Wirtschaft

Alte Gesetze als Lösung?In den Metropolen ist der Wohnungsbau "so gut wie tot"

01.12.2025, 18:41 Uhr
imageVon Nadine Oberhuber
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Die Bauindustrie stünde bereit, wenn die Politik die alten Gesetze zur Baubeschleunigung wieder aktivieren würde, sagt Unternehmer Thomas Reimann. (Foto: picture alliance/dpa)

Tausende Vorgaben, Normen und Gesetze machen den Wohnungsbau in Deutschland so teuer, dass er vor allem dort nahezu zum Erliegen gekommen ist, wo er am dringendsten benötigt wird. Statt langwieriger Reformen hat ein Bauunternehmer eine andere, simple Idee.

Wer wissen will, wie es um den Wohnungsneubau in Großstädten steht, bekommt von Thomas Reimann eine klare Antwort. Der Bauunternehmer und Präsident des Verbands Baugewerblicher Unternehmer Hessen drückt die Dinge so klar aus wie wenige in der Branche: "Der Neubau ist so gut wie tot." Das sei aber auch kein Wunder, denn "bezahlbaren Wohnungsneubau herzustellen, ist so gut wie nicht mehr möglich". Das liege an "all den Auflagen, Gesetzen und Vorschriften, die wir haben, und die nur unnötige Kosten produzieren".

Dass kaum Neubauten entstehen, liegt laut Reimann weder an fehlenden Grundstücken, noch an zu hohen Zinsen oder zu wenigen Fachkräften. "Es sind die DIN-Normen, die der eigentliche Preistreiber beim Wohnungsbau sind", sagt er. Insgesamt 5800 Bauvorschriften existieren hierzulande, die beim Wohnungsbau eingehalten werden müssen. Vor allem die gesetzlichen Vorgaben zu Brandschutz, Schallschutz, Wärmeerzeugung und Energieeinsparung sorgten für immense Preissteigerungen beim Bau, ermittelte die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE). Das beklagt auch der Verband der Bauindustrie seit Längerem.

Allein seit 2021 haben sich die Baupreise für Wohnungen um rund 35 Prozent erhöht, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Aktuell koste der Quadratmeter Neubau im Mehrfamilienhaus im Median 4500 Euro, beziffert die Baubranche. Damit habe er sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Und weil Bauen so teuer geworden ist - und die Finanzierungszinsen zuletzt enorm stiegen - wurden 2024 nur noch 250.000 Wohnungen fertiggestellt. 2025 sollen es rund 235.000 sein, schätzen Branchenexperten. Das reicht bei weitem nicht, um die Baulücke zu füllen, die sich seit Jahren am Markt auftut: Etwa eine Million Wohnungen fehlen, besonders in den Ballungsräumen. Daher müssten etwa 400.000 zusätzliche Wohnungen jährlich gebaut werden, um den Mangel zu beheben.

Der Tiefpunkt beim Neubau sei noch nicht erreicht, warnt Immobilienökonom Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW): "Die Fertigstellungen gehen im nächsten Jahr noch einmal runter." Das lasse sich anhand der jüngsten Statistiken zu Bauprojekten bereits ableiten. Denn zuletzt wurden so wenige Baugenehmigungen erteilt wie selten zuvor und längst nicht alle genehmigten Projekte gelangen überhaupt in die Umsetzung. Da hilft es auch nicht, dass die Genehmigungszahlen wenigstens im September wieder zulegten. Denn bis sich das in steigenden Bauzahlen niederschlägt, wird es aufgrund der langen Planungszeiten am Bau rund drei bis fünf Jahre dauern.

Es ist aber auch nicht so, als stünde die Republik derzeit zum ersten Mal vor dem Problem, zu wenige Wohnungen für zu viele Bewohner zu haben. "Nach der Wiedervereinigung waren die Probleme noch sehr viel größer", sagt Bauunternehmer Reimann. Zu dieser Zeit wurden viele Plattenbauten abgerissen, ohne dass bereits neuer Wohnraum zur Verfügung gestanden hätte. "Damals wurde das Problem aber schnell gelöst, indem wir schneller und einfacher bauen durften", sagt Reimann. Und heute?

Vom "Bauturbo" noch nichts zu spüren

Schon seit Jahren diskutiert die Politik, wie sich der Neubau beschleunigen ließe. Dieses Ziel schrieb sich schon die Ampel-Koalition 2021 ins Programm, ohne es jedoch zu erreichen. Die große Koalition beschloss zwar im Sommer 2025 tatsächlich den "Bauturbo", der Genehmigungsverfahren in den Kommunen beschleunigen soll. Nur spüre die Branche davon zurzeit noch nichts, ebenso wenig wie von den Förderprogrammen, die zaghaft wieder aufgelegt wurden: "In den Metropolregionen kommt dieser Input nicht an", sagt Reimann, "dort findet gegenwärtig keine Bautätigkeit statt".

Ebenfalls bereits in der Vorgängerregierung gab es die Überlegung, den neuen "Gebäudetyp E - wie einfach" zuzulassen. Er soll dafür sorgen, dass nicht mehr alle 5800 Vorschriften und Normen akribisch eingehalten werden müssen. Dadurch müssten Bauunternehmer nicht mehr den jeweils höchstmöglichen Stand der Technik erfüllen, sondern sie könnten auch ökonomischer bauen. Bisher scheuen sie sich davor, denn das Bürgerliche Gesetzbuch schreibt vor, dass Wohnungskäufer einen Anspruch darauf haben, dass der beste Stand der Technik eingehalten wird. "Hat ein Projektentwickler eine Idee, wie er günstiger bauen kann, mit neuen Materialien oder weniger Materialeinsatz bei gleicher Qualität, geht er das Risiko ein, verklagt zu werden", sagt Immobilienökonom Voigtländer, deswegen mache es niemand. "Der Rahmen, den wir gesetzt haben, ist innovationsfeindlich."

Eine Lockerung des Standards würde bedeuten, dass Projektentwickler wieder normale Zwischengeschossdecken mit 18 Zentimetern Betondicke bauen könnten, erklärt Thomas Reimann. Das ist im Rest Europas üblich. In Deutschland dagegen müssen mindestens 30 Zentimeter verbaut werden. "Wir haben auch in den 1990er Jahren gute Wohnungen mit Schallschutz gebaut, in denen die Leute gern wohnen. Inzwischen aber haben wir die Standards weit überzogen", sagt Reimann.

Doch wann wird der Gebäudetyp E nun endlich zur Wirklichkeit? "Die jetzige Bauministerin Hubertz hat ihn erneut ins Spiel gebracht, aber er wird frühstens im Sommer 2027 umgesetzt", sagt Reimann. Könnte man das Gesetzgebungsverfahren nicht beschleunigen? Vielleicht sollte Verena Hubertz das mal Bauunternehmer Reimann fragen, der sagt nämlich: "Klar. Die Übergangs- und Baubeschleunigungsgesetze aus den 90er Jahren bestehen nämlich noch. Sie wurden nur außer Kraft gesetzt. Man könnte sie sofort wieder einsetzen für die kommenden drei bis vier Jahre. Die Bauindustrie jedenfalls stünde parat."

Dieser Artikel erschien zuerst bei Capital.de.

Quelle: ntv.de

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