Wirtschaft

Urlauber froh, Türken nicht Erdogans Joker kann Lira-Absturz nicht verhindern

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Erdogan bezeichnet sich als "Zinsfeind".

Erdogan bezeichnet sich als "Zinsfeind".

(Foto: REUTERS)

Mit der Ernennung eines neuen Finanzministers will der türkische Präsident Erdogan das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen. Doch das funktioniert bisher nicht. Die Landeswährung verliert immer weiter kräftig an Wert.

Die rasante Talfahrt der türkischen Lira geht weiter. Die Landeswährung fällt gegenüber dem Euro und dem Dollar auf neuen historische Tiefstände. Am gestrigen Mittwoch hatte die Lira zum Dollar rund sieben Prozent eingebüßt - das ist der größte Tagesverlust seit zwei Jahren. Die Lira hat damit in diesem Jahr bereits rund 25 Prozent an Wert verloren, nachdem sie in den Vorjahren schon unter die Räder gekommen war.

US-Dollar / Türkische Lira
US-Dollar / Türkische Lira 27,42

Das ist insofern überraschend, weil Präsident Recep Tayyip Erdogan nach seinem Wahlsieg den erfahrenen Ökonomen Mehmet Simsek zum Finanzminister ernannt hatte. Dieser hatte angekündigt, dass sein Land zu "rationalen Grundlagen" in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zurückkehre. Inwieweit Erdogan ihm freie Hand lässt, bleibt allerdings abzuwarten. Simsek war bereits 2009 und 2018 Finanzminister der Türkei.

Erdogan bezeichnet sich als "Zinsfeind", sieht in Zinsen die "Mutter allen Übels" und vertritt eine unorthodoxe Geldpolitik. Entgegen der ökonomischen Lehre und den praktischen Erfahrungen aus der Vergangenheit argumentiert er, dass niedrige Zinsen für niedrige Inflation sorgen und hohe Zinsen für hohe Inflation. Erdogan feuerte mehrere Notenbankchefs und Finanzminister, um seinen Wunsch nach niedrigen Zinsen durchzusetzen.

Auch der Leiter der Statistikbehörde musste im vergangenen Jahr gehen. Erdogan warf ihm vor, er habe das Ausmaß der Inflation übertrieben dargestellt. Im vergangenen Jahr war die Inflation offiziellen Zahlen zufolge auf bis zu 85 Prozent nach oben geschossen. Im Mai lag die allgemeine Teuerung noch bei knapp 40 Prozent. Zur Einordnung: Die in Istanbul ansässige unabhängige Inflations-Forschungsgruppe ENAG beziffert die Teuerung landesweit auf rund 109 Prozent.

"Kein geldpolitischer Sommer"

Unabhängig davon, wie hoch die Inflation tatsächlich ist: Hauptursache für die rasant steigenden Preise ist die schwache Lira. Sie macht Einfuhren - etwa Rohstoffe - teurer. Hinter Erdogans Wunsch nach niedrigen Zinsen dürfte das Kalkül stehen, damit für Wirtschaftswachstum zu sorgen. Denn billige Kredite sorgen tendenziell für mehr Konsum und Investitionen. Auch die Exportindustrie, da ihre Produkte auf dem Weltmarkt günstiger werden. Für die vom Tourismus geprägte Türkei kommt hinzu, dass Urlaub in dem Land durch eine schwache Währung attraktiver wird.

Ein Grund für den aktuellen Kursrutsch der Lira könnte sein, dass die türkische Notenbank ihre Eingriffe in den Devisenmarkt mittlerweile zurückgefahren hat. Händlern zufolge hatte sie die Lira vor der Stichwahl aufgrund politischen Drucks gestützt, indem sie Devisen verkaufte.

"Was die Anleger in der Türkei sehen wollen, ist nicht, wie talentiert Mehmet Simsek im Finanzbereich ist, sondern wie widerstandsfähig er gegenüber dem Niedrigzinsdruck aus dem Präsidialamt sein wird", sagt Ipek Ozkardeskaya, Analystin bei Swissquote, einer Schweizer Online-Bank. Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann sieht das genauso: "Ein Finanzminister macht keinen geldpolitischen Sommer". Aufschluss über die künftige Geldpolitik dürfte eine anstehende Personal-Entscheidung Erdogans geben: Der Präsident will einen neuen Zentralbankgouverneur ernennen.

Quelle: ntv.de, jga/dpa/rts/DJ

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