Wirtschaft

Eröffnung im Herbst 2020? "Garantien für den BER kann keiner geben"

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Was fertig aussieht, ist noch lange nicht fertig: der Hauptstadtflughafen BER.

(Foto: picture alliance / Ralf Hirschbe)

Am Freitag will Flughafenchef Lütke Daldrup einen neuen Eröffnungstermin für den Hauptstadtflughafen vorschlagen. Angeblich wird es nun in drei Jahren ernst. BER-Experte Thorsten Metzner vom "Tagesspiegel" ist skeptisch: "Es gibt noch viele Missstände."

n-tv.de: Der nächste Eröffnungstermin für den BER steht angeblich: Nun soll der Flughafen wohl im Herbst 2020 eröffnen. Mit einigen Monaten Puffer vorher, falls wieder etwas Unvorhergesehenes passiert. Haben Sie Hoffnung, dass es nun endlich klappt?

Thorsten Metzner: Herbst 2020 könnte die Flughafengesellschaft schaffen. Vielleicht. Die Bauarbeiten werden allerdings immer noch bis 2019 dauern. Und hier liegt das Problem: Erst nach der Fertigstellung wird alles getestet. Die Brandschutzanlage muss im Zusammenspiel geprüft werden. Nach dem jüngsten TÜV-Bericht ist mit weiteren Problemen zu rechnen. Deshalb sind die Puffer-Monate, die für Unwägbarkeiten vorgesehen sind, knapp kalkuliert. In den vergangenen Tagen hat Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup wohl abgewogen: Nennt er den Herbst 2020 als neuen Eröffnungstermin? Oder das Frühjahr 2021, um größere Sicherheit zu haben? Er hat sich für die riskantere Variante entschieden, denn dem Flughafen sitzt auch die Geldnot im Nacken. Jeder Monat, den der Airport nicht öffnet, kostet zwischen 10 Millionen und 13 Millionen Euro. Da macht ein halbes Jahr Unterschied schon was aus.

Trotzdem hält Lütke Daldrup den Termin ja wohl für realistisch. Oder nicht?

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Thorsten Metzner ist BER-Experte und Brandenburg-Korrespondent beim Berliner "Tagesspiegel".

Es ist auch ein Termin, der nicht von vornherein unmöglich ist, es sind ja immerhin noch drei Jahre Zeit. Aber wir haben dieses Jahr alle erleben müssen, dass im Januar die Eröffnung für November abgeblasen wurde. Und jetzt wird ein Eröffnungstermin 2020 präsentiert. Das bedeutet: Innerhalb von elf Monaten gab es eine Verschiebung um drei Jahre. Das zeigt das gewaltige Risiko, das in diesem Projekt schlummert.

Kürzlich haben Sie den BER als Ihren "privaten Lebensbegleiter" beschrieben. Das hat fast etwas Liebevolles. Es hört sich an nach "dieses Kind bekommen wir jetzt auch noch groß". Sind Wut und Frust jetzt auf der Strecke geblieben?

Da mag was dran sein. Ich begleite dieses Projekt seit der geplatzten Eröffnung im Jahr 2012. Ich habe erlebt, wie alle Termine gerissen wurden, wie die Kosten sich erhöhten. Und in der gleichen Zeit sind meine Kinder geboren und eingeschult worden oder haben angefangen zu studieren. Ich sehe aber auch, dass am BER gerungen wird, es noch zu wuppen. Menschen engagieren sich, strengen sich an, damit sie das Ding fertig kriegen. Davor habe ich Respekt. Aber ich bin auch immer skeptischer geworden.

Nicht nur unsere Kinder ziehen an dem Flughafenprojekt vorbei, auch andere Metropolen wie Peking und Istanbul ziehen ihre Airports schneller groß. Was läuft in Berlin bloß so kolossal schief?

Das ist die Gretchenfrage. Ich denke, die Fehler, die nach 2012 gemacht wurden, sind gravierender als die vor 2012. Es ist kein Zufall, dass nach 2012 mehr Geld in das Projekt geflossen ist als davor. Nach der geplatzten Eröffnung herrschte Chaos. Klaus Wowereit und Matthias Platzeck waren als Chef-Aufsichtsräte so überfordert wie die Manager. Sie alle haben Entscheidungen getroffen, die sich rächen. Sie warfen zum Beispiel den Generalplaner raus, weil sie einen Sündenbock brauchten. Das alles wirkt bis heute nach. Durch den Rausschmiss und die neuen Verträge mit den Baufirmen fehlte der Druck auf der Baustelle. Die Firmen können seitdem stundenweise abrechnen. Dadurch schnellten die Kosten exorbitant in die Höhe. Das hätte man vermeiden müssen.

Und wie?

Ein Beispiel ist der Flughafen Wien. Dort gab es ähnliche Probleme wie am BER. Dort wurde in dieser Situation aber ein Baustopp verhängt. Die Verantwortlichen haben eine klare Bestandsaufnahme gemacht und die Planung aktualisiert. Es gab erst einmal Stillstand. Aber als man wieder loslegte, wussten alle, was zu tun war: Es gab klare Verträge und ein klares Management. Und dann wurde der Flughafen schnell fertiggebaut. Diesen Weg ist man in Berlin nicht gegangen. Stattdessen hat man versucht, das Terminal zu sanieren, während die Planungen angepasst wurden. Das ist ein Grund für die Misere.

Warum geht in Berlin nicht, was Wien vormachte?

