Forscher: Junge nicht illoyal "Der Job eines Vaters muss heute zum Familienleben passen"
16.04.2023, 15:34 Uhr Artikel anhören
"Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, müssen ihre Jobs zum Familienleben passen, Eltern brauchen Flexibilität", betont Arbeitsmarktforscher Enzo Weber.
(Foto: picture alliance / dpa-tmn)
Die unter 30-Jährigen wollen gar nicht weniger arbeiten als frühere junge Generationen, stellt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit klar. Die "Generation Z" möchte nur anders arbeiten - und hat gute Gründe dafür. Mit einer neuen Illoyalität gegenüber den Arbeitgebern hat das laut dem Arbeitsmarktexperten wenig zu tun.
ntv.de: Laut aktuellen Umfragen ist die "Generation Z" besonders illoyal gegenüber ihren Arbeitgebern, ihr Wunsch nach einem Jobwechsel stärker ausgeprägt als in anderen Altersklassen. Zeigen das auch Ihre Forschungsergebnisse?
Enzo Weber: Eine Kündigungswelle wie in der Corona-Pandemie in den USA gab es in Deutschland nicht. Hierzulande haben sogar weniger Menschen den Job gewechselt als vor der Pandemie. Aber natürlich sind junge Menschen weniger an ihren Job gebunden als ältere. Sie haben viel öfter befristete Verträge und oft noch nicht den Arbeitsplatz gefunden, auf dem sie sich längerfristig niederlassen wollen. Außerdem haben Jüngere ein geringeres betriebsspezifisches Humankapital, also interne Erfahrungen und Netzwerke. Eine schwächere Bindung Jüngerer ist deshalb ganz normal, unabhängig von der Generation.
Die heutige junge Generation unterscheidet sich mit ihren Ansprüchen an den Arbeitgeber also gar nicht von ihren Vorgängern?
Doch, natürlich haben sich Dinge geändert, zum Beispiel Haushaltsmodelle. Frühere junge Generationen sind teils mit der Erwartung aufgewachsen, dass eine Frau irgendwann Hausfrau und ein Mann Alleinverdiener wird. Mit dieser Erwartung wächst heute niemand mehr auf. Das hat Folgen: Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, müssen ihre Jobs zum Familienleben passen, Eltern brauchen Flexibilität. Früher musste der Job eines Vaters nicht zum Familienleben passen. Der "Corona-Schock" hat gezeigt, dass das auch geht: Man kann mobil und flexibel arbeiten. Dieser "Schock" prägt die Eintrittsbedingungen ins Berufsleben der Generation Z maßgeblich.
Und wegen des Fachkräftemangels kann diese Generation ihre Wünsche besser durchsetzen als frühere junge Generationen.
Genau, meine Generation der 80er Jahre zum Beispiel ist zu Zeiten von Massenarbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt eingetreten. Etwas zu fordern, lag da relativ fern - man konnte froh sein, etwas Vernünftiges gefunden zu haben. Heute sind zwei Millionen Stellen unbesetzt, ein Rekord. Da kann man Wünsche eher umsetzen. Das gilt aber nicht nur für die Generation Z. Mobilarbeit und Ähnliches fordern auch 40-Jährige.
Ein Grund für einen Wechselwunsch ist laut der Umfrage für 42 Prozent ein hohes Stresslevel. Fühlen sich Jüngere schneller gestresst oder hat die Arbeitsverdichtung tatsächlich stark zugenommen, sodass im Durchschnitt mehr geleistet werden muss als früher?
Zufriedenheit im Job kommt von Selbstbestimmung, Unzufriedenheit von Fremdbestimmung: Wenn ich ständig Terminstress oder Überstunden aufgedrückt bekomme, immer jemand anderes entscheidet. Aber natürlich entsteht auch Stress, wenn ich zwar selbstbestimmt bin, aber zu viele Aufgaben habe. Dafür, dass junge Leute heute weniger Stress vertragen als früher, habe ich keine Evidenz.
Der Vorwurf von einigen älteren Angestellten, ihren jüngeren Kollegen mangele es an Einsatzbereitschaft bzw. Arbeitsethos, trifft in Ihren Augen also nicht zu?
Nein, das sehe ich nicht. Die häufig geäußerte Behauptung, die jungen Menschen wollten weniger arbeiten, stimmt nicht. Die Arbeitszeitwünsche sind seit Jahrzehnten ähnlich. Bei Männern sind sie ein wenig gesunken, bei Frauen sogar eher gestiegen. Wenn junge Menschen, die "noch nichts geleistet" haben, wie man meinen könnte, nun Forderungen wie den freien Freitag stellen, kann man das als mangelnde Leistungsbereitschaft fehlinterpretieren. Ich gehe stattdessen davon aus, dass sie nicht ein Weniger, sondern ein Anders verlangen. Was allerdings stimmt: Die Bindung an den Arbeitgeber ist gesunken, aber auch, wenn man Alterseffekte ausblendet, also unabhängig von Generationen.

