Achterbahnfahrt für Tech-Aktien China lässt schärfere Regeln für Videospiele heimlich verschwinden
29.01.2024, 18:02 Uhr Artikel anhören
Als China letztes Jahr die Asienspiele ausrichtete, war E-Sport sogar eine Medaillenveranstaltung.
(Foto: IMAGO/Pond5 Images)
Videospiele sind in China äußerst populär und ein Dorn im Auge der kommunistischen Regierungspartei. In Sorge um die Gesundheit junger Menschen veranlasst eine Behörde Änderungen für den Industriezweig - mit finanziellen Folgen. Nun folgt ganz still und heimlich die Rolle rückwärts.
Peking macht einen Rückzieher: Die neuen Regeln für die chinesische Videospielindustrie schickten die Aktien der größten Entwickler wie Tencent und Netease Ende 2023 auf Talfahrt, kappten deren Marktwert um Dutzende Milliarden Dollar. Knapp einen Monat später sind die von der National Press and Publication Administration (NPPA) beantragten Vorschläge zur stärkeren Reglementierung von Videospielen still und heimlich wieder verschwunden. Wer die Webseite dazu aufrufen will, bekommt dort nur den Fehlercode 404 zu sehen.
War also alles nur ein Fehler? Die Auswirkungen der Ankündigung hat Peking in jedem Fall unterschätzt. Der Vorschlag, sowohl die Spieldauer in China zu regulieren als auch die In-Game-Käufe und Belohnungssysteme zu beschneiden, hatte die chinesische Videospielindustrie und Anleger in Sorge versetzt. An den Handelsplätzen in New York, Hongkong und Shanghai schrumpfte der Wert der größten chinesischen Entwickler innerhalb weniger Tage um rund 80 Milliarden Dollar. Ein herber Schlag für den Marktführer im Bereich der Online-Spiele.
Der Schritt hatte die gesamte Industrie kurz vor dem wichtigen Weihnachtsgeschäft überrascht. Die regierende Kommunistische Partei Chinas äußert zwar regelmäßig ihre Besorgnis über mögliche Online-Spielsüchte, Zocken ist aber gesellschaftlich enorm populär. Als die Stadt Hangzhou letztes Jahr die Asienspiele ausrichtete, war E-Sport zum ersten Mal eine Medaillenveranstaltung - und mit den meisten gewonnenen Goldmedaillen auch die erfolgreichste Nation in der neuen Sparte.
China übt sich in Schadensbegrenzung
Was solche einschneidenden Regulierungen in der Videospielbranche auslösen, müsste Peking eigentlich wissen. Bereits 2021 verhängten Behörden Einschränkungen für die Zeitdauer, die Minderjährige mit Spielen verbringen durften. Damals wurden monatelang keine neuen Spiellizenzen vergeben. Die Zahl der Spieler reduzierte sich in der Folge drastisch von 120 Millionen (2020) auf 83 Millionen (2022). Und dennoch blieb das Geschäft mit den Spielen lukrativ, rund 43 Milliarden Dollar erwirtschaftete der Industriezweig 2022 allein auf dem heimischen Markt.
Entsprechend versucht Peking nach dem jüngsten Marktdesaster die Branchenpanik einzudämmen. In erster Instanz wurden zum Jahresende eine ganze Reihe an Spieletiteln von der NPPA zugelassen - im Schnitt rund 20 Prozent mehr als in den Vormonaten. Ein Sündenbock für den Kurssturz war auch schnell gefunden. Feng Shixin, ein hochrangiger Beamter, der die chinesische Videospielindustrie beaufsichtigt, wurde zum Rücktritt gedrängt, weil er als Verantwortlicher die neuen Regeln "nicht angemessen kommuniziert" habe. Mittlerweile haben sich die Kurse von Tencent und Co. wieder gefangen, Werte wie vor dem Einbruch aber noch nicht erreicht.
Auf die nun erfolgte Rolle rückwärts der chinesischen Regierung haben Investoren sogar gewettet. Der Federated Hermes Asia Ex-Japan Equity Fund, einer der erfolgreichsten Fonds der letzten drei Jahre, nahm Tencent nach dem Kurseinbruch in sein Portfolio auf. "Die Investition spiegelt den eigentlichen Optimismus in Bezug auf die angeschlagenen Branche wider", sagte Fondsmanager Jonathan Pines in einem Statement. Im Mai 2023 hatte er Tencent aus dem Fonds genommen, mit der Begründung, es fehle an Attraktivität. Sieben Monate später waren die Aktien des Spielentwicklers zu günstig und die Branche "too big to fail".
Lerneffekt in Peking?
Eine gewisse Verunsicherung bleibt also. Das hat bei den Entwicklern bereits zum Umdenken geführt. Viele chinesische Entwickler haben bereits begonnen, ihre Projekte auf Spiele für das Ausland zu konzentrieren. Zudem kauften Netease und Tencent Entwicklerstudios in Ländern wie Frankreich, Japan und den Vereinigten Staaten.
Dass neue Regeln unter den Teppich gekehrt werden, könnte sogar als positive Entwicklung interpretiert werden - zumindest wenn es um ganze Wirtschaftsbranchen geht. Die Regulierung 2021 im Videospielbereich lief nach Plan: Peking konnte jüngere Spieler seiner Ansicht nach schützen, die Umsätze kletterten trotz sinkender Nutzerzahlen. Ende 2023 ging der erneute Versuch dann gehörig schief und China versucht nun die Risse zu kitten.
Bei einzelnen Technologieunternehmen reguliert China weiterhin mit harter Hand. 2021 legte die Tiktok-Muttergesellschaft Bytedance Pläne für einen Börsengang auf Eis, nachdem die chinesischen Behörden das Unternehmen aufgefordert hatten, sich zunächst auf die Bewältigung von Datensicherheitsrisiken und anderen Problemen zu konzentrieren. Das gleiche Schicksal könnte nun dem Online-Händler Shein drohen. Auch hier mahnt Peking mutmaßliche Lücken bei der Datensicherheit an.
Quelle: ntv.de