Wirtschaft

Mallorca-Reisen trotz Corona "Es gibt eine gewisse Grundaggression"

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Die Tische in Santanyi auf Mallorca sind vor Ostern ganz gut besetzt.

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Mutig, frech oder gutes Recht? Das Thema Osterferien auf Mallorca spaltet die Nation. Nach einem Jahr Pandemie beobachtet Mobilitätsforscher Andreas Knie wachsenden Frust bei den Deutschen. Daneben gebe es aber auch den "unbedingten Wunsch, sich politisch korrekt zu verhalten", sagt der Soziologe vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Eine Zwickmühle, die manchen dazu animiert, über die eigenen Reisepläne zu schweigen.

ntv.de: An den Mallorca-Reisen zu Ostern scheiden sich gerade die Geister. Wie heftig fällt den Deutschen die Decke nach einem Jahr Pandemie auf den Kopf?

Andreas Knie: Wir befragen die Deutschen regelmäßig, und ich muss sagen, momentan ist es ganz schlimm. Ich habe mal gesagt, dass die Pandemie wie "Mehltau auf den Deutschen" liegt, jetzt wird aus dem Mehltau doch so etwas wie eine Grundaggression. Wir stellen fest, dass die Leute sehr unruhig und sehr deprimiert sind. Sie haben einfach keine Perspektive, keine Hoffnung. Alle sind sehr unzufrieden.

Offenbar gibt es eine wachsende Reisescham. Einige wollen ihren Familien und Bekannten gar nicht sagen, dass sie über Ostern auf Mallorca sind, liest man. Ist das jetzt die Ära des geheimen Reisens?

Nein. Das gab es auch schon vorher. Mallorca hat keine hohe Reputation. Im Freundeskreis können Sie damit nicht angeben. Dementsprechend verschweigen viele das eher. Mallorca gehört schon lange zu den meistverschwiegenen Urlaubsdestinationen. Das Ballermann-Image hat die Insel einfach nachhaltig geschädigt. Das ist aber rein Mallorca-spezifisch und gilt nicht für andere Urlaubsziele wie die Toscana oder Spanien. Grundsätzlich gilt: Die Menschen wollen einfach wieder reisen.

Aber genau das trifft bei vielen jetzt auf Unverständnis.

Wenn Sie sich mal die Anzahl der Reisenden genau anschauen, ist das völlig übertrieben: Wir schätzen, dass derzeit wenige Hunderttausend Deutsche auf Mallorca sind. Von 82 Millionen Deutschen ist das also eine verschwindend geringe Anzahl, die sich auf den Weg gemacht hat oder dort schon dauerhaft lebt. Die Mallorca-Reisen sind einfach das Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände. Die Perspektive, dass man etwas machen könnte über Ostern, wurde den Menschen genommen. Gleichzeitig gab es plötzlich die Option, nach Mallorca zu reisen, weil die Balearen nicht mehr als Risikogebiet eingestuft waren. Dadurch haben dann einige gesagt: Wenn ich nicht nach Mecklenburg-Vorpommern reisen kann, dann fliege ich eben dahin. Das ist natürlich eine Absurdität, die keiner so gewollt hat.

Das heißt, die Menschen wollten auch nichts Verbotenes machen?

Dahinter steckt unbedingt der Wunsch, sich politisch korrekt zu verhalten. Dieser Wunsch ist in Deutschland mehrheitlich immer noch da. Das können wir in den Befragungen sehen. Die Vernunft ist noch das Maß der Dinge. Man hält sich an das, was die Kanzlerin sagt. Die Kanzlerin ist die moralische Instanz. Keiner der Ministerpräsidenten reicht da auch nur ansatzweise ran. Wenn die Kanzlerin Bedenken hat und sagt, lieber nicht, dann wird das vom Volk auch akzeptiert. Insofern war Mallorca ein kleines Fensterchen, das aufgegangen, jetzt aber wieder zu ist.

Wo wären die Deutschen denn sonst hingefahren, wenn nicht nach Mallorca?

Wie im letzten Sommer schon: Sie wären lieber im Inland gereist, in die Berge oder an die Ost- oder Nordsee - leider wieder mit dem Auto und nicht mit dem Zug. Sie wären aber nicht geflogen. Als Inland nicht mehr ging, ist den Deutschen die Hutschnur geplatzt.

Das geht dann aber auf die Kappe der "moralischen Instanz" Merkel …

… und auf die Kappe der Einreisebeschränkungen der Bundesländer. Wir wissen inzwischen, dass rund 90 Prozent der Corona-Ansteckungen immer noch im privaten Umfeld stattfinden. Urlaub bedeutet neue Kontakte. Das ist leider eine bittere Erkenntnis, die uns mittlerweile regelrecht verfolgt.

Welche Altersgruppe tut sich denn am schwersten mit dem Nichtreisen?

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Andreas Knie ist Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Professor für Soziologie an der TU Berlin.

Gerade für die Jugendlichen ist das momentan ein großes Problem. Am unzufriedensten und geradezu demoralisiert sind junge Leute zwischen 16 und Mitte 30, das sind auch die reisefreudigsten. Grundsätzlich ist der Drang aber in allen Altersgruppen groß. Nicht umsonst sind die Deutschen Reiseweltmeister.

Die große Reisezeit im Sommer steht uns noch bevor, Ostern ist gewissermaßen nur das Vorgeplänkel. Wenn Reisen umfangreich möglich sein sollte, werden sich dann plötzlich alle in Bewegung setzen? Oder werden die Menschen perspektivisch doch zurückhaltender bei ihren Reiseentscheidungen sein?

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Die Deutschen werden auf jeden Fall reisen wollen. "Ich muss mal raus hier", das ist die Antwort, die sich wie ein roter Faden durch alle Befragungen zieht. Gleichzeitig gibt es aber noch nicht den Drang, nach Südamerika, die Seychellen oder die USA zu reisen. Das muss man klar feststellen. Die Fernreiselust ist immer noch deutlich gebremst. Der Wunsch ist, vernünftig zu reisen und das heißt, die Menschen wollen im Inland bleiben. Deshalb werden die inländischen Ziele im Sommer auch völlig überbucht sein, und alle werden sich wieder mit dem Auto auf den Weg machen.

Mit Andreas Knie sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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