Wirtschaft

Schuldenschnitt für Gläubiger? Kiew droht der Kredit-Crash

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Der Markt für Kiews Staatsanleihen ist erstaunlich liquide: Jeden Dienstag versteigert das Finanzministerium Schuldverschreibungen mit Laufzeiten von ein bis über drei Jahre. Die Einnahmen finanzieren Militär- und Sozialausgaben.

Der Markt für Kiews Staatsanleihen ist erstaunlich liquide: Jeden Dienstag versteigert das Finanzministerium Schuldverschreibungen mit Laufzeiten von ein bis über drei Jahre. Die Einnahmen finanzieren Militär- und Sozialausgaben.

(Foto: dpa)

Neben den unerbittlichen Angriffen der russischen Armee muss die Ukraine nun auch noch den Schock an der Finanz-Front fürchten: Ein Zahlungsausfall bei Staatsanleihen könnte die Kriegskasse empfindlich treffen.

Über Kiew kreisen täglich nicht nur russische Drohnen und Raketen, sondern nun auch noch die Pleitegeier. Denn die Ukraine steckt in einem Schuldenstreit mit ihren internationalen Gläubigern, bei dem nicht nur die Investoren, sondern auch Kiew viel zu verlieren haben.

Es geht um Anleihen über rund 20 Milliarden US-Dollar, gut 15 Prozent der ukrainischen Staatsschulden, die Kiew begeben hatte, bevor Wladimir Putin in die Ukraine einmarschierte. Für die stehen Zahlungen von 4,5 Milliarden Dollar in diesem Jahr und etwa 3 Milliarden Dollar jährlich zwischen 2025 und 2027 an. Kiew will, dass die Gläubiger auf einen Teil des Geldes verzichten. Denn mitten im Krieg braucht das Land dringend jeden Cent für Waffen, Sold und Sozialleistungen für die Bevölkerung.

Nach Putins Einmarsch hatte sich Kiew 2022 deshalb mit seinen internationalen Gläubigern auf einen Zahlungsaufschub geeinigt: Die staatlichen Geldgeber stimmten einer Verschiebung bis 2027 zu, private Anleger gewährten Kiew dagegen nur zwei Jahre Aufschub. Die Frist läuft nun am 1. August ab. Sollte bis dahin keine Einigung erzielt werden, könnte Kiew nach einer Gnadenfrist von zehn Tagen in den technischen Zahlungsausfall rutschen.

Kiews Investoren, zu denen etwa Blackrock, der französische Vermögensverwalter Amundi und Amia Capital aus London gehören, müssen sich so oder so auf Verluste einstellen: Laut Medienberichten sind sie bereit, auf gut 20 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten. Weil Kiew dringend Geld für den Krieg braucht, schwebt der Selenskyj-Regierung aber eher ein Schuldenschnitt von 60 Prozent vor. Doch es geht um viel mehr als ein paar Milliarden für Kiews Kriegskasse: Ein Zahlungsausfall könnte das ohnehin wacklige Vertrauen der Finanzmärkte in die Kreditwürdigkeit der Ukraine erschüttern und die desolate Finanzlage noch weiter verschlechtern.

Auch Privatanleger füllen Kiews Kriegskasse

Denn bislang nimmt Kiew auch mitten im Krieg weiter Schulden bei Bürgern, Unternehmen und selbst internationalen Anlegern auf. Die dürfen ukrainische Bonds zwar nur über ausgewählte private und staatliche Händler kaufen. Aber der Markt für Kiews Staatsanleihen ist dennoch weiter erstaunlich liquide: Jeden Dienstag versteigert das Finanzministerium Schuldverschreibungen mit Laufzeiten von ein bis über drei Jahre. Die Einnahmen werden zur Finanzierung der wichtigsten Haushaltsposten verwendet: Militär- und Sozialausgaben. Die Anleihen in Hriwna wurden laut ukrainischem Finanzministerium zuletzt im Schnitt mit rund 15 bis 17 Prozent, Dollar-Papiere mit über 4,5 Prozent, Euro-Anleihen mit über 3 Prozent verzinst.

Insgesamt hat Kiew damit seit Kriegsbeginn laut eigenen Angaben rund 25 Milliarden Dollar für seine Kriegskasse aufgetrieben. Gekauft haben vor allem die ukrainische Zentralbank und heimische Finanzinstitute. Aber immerhin 2,4 Prozent der ausstehenden Anleihen halten Einzelpersonen aus dem Ausland. 480 Millionen Dollar Zinsen hat das Finanzministerium bislang an ausländische Investoren ausgeschüttet.

Die Bonds der Kiewer Regierung sind faktisch Kriegsanleihen, auch wenn sie nicht so genannt werden. Ein Zahlungsausfall könnte Investoren vollends den Appetit verderben. Das wäre fatal, weil Kiew ohnehin schon kaum noch Schulden am Kapitalmarkt aufnimmt.

Kiew hängt am Tropf internationaler Geldgeber

Ausgaben von 93 Milliarden Dollar hat Kiew im Haushalt für 2024 beschlossen. Nur knapp die Hälfte davon deckt Kiew mit eigenen Steuereinnahmen. Der Rest kommt aus Finanzspritzen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der USA, EU, Japan und anderen Ländern. 15,6 Milliarden Dollar will allein der IWF im Rahmen seines vierjährigen Hilfsprogramms bis 2027 nach Kiew überweisen. 75 Milliarden Dollar hat Kiew bislang seit Kriegsbeginn bis Ende letzten Jahres bilateral erhalten. Noch einmal 37 Milliarden Dollar sollen es allein in diesem Jahr werden, um das gigantische Haushaltsloch zu stopfen.

Größter Ausgabenposten ist mit 46 Milliarden auch in diesem Jahr verständlicherweise das Militär. Aus eigener Kraft kann die Ukraine also nur gerade so die gigantischen Kosten für den Kriegsapparat bestreiten. Für alles andere - Sozialleistungen, Gesundheitsausgaben, Renten - ist Kiew auf Finanzhilfen aus dem Ausland angewiesen. Ohne sie würde der Staat längst nicht mehr funktionieren.

Jeder noch so kleine Betrag, den inländische und ausländische Geldgeber zusätzlich über Anleihekäufe beisteuern, ist deshalb ein Segen für die Ukraine. Zudem wäre ein Zahlungsausfall fatal, weil dann die Bereitschaft der Finanzmärkte sinken dürfte, der Ukraine nach dem Ende des Krieges frisches Geld für den Wiederaufbau zu leihen. Und schließlich ist das Gezerre um den Schuldenschnitt ein Gradmesser dafür, ob die Märkte überhaupt noch eine Rückzahlung ihres Geldes erwarten - also wie sie Kiews Siegeschancen im Krieg gegen Russland einschätzen.

Eine erste Gesprächsrunde zwischen Kiew und seinen Gläubigern war im Juni ergebnislos geplatzt. Nun wurden sie diskret wieder aufgenommen. Inzwischen hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das der Regierung erlaubt, im Notfall alle Zahlungen an die Gläubiger einzustellen, falls es keine Einigung gibt. Wirklich wollen kann das niemand.

Quelle: ntv.de

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