Enzo Weber leitet den IAB-Forschungsbereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen.
(Foto: Michael Bode)
Wie können Arbeitgeber die Loyalität ihrer Mitarbeiter fördern, unter welchen Bedingungen fühlen sich Beschäftigte mit ihnen verbunden?
Ich empfehle, auf die wesentlichen Dinge zu gucken. Man muss nicht jeden Schickimicki-Trend mitmachen, der vielleicht aus dem Silicon Valley kommt. Wirklich essenziell sind selbstbestimmte Arbeitszeiten und ein gutes Mobilarbeits-Konzept. Das ist fundamental, wenn man Beruf und Kinderbetreuung in Einklang bringen will. Daneben ist eine persönliche Entwicklungsperspektive wichtig. Wir erleben starke Umwälzungen wie die Digitalisierung und die ökologische Transformation, die es in den vorigen jungen Generationen nicht gab. Ein Job muss da bedeuten: Du kannst daran wachsen, dich weiterentwickeln und einbringen. Arbeitgeber sollten keine Generationenkonflikte daraus machen, von wegen: Die jungen Leute kriegen etwas, weil sie laut schreien. Es muss nicht jeder dasselbe bekommen, aber Arbeitgeber sollten alle auf Augenhöhe behandeln, nach den individuellen Wünschen. Die große Herausforderung ist dann, alle Wünsche organisatorisch unter einen Hut zu kriegen. Das ist komplex, aber wichtig.
Welche Rolle spielt dabei das Gehalt?
Dass Arbeitskräfte knapp sind, zeigt sich auch bei den Löhnen. Auf der anderen Seite erleben wir nun schon seit drei Jahren einen Reallohnverlust: Die Gehälter sind weniger gestiegen als die Preise. Aber die Löhne werden künftig anziehen. Allerdings gehört zu einem Job nicht nur das Gehalt, heute sind die Arbeitsbedingungen essenziell. Wenn die nicht passen, bekommt man Leute auch nicht mit ein bisschen mehr Gehalt. Es ist wichtig, dass Beschäftigte nicht nur Schmerzensgeld kriegen, sondern gar nicht erst Schmerzen entstehen.
Mit welchen Ansprüchen haben sich die jungen Arbeitnehmer bereits auf dem Arbeitsmarkt durchgesetzt?
Mobilarbeit steht heute ganz anders da, wenn auch nicht mehr so stark wie zu Lockdown-Zeiten. Das hängt aber wie gesagt nicht nur an den Jüngeren. Wer heute fünf Tage die Woche Büro-Präsenz verlangt, kann die Stelle gleich streichen. Und die Arbeitszeiten sind flexibler geworden.
Zeigt sich das auch in Berufen, die sich nicht am Schreibtisch erledigen lassen?
Auch bei Handwerkern und in anderen Berufen denkt man mehr und mehr daran. Früher war es oft undenkbar, dass zum Beispiel nicht jeder dieselbe Arbeitszeit hat. In Handwerk oder Industrie trifft das natürlich auf eine andere Betriebskultur. Bis das in der Breite ankommt, kann es noch ein bisschen dauern.
Andererseits wird der Fachkräftemangel infolge des demografischen Wandels weiter wachsen. Solche Veränderungen werden also zunehmen, oder?
Davon ist auszugehen. Bis 2035 verlieren wir aus demografischen Gründen sieben Millionen Arbeitskräfte. Das lässt sich zumindest zum Teil über Zuwanderung und eine stärkere Beteiligung am Arbeitsmarkt ausgleichen. Aber der Wettbewerb um Arbeitskräfte wird noch intensiver. Dabei sind die genannten Punkte wesentlich.
Sie hatten auch befristete Arbeitsverträge angesprochen. Kein Wunder, dass sich Angestellte damit immer ein wenig auf dem Absprung fühlen, oder?
Das stimmt. Infolge des Fachkräftemangels ist auch die Befristungsquote gesunken. Zuvor in den 2000ern war sie aber deutlich gestiegen. Akademiker sind am Anfang ihres Arbeitslebens immer noch oft befristet angestellt, bei den meisten folgt im Lauf des Berufslebens aber eine Dauerstelle mit guter beruflicher Entwicklung.
Sind junge Menschen heute nicht auch weniger ortsgebunden und dadurch weniger stark mit ihrem Arbeitgeber verbunden?
Durch mobiles Arbeiten kann man den Arbeitsmarktkreis erweitern. Wenn ich nur einmal pro Woche ins Büro muss, kann das auch viel weiter weg liegen als früher. Dadurch nimmt auch für Arbeitgeber der Arbeitsmarktkreis zu. Für ihre Jobs können sie nicht mehr nur im eigenen Landkreis suchen. Jemand, der inhaltlich am besten für die Stelle passt, kann auch weiter weg wohnen.
Mit Enzo Weber sprach Christina Lohner
Quelle: ntv.de