht überall verfügbarem Internet, fehlender Technik und mangelhafter Stromversorgung zusammenhängt. Zur Einführung hatten die Bürger 30 Dollar in Bitcoin erhalten, auf die sie mit der eigenen App "Chivo" ("cool") zugreifen konnten. Einer vorläufigen Studie zufolge haben die meisten danach die Kryptowährung seither jedoch nie wieder verwendet. "Es gibt kein Experiment, bei dem eine Währung mit so starken Anreizen eingeführt wurde und trotzdem gescheitert ist", zitiert das Magazin "Rest of World" einen der Studienautoren. Bei der Einführung warb Bukele damit, so den Zahlungsverkehr für die Bevölkerung vereinfachen und ärmeren Menschen die Möglichkeit zu bargeldlosem Bezahlen geben zu wollen.
Tatsächlich bringt die internationale Aufmerksamkeit für El Salvador Geld ins Land, aber in die Staatskasse nur indirekt. Die nationale Tourismusbehörde gibt an, die Zahl der ausländischen Besucher sei zuletzt deutlich gestiegen. Dies dürfte aber vor allem mit der immer weniger öffentlich präsenten Corona-Pandemie und größerer Reiselust zu tun haben. El Salvador hat wegen Armut, Korruption und Kriminalität allerdings einen schlechten Ruf. Und derzeit ist das Land für Reisende nicht unbedingt attraktiv.

Zehntausende Menschen haben die Sicherheitskräfte in den Wochen des Ausnahmezustands festgenommen.
(Foto: AP)
Seit Ende März gilt der offizielle Ausnahmezustand. Die Versammlungsfreiheit ist ausgesetzt, die Polizei kann jeden bis zu zwei Wochen grundlos festhalten und Telekommunikation ohne juristische Anordnung überwachen. Mit diesem Freibrief und aller Härte gehen die Sicherheitskräfte seither vor und haben mehr als 30.000 Menschen ins Gefängnis gesteckt. Auslöser war ein blutiges Wochenende, an dem Mitglieder von kriminellen Banden 87 Morde verübten - mehr als im gesamten Monat Februar. Sicherheitskräfte nahmen allein am Folgetag mehr als 600 Mitglieder fest. In Gefängnissen wurden Häftlinge nicht mehr aus ihren Zellen gelassen und Privilegien gestrichen.
Gekaufte Zurückhaltung krimineller Banden
Der Gewaltausbruch und die Festnahmewelle gelten als Folge einer beendeten Allianz zwischen Regierung und den sogenannten Pandillas, die viele Viertel der Hauptstadt San Salvador kontrollieren. Um an die Macht zu kommen, hatte Bukele vor seiner Wahl einen Pakt mit den Pandillas geschlossen. Den Informationen des Investigativmediums "El Faro" sowie der US-Regierung zufolge, schmierten er und spätere Regierungsmitglieder die beiden einflussreichsten Gangs, MS-13 alias Maras, sowie Barrio 18. Für das Geld halfen die Pandillas unter anderem beim Wahlkampf und hielten sich bei ihren kriminellen Aktivitäten, etwa beim Morden, zurück. Bandenköpfe in Gefängnissen wurden mit Privilegien ausgestattet, erhielten beispielswiese Smartphones und durften Besuch von Sexarbeitenden empfangen.
Bukele war Bürgermeister der Stadt, bevor er sich zur Präsidentschaftswahl stellte. Wegen des Deals verhängte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen zwei Regierungsmitglieder. Als der Generalstaatsanwalt von El Salvador ankündigte, in dem Fall ermitteln zu wollen, setzte Bukele ihn ab. Recherchierende Journalisten und aktive Bürgerrechtler wurden illegal belauscht.
Der Präsident hatte sich mit seinem erfolgreichen Kampf gegen Kriminalität und der niedrigeren Mordrate zuvor immer gebrüstet. Im regionalen Vergleich ist Bukele bei der Bevölkerung immer noch äußerst beliebt, auch der Ausnahmezustand wird von einer Mehrheit befürwortet. Aber die brutalen Folgen könnten Bukele in Schwierigkeiten bringen.
Im vergangenen Monat verabschiedete das Parlament ein neues Mediengesetz. Es ist nun verboten, Mitteilungen von Pandillas zu veröffentlichen. Die Frage ist, warum der Pakt überhaupt zerbrach. Eine These ist, dass Bukele schlicht das Geld fehlte, um die Pandillas für ihre weitere Unterstützung bezahlen zu können. Dies könnte wiederum auch mit dem gefallenen Bitcoin-Kurs zu tun haben. Der könnte sich, wie bislang immer, selbstverständlich auch wieder erholen. Noch ist dafür Zeit. Im kommenden Januar muss das verschuldete Land 800 Millionen Dollar auf einen Schlag zurückzahlen. Geht es bankrott, hätte sich Bukele auf Kosten von Millionen Menschen verzockt.
Quelle: ntv.de