Fondsmanager zum Nvidia-Beben "Man darf nicht mehr nur in Top-Unternehmen investieren"
28.01.2025, 18:02 Uhr Artikel anhören
Trotz des Rekord-Absturzes der Nvidia-Aktie verliert der Anlage-Komplex rund um Künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren nicht an Bedeutung, prognostiziert David Wehner. Der Fondsmanager erklärt im Interview mit ntv.de, wie Anleger mit solch herben Rückschlägen umgehen können. Die Zeit der Überbewertungen scheint vorerst beendet.
ntv.de: Sie haben schon lange vor einer Konsolidierung von KI- und auch Techwerten allgemein gewarnt. Aber konnten Sie sich vorstellen, dass eine Billion Dollar innerhalb eines Tages verbrannt wird? Allein der bisherige "Chip-König" Nvidia verlor fast 600 Milliarden Dollar an Börsenwert.
David Wehner: Ich habe mit weniger starken Ausschlägen gerechnet und auch mit einem anderen Auslöser, nämlich enttäuschenden Quartalsergebnissen, dass also die Monetarisierung auf sich warten lässt. Die Nachricht aus China zeigt, welch hohe Erwartungen in den KI-Bereich gesteckt werden und dass ein kostengünstigeres und ressourcenfreundlicheres Tool den gesamten KI-Komplex in Mitleidenschaft zieht, von Nvidia bis zu Energieunternehmen. Ein Teil der bisherigen Erwartungen zu Monetarisierung und Gewinnwachstum wurde innerhalb eines Handelstages ausgepreist. Das zeigt, auf welch tönernen Füßen die optimistische Entwicklung der letzten Jahre momentan steht.
Wie kam es zu diesem Rekord-Tagesverlust?
Nvidia war in den vergangenen zwei Jahren der Hauptprofiteur des KI-Trends, es galt als einziges Unternehmen, das ausreichend potente Chips herstellen kann. Das zeigte sich in hohen Margen von bis zu 75 Prozent. Die Börse hat diese Entwicklung gefeiert, Nvidia war der absolute Top-Performer in den Indizes. Es wurde erwartet, dass diese Monopolstellung relativ lange anhält. Nun hat sich gezeigt, dass es mit Deepseek Programme gibt, die ressourcenfreundlicher sind und diese hocheffizienten Chips nicht benötigen. Das hat Nvidias Marktposition natürlich massiv angekratzt. Bei dem Kursverlust handelt es sich um astronomische Bewegungen. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass Nvidia innerhalb der letzten zwei Jahre um mehr als 2,4 Billionen Dollar im Wert gestiegen ist, auch deshalb konnte es zu einem so hohen Verlust von 600 Milliarden Dollar kommen.
Nvidia wird bald neue, noch leistungsfähigere Chips vorstellen. Außerdem setzt Deepseek auf Open-Source-Modelle, die Konkurrenten wie OpenAI schnell nachvollziehen können. Wie geht es also jetzt weiter: Wer macht mittelfristig das Rennen, und was bedeutet das für die Aktien der betroffenen Unternehmen?
KI-Anwendungen werden sich in der Breite niederschlagen, in der Pharmazie, Medizin, Industrie, im Verkehrswesen, also in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft. Dementsprechend glaube ich, dass wir beim Thema KI aktuell noch in den Kinderschuhen stecken. Auf dem Weg dahin werden wir Wendungen sehen und erleben, dass Profiteure der ersten Stunde Marktanteile oder Margen abgeben müssen. Bisher ist der Bereich extrem investitionslastig, die großen US-Techunternehmen haben in den vergangenen Jahren Hunderte Milliarden Dollar investiert und wollen bis 2030 weitere 500 Milliarden investieren. Aber in den nächsten Jahren werden nicht mehr nur einige wenige kapitalstarke Unternehmen profitieren. Das erleben wir eigentlich immer bei wirtschaftlichen Entwicklungen: Zu den Profiteuren der ersten Stunde kommen neue Spieler auf den Markt, die Gewinne verteilen sich.
Was bedeutet das konkret im Fall Nvidia?
Was wir gestern gesehen haben, war vielleicht ein etwas zu starker Schluck aus der Korrekturpulle. Es herrschte eine gewisse Panik, weil viele Investoren sehr hohe Anteile in den Papieren halten oder halten müssen. In den vergangenen Jahren waren sie quasi gezwungen, technologielastige Unternehmen überzugewichten, um ihre Renditeziele zu erreichen. Es ist sehr gut vorstellbar, dass wir nach der gestrigen Korrektur bei Nvidia auch Gegenbewegungen sehen werden, der Kapitalmarkt ist nun mal keine Einbahnstraße. Denn auch bei Deepseek gibt es ja noch Probleme. Gestern stand die App zwar auf Platz eins der Downloadcharts bei Apple, aber gleichzeitig verhinderten Hackerangriffe Neuanmeldungen. Ich würde Nvidia deshalb nicht sofort komplett abschreiben, auch wenn die Entwicklung der vergangenen beiden Jahre nicht fortgeschrieben werden kann. Die KI-Technologie wird weiterhin ein wichtiger Bestandteil von Anlageportfolios bleiben. Aber man darf nicht mehr nur in die Top-Unternehmen investieren, sondern muss auch identifizieren, welche Unternehmen als zweite oder dritte von den Entwicklungen profitieren könnten. Die starke Technologielastigkeit in den Portfolios wird sich also langfristig relativieren.
