Wirtschaft

Corona-"Rückstau" nicht abgebaut Insolvenzwelle erreicht Finanzkrisen-Niveau

Bald könnten wieder "Insolvenzzahlen nahe an den Höchstwerten der Jahre 2009 und 2010 in Sichtweite kommen", sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung.

Bald könnten wieder "Insolvenzzahlen nahe an den Höchstwerten der Jahre 2009 und 2010 in Sichtweite kommen", sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung.

(Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Die Zahl der Firmenpleiten steigt rasant. In einzelnen Monaten liegen sie auf dem höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten, wie Insolvenzforscher Steffen Müller warnt. Selbst bei einer wirtschaftlichen Erholung könnten die Unternehmensinsolvenzen weiter zunehmen.

Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland liegt nach Einschätzung des Insolvenzforschers Steffen Müller in etwa auf dem Niveau zu Zeiten der Finanzkrise 2009. "Wir sind in der Größenordnung, wo einzelne Monate durchaus 20-Jahres-Hochs abgeben", sagt der Leiter der Insolvenzforschung am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

"Wir hatten zu Zeiten der Finanzkrise 2009 um die 1400 insolvente Personen- und Kapitalgesellschaften pro Monat. Jetzt haben wir das Niveau wieder erreicht", sagt Müller. Damals sei aber noch in etwa die gleiche Zahl an insolventen Kleinstunternehmen dazugekommen. Derzeit seien es nur noch etwa 500. Aufgrund der jetzt größeren Unternehmen gehe allerdings verstärkt wirtschaftliche Substanz in die Insolvenz.

Laut einem Bericht der Wirtschaftsauskunftei Creditreform aus dem Dezember erreichte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im abgelaufenen Jahr den höchsten Stand seit 2015. Insgesamt wurden 2024 rund 121.300 Insolvenzverfahren registriert, einschließlich Verbraucher- und sonstiger Insolvenzen. Dies entspricht einem Anstieg von 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Zahl sowohl der Privat- als auch der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland schwankte in den vergangenen Jahrzehnten stark, nicht nur wegen wirtschaftlicher Krisen und Aufschwünge, sondern vor allem auch wegen mehrerer Reformen im Insolvenzrecht. Die Zahlen sind daher schwer vergleichbar und lassen keine Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage zu. Mit jeweils fast 40.000 Unternehmensinsolvenzen wurden die höchsten Zahlen seit der Wiedervereinigung nicht in der Folge der Finanzkrise ab 2008, sondern in den Jahren 2003 und 2004 verzeichnet. In der Corona-Krise sanken die Firmenpleiten infolge von Ausnahmeregelungen dagegen zeitweise auf weniger als 15.000 pro Jahr. Es wird erwartet, dass es 2024 erstmals seit 2017 wieder deutlich mehr als 20.000 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland geben wird. Dies war von 1995 und 2017 mehr als 20 Jahre lang ununterbrochen der Fall gewesen.

Nachholeffekt auch der Nullzinsphase

Bezogen auf die Jahreszahlen sah Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, das Niveau der Finanzkrise noch nicht erreicht, aber in Sicht: "Damit könnten bald wieder Insolvenzzahlen nahe an den Höchstwerten der Jahre 2009 und 2010 in Sichtweite kommen, als über 32.000 Unternehmen in die Insolvenz gingen", sagte er bei der Veröffentlichung im Dezember.

Ein Teil der Insolvenzen sei auf Nachholeffekte zurückzuführen, erklärt Müller vom IWH. Sowohl aus Corona als auch aus der jahrelangen Nullzinsphase der Europäischen Zentralbank (EZB). "Unternehmen, die sich früher für wenig Geld finanzieren konnten, kommen jetzt durch steigende Zinsen unter Druck." Wenngleich Insolvenzen für die Betroffenen schwer seien, bedeuteten sie aus Sicht der Gesamtwirtschaft eine Marktbereinigung.

Langfristige Prognosen seien allerdings schwierig, sagt IWH-Experte Müller. "Selbst bei einer wirtschaftlichen Erholung könnten steigende Insolvenzzahlen auftreten, wenn der Rückstau noch nicht abgearbeitet ist."

Quelle: ntv.de, mbo/dpa

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