Wirtschaft

"Existenzielle Gefahr" Darum zoffen sich Bahn und GDL über "Fair Train"

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Wann die Verhandlung in Hessen beginnen wird, steht noch nicht fest.

Wann die Verhandlung in Hessen beginnen wird, steht noch nicht fest.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit der Genossenschaft Fair Train versuchen hochrangige GDL-Funktionäre, höhere Gehälter durchzudrücken - und erzürnen damit die Bahn. Die zieht nun vor Gericht.

Die Logos der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Lokführer-Genossenschaft Fair Train sehen sich ziemlich ähnlich: grüne Schrift, ein schwungvoller Strich über den Buchstaben und darunter rote und gelbe Kästchen, die an Schienen erinnern. Kein reiner Zufall, denn auch in den Führungsetagen beider Organisationen gibt es Überschneidungen.

Fair Train verleiht Lokführer an andere Unternehmen, darunter theoretisch auch: die Deutsche Bahn (DB). Sie soll die geliehenen Lokführer dann im besten Fall für mehr Geld einkaufen, als sie festangestellt bei der Bahn verdienen würden. Der Konzern sieht darin einen Trick, um so Gehaltserhöhungen durchzudrücken - und hat erhebliche Zweifel daran, dass diese Praxis erlaubt ist. Deshalb klagt die Bahn nun vor dem Landesarbeitsgericht Hessen.

Ab kommenden Montag sind wieder Ausstände möglich, dann läuft die vom GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky verkündete Streikpause aus. Die Hoffnung der Bahn ist auch, mit dem juristischen Kniff Streiks in Zukunft zu verhindern. Doch wie aussichtsreich ist das und wer steckt überhaupt hinter Fair Train?

"Die Eisenbahner nehmen ihr Schicksal in Zukunft schrittweise in die eigenen Hände", lautete die Kampfansage des scheidenden GDL-Bundesvorsitzenden Weselsky vergangenen Sommer, als er die Gründung der Fair Train e.G. verkündete. Konkret sollen Eisenbahner zum Beispiel bei der Deutschen Bahn kündigen, um dann bei Fair Train als eingetragener Genossenschaft (e.G.) zu besseren Bedingungen angestellt und von dort wieder an die Bahn ausgeliehen zu werden. Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hatte Fair Train erhalten. Im September unterschrieb sie einen Tarifvertrag mit der GDL, um "der Negativentwicklung bei den sozialen Standards im Eisenbahnmarkt entgegenzuwirken".

Personelle Verflechtungen

Die Bahn wiederum moniert: "Die Gewerkschaft wurde mit der Gründung ihrer Leiharbeiter-Genossenschaft gleichzeitig auch Arbeitgeber und hat quasi mit sich selbst einen Tarifvertrag verhandelt und geschlossen." Das sei ein unzulässiges In-sich-Geschäft mit erheblichen Interessenkonflikten.

Vor allem gebe es starke personelle Verflechtungen. Tatsächlich zählt der gesamte geschäftsführende GDL-Vorstand zu den Gründungsmitgliedern von Fair Train. Die stellvertretenden Bundesvorsitzenden der GDL, Lars Jedinat, Lutz Schreiber und Mario Reiß, sind alle drei Mitglieder im Aufsichtsrat von Fair Train. Reiß ist sogar Aufsichtsratsvorsitzender - soll aber gleichzeitig bald Claus Weselsky an der Spitze der GDL ablösen. Weselsky selbst hat bei Fair Train kein Amt inne, gehört jedoch ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern. Auch der frühere GDL-Geschäftsführer Thomas Schütze ist nun bei Fair Train Vorstandsmitglied.

Mitglied bei Fair Train kann seit Juni 2023 jeder werden - allerdings nur, wenn er oder sie auch Mitglied bei der GDL ist. Die Genossenschaft hatte angekündigt, zum Jahresende 2023 den Verleihbetrieb aufzunehmen. Doch aus Kreisen der Bahn heißt es, dass bisher weder ein Bahn-Mitarbeiter deswegen gekündigt habe noch jemand von Fair Train ausgeliehen wurde. Auch größeres Interesse, den Job zu wechseln, nehme man bisher nicht wahr. Von Fair Train gab es keine Antwort dazu, wie viele Lokführer bisher zu welchen Konditionen von der Bahn zur Genossenschaft gewechselt sind. Auch die GDL ließ eine "Capital"-Anfrage unbeantwortet.