Es gibt nach wie vor viele Missstände, es gibt Firmen, die gerade durch die BER-Baustelle gut verdienen, es gibt auch menschliche Eigeninteressen. Die Flughafengesellschaft ist eine öffentliche Firma. Sie hat einen Bau-Mittelbau. Die Menschen haben Verträge, die laufen aus, sobald der BER fertig ist. Man kann sich vorstellen, dass sie kein Interesse haben, ihre eigene Vertragsgrundlage infrage zu stellen. Das Management müsste straffer sein. Der aktuelle Geschäftsführer Lütke Daldrup geht zwar systematisch vor. Aber bezeichnend ist, dass er vor einigen Wochen versucht hat, einen Baumanager an den BER zu holen, um die Baustelle in den Griff zu bekommen. Die Politik hat das abgelehnt, weil man dann noch einen teuren Manager hätte bezahlen müssen. Dass die Politik eine sehr große Rolle beim BER spielt, hat dem Projekt nie gutgetan.

Dass die Politik dem Projekt eher schadet als hilft, ist seit Jahren offensichtlich. Warum hat man am BER nicht dazugelernt?

Ganz so ist es nicht. Die Zeiten, als die erste Reihe der Politik im Aufsichtsrat war - etwa damals mit Wowereit und Platzeck - weil sie sich im Erfolg des Projekts sonnen wollte, sind vorbei. Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der 2016 den Aufsichtsratsposten übernahm, ist weg. Die Politiker machen inzwischen alle einen großen Bogen um diesen Flughafen. Im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft sind anders als in früheren Jahren keine Minister und keine Regierungschefs mehr. Es sind teils Fachleute aus der Wirtschaft, teils Staatssekretäre aus den öffentlichen Ministerien. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Was aber nach wie vor fehlt, ist Bausachverstand.

Bund, Berlin und Brandenburg als Anteilseigner - eine seltsame Konstellation. Der Bund ist bei den jetzigen Gesprächen zum neuen Eröffnungstermin gar nicht dabei. Und Brandenburg gilt vielen schon lange als Drückeberger.

Da muss ich die Brandenburger etwas in Schutz nehmen: Viele Berliner vergessen gerne, dass der Flughafen auf brandenburgischem Gebiet gebaut wird. Die Brandenburger werden die Probleme haben. Hier sind die Anwohner vom Fluglärm betroffen. Hier sind die Baubehörden, die alles genehmigen müssen. Ich konnte nicht feststellen, dass die Brandenburger versucht haben, das Projekt zu torpedieren. Ich höre so was auch. Aber das ist eine Frage der Perspektive. Dieses Argument kam etwa auf, als der Regierende Bürgermeister Michael Müller sagte, er wird Aufsichtsratsvorsitzender. Und der Brandenburger Ministerpräsident sagte, er nehme die Kritik seines Rechnungshofes ernst, Politik habe im Aufsichtsrat nichts zu suchen. In der öffentlichen Wahrnehmung hieß es daraufhin, der Brandenburger Ministerpräsident drückt sich, der Berliner übernimmt Verantwortung. Im Nachhinein sage ich: Herr Müller war ein schlechter Aufsichtsratsvorsitzender. Er hat mit zu verantworten, dass sich das Projekt erneut verzögert hat.

Niemand hat sich auf der Strecke wirklich in der Pflicht gefühlt. Im Gegenteil: Die Ansagen wurden immer dreister - oder es gab gar keine Antworten auf so viele Fragen. Warum ist die Kommunikation so missglückt?

Eine abschließende Erklärung habe ich dafür auch nicht. Man muss aber auch positive Entwicklungen nennen. Das mag jetzt ungewöhnlich klingen, aber die Phase bis 2012 und ein bisschen danach, als wirklich bewusst getäuscht und gelogen wurde, dass sich die Balken biegen, die ist vorbei. Die Kluft zwischen Dingen, die gesagt und nicht gesagt werden, ist kleiner geworden. Heute kann man nicht mehr sagen, dass die Flughafengesellschaft und ihr Management versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen. 

Aber das trieb streckenweise doch kuriose Blüten: Es wurde sogar versucht, den Steuerzahlern die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Weder die Bevölkerung noch die Justiz haben die Verzögerungen zu verantworten. Die Menschen in der Nähe des Flughafens wurden bis 2013 um den ihnen zustehenden Lärmschutz betrogen. Man versuchte, sie mit Billigfenstern und Billigschallschutz abzuspeisen, um ein Vielfaches unter den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses. Ich will nicht von Staatsbetrug reden, weil das ein großes Wort ist. Aber dass ein staatliches Unternehmen zweier SPD-geführter Bundesländer mit dem Bund am Tisch bewusst Gesetze aushebelt, um aus Kostengründen die Leute um den Lärmschutz zu bringen, ist schon ein ziemlich ungeheuerlicher Vorgang. Auch das ist ein Grund, warum das Misstrauen in der Bevölkerung sehr, sehr tief sitzt.

Wie sehen Sie die Chancen, dass der BER fertiggestellt wird?

Ich würde sagen, wir bewegen uns im Bereich 80:20. Vor ein oder zwei Jahren hätte ich noch gesagt: Klar, die schaffen das hundertprozentig, aber es wird länger dauern, es wird teurer werden, es wird allen wehtun, weil es vorwiegend öffentliches Geld ist. Inzwischen bin ich vorsichtiger: Garantien kann keiner geben. Da zitiere ich den ehemaligen Flughafensprecher Daniel Abbou, der April 2016 sagte: "Kein Politiker, kein Flughafendirektor und kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen." Er hatte recht, auch wenn diese Äußerung ihn den Job gekostet hat.

Mit Thorsten Metzner sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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