Gleichzeitig als Gewerkschaft und als Arbeitgeber aktiv zu sein, sieht der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott kritisch, wenngleich er der GDL eine gewisse Kreativität für diese Konstruktion bescheinigt. "Die Idee hatte bisher so noch keiner", so Fuhlrott zu Capital. "Herr Weselsky hat sich da auf ein bislang unbetretenes Rechtsgebiet gewagt. Eine konkrete Rechtsprechung für einen Fall wie diesen gibt es bisher nicht." Gesetzlich sei nur geregelt, dass Gewerkschaften gegründet werden dürfen, dass sie streiken und für die Lohnbedingungen von Mitarbeitenden eintreten dürfen. "Wenn eine Gewerkschaft jetzt ein Unternehmen gründet, ist das nicht mehr das typische Gewerkschaftsgeschäft - selbst wenn das Ziel ist, die Lohnbedingungen für Arbeitnehmer zu verbessern."

Gerichte müssen entscheiden

Diese Doppelrolle sei problematisch, sagt Jurist Fuhlrott. Komme es zwischen GDL und Fair Train etwa zu Konflikten, bei denen Mitarbeitende von Fair Train ihren Arbeitgeber bestreiken wollen, stelle sich die Frage. "Ist man Gewerkschaft oder Leiharbeitsunternehmen?"

Genau diese Frage will die Bahn jetzt vor Gericht per Feststellungsklage klären lassen. Denn am Verhandlungstisch war die GDL zu Gesprächen demnach nicht bereit. "Leider verweigerte die Lokführergewerkschaft bisher am Verhandlungstisch die Klärung dieser entscheidenden Frage", sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. "Da sie die Verhandlungen für gescheitert erklärt und die weiteren Termine abgesagt hat, sind wir jetzt zu diesem Schritt gezwungen."

Von dem Urteil erhofft sich die Bahn Klarheit. "Wir müssen rechtssicher wissen, ob wir einen handlungsfähigen Tarifpartner haben. Schließlich befinden wir uns in einer laufenden Tarifrunde", so Seiler. Bekäme die Bahn recht, würde die GDL ihre Tariffähigkeit verlieren. Das hätte gravierende Auswirkungen: Sie dürfte dann keine Tarifverträge mehr abschließen und hätte nach Argumentation der Bahn auch kein legitimes Streikziel mehr.

Auch alte Tarifverträge könnten dann unwirksam werden. Welche genau betroffen sind, muss ebenfalls ein Gericht entscheiden. Sollte die GDL im Verfahren merken, dass es nicht zu ihren Gunsten läuft, könnte sie die Fair Train abstoßen oder den Geschäftsbetrieb ganz einstellen, um der Tarifunfähigkeit zu entgehen. Andere denkbare Lösungen wären Absprachen dazu, wer zum Beispiel wo abgeworben werden darf oder aber eine personelle Entflechtung.

Wohl keine Auswirkungen auf neue Streikrunde

Egal zu wessen Gunsten das Urteil des hessischen Landesarbeitsgerichts ausfallen wird, die Gegenseite wird nach Einschätzung Fuhlrotts wohl vor die nächste Instanz und damit das Bundesarbeitsgericht ziehen. Für möglich hält Arbeitsrechtsexperte Fuhlrott auch einen Gang bis nach Karlsruhe vors Bundesverfassungsgericht, da es um grundgesetzliche Rechtspositionen gehe. Eine endgültige Entscheidung könnte daher erst in mehreren Jahren fallen.

Schließlich müsste die Bahn auch ein positives Urteil für die GDL akzeptieren. Sollte das Modell Fair Train tatsächlich zum Erfolg führen, würde das einerseits die Popularität der GDL deutlich steigern, die in ständiger Konkurrenz mit der deutlich größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) steht. Andererseits wäre es für die Bahn eine "existenzielle Gefahr", sagt Fuhlrott. "Wenn die Bahn Lokführer für deutlich mehr Geld bei Fair Train leihen muss, wird das zu einem höheren Lohnniveau auf dem ganzen Eisenbahnermarkt führen."

Wie also geht es nun weiter in diesem Streit? Wann die Verhandlung in Hessen beginnen wird, steht laut Gericht noch nicht fest. Üblicherweise habe die Gegenseite nach Eingang der Klage einen Monat Zeit, um Stellung zu beziehen, bevor der Richter oder die Richterin einen Termin zum Verfahrensbeginn festlege. Wie das jetzt im Fall der Bahn gegen die GDL gehandhabt werde, sei noch nicht klar, sagt eine Sprecherin des Hessischen Landesarbeitsgerichts zu "Capital".

Auf die angekündigten Streiks wird die Klage ohnehin kaum Auswirkungen haben. Laut Fuhlrott ist es denkbar, dass die DB erneut versuchen wird, den Streik gerichtlich untersagen zu lassen. Dies müsste sie dann auf dem Wege des sogenannten einstweiligen Rechtsschutzes machen, also in einem besonders beschleunigten Verfahren. "Dabei wird sie vermutlich auch die fehlende Tariffähigkeit der GDL geltend machen", sagt der Experte. "Aber ich bezweifle, dass das Gericht das diskutieren wird. Noch ist die GDL eine Gewerkschaft und der Streik ist nicht offensichtlich rechtswidrig."

Dieser Text erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de

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