Eine Frage bei der weiteren Entwicklung ist, ob die Kosten von Deepseek tatsächlich so günstig sind wie dargestellt. Viele Beobachter vermuten, dass diese eigentlich deutlich höher sind und die chinesischen Entwickler über mehr und vielleicht auch bessere Chips aus den USA verfügen, als sie wegen der geltenden Ausfuhrbeschränkungen eigentlich dürften.
Das ist spekulativ. Bei anderen Unternehmen wie Google und Meta sehen wir allerdings, dass vor allem Forschung und Entwicklung in dem Bereich sehr kapitalintensiv sind. Es ist nichts auszuschließen, aber man darf natürlich nicht vergessen, dass der Wettbewerb zwischen China und den USA auf der Technologieebene weitergeht, auf wirtschaftspolitischer Ebene mit Handelsbeschränkungen zu Hochleistungschips, Sanktionen und Zöllen. Deshalb muss man hinter gewisse Aussagen vielleicht ein Fragezeichen setzen, gerade nach Donald Trumps Amtsantritt als US-Präsident und dem drohenden Zollkrieg. Ob die chinesischen Angaben stimmen, wird die Zeit zeigen. 5,6 Millionen Dollar Entwicklungskosten erscheinen mir etwas niedrig.
Ist die Nachricht so kurz nach Trumps Amtsantritt also kein Zufall?
Vermutlich gibt es ein gewisses Kalkül. Anders als in den USA sind die Unternehmen in China ja nicht ganz so frei. Die ersten Nachrichten über Deepseek erreichten uns in der vergangenen Woche, wenige Tage nach Trumps Amtsantritt. Das passt jedenfalls zum Wettstreit der Supermächte, die sich jetzt in einer sehr wichtigen technologischen Phase gegenüberstehen.
Wie groß sind die Chancen chinesischer Unternehmen im KI-Wettrennen überhaupt angesichts des Misstrauens ihnen gegenüber in Bezug auf die Datensicherheit?
In Europa hat Datenschutz global gesehen den höchsten Stellenwert. Gerade bei Chatbot-Anwendungen werden sich viele westliche Unternehmen schwertun, sich auf chinesischen Plattformen Unterstützung für betriebliche Prozesse zu holen, weil sie natürlich die Sorge haben, dass ihre Daten in die falschen Hände geraten. Bei Datenschutzbestimmungen gibt es allerdings auch Fragezeichen bei den US-Unternehmen, Europa ist auch ihnen gegenüber gehemmt. Und es ist natürlich auch eine Frage der Kosteneffizienz, Unternehmen aus China könnten die Anwendungen erheblich günstiger anbieten. Weniger datenschutzintensive Unternehmen werden sich das also sehr gut überlegen, zum Beispiel bei reinen Serviceanwendungen.
Wie viel Sinn macht es in dieser Gemengelage, jetzt Aktien von Nvidia und Co zu kaufen beziehungsweise zu verkaufen?
Gerade im Aktienbereich sind Anlagestrategien langfristig, der Horizont beträgt acht bis zehn Jahre. Wichtig ist meines Erachtens, breit zu diversifizieren über viele Sektoren: von Halbleiterproduzenten wie Nvidia, aber auch Softwareanwendungen über Industriewerte, Konsumgüter bis zu Pharma. Denn es lässt sich nie richtig einschätzen, wann das Pendel umschlägt. Wichtig ist deshalb eine langfristige Perspektive und sich nicht von Emotionen oder Nachrichten treiben zu lassen. Wenn gewisse Sektoren aufgrund der Wertentwicklung ein zu hohes Gewicht im Portfolio erreichen, könnte es ratsam sein, das Portfolio zu reallokieren und somit wieder eine Balance herzustellen. Dadurch werden Gewinne abgeschöpft, und die Wertentwicklung eines Portfolios ist nicht nur von einem Sektor abhängig. Das ist die grundlegende Strategie für einen langfristigen Vermögensaufbau und -erhalt.
Wo lassen sich aktuell Gewinne realisieren?
Diese Woche ist an den Börsen die ereignisreichste des Jahres, warten wir erstmal die EZB-Zinsentscheidung am Donnerstag und die Inflationsdaten aus den USA ab. Ein Regentag lässt an den Börsen noch kein Unwetter entstehen. Vom gestrigen Montag abgesehen war der Technologiesektor in den vergangenen beiden Jahren der absolute Top-Performer und hat die gesamte Aktienlandschaft in allen Ebenen überboten. Die Entwicklung von gestern wird sich in den nächsten Tagen wahrscheinlich etwas relativieren, ich würde auch Gegenbewegungen nicht ausschließen. Für Investoren der ersten Stunde, die bei Technologie- oder KI-Werten ein starkes Übergewicht in ihrem Portfolio haben, ist es nicht zu spät, dieses jetzt zu diversifizieren. Andere, sehr günstig bewertete Unternehmen haben das Potenzial, zumindest die historische Bewertungslücke in ihrem Sektor zu schließen. Wir werden aus meiner Sicht in diesem Jahr einen volatilen Kapitalmarkt erleben, mit neuen Höchstständen, aber auch Korrekturen von 10 bis 15 Prozent sind vorstellbar.
Neben Nvidia haben am Montag auch andere Werte wie zum Beispiel Siemens Energy verloren.
KI ist inzwischen ein ganzer Komplex, beginnend mit den Chips. Die Branche ist ja auch sehr energieintensiv, davon haben in den vergangenen Jahren zum Beispiel Energieversorger in den USA profitiert oder in Europa Siemens Energy und der Elektrotechnik-Konzern Schneider Electric, genauso wie der Bereich Kernenergie, also Uran-Aktien. Gestern wurde der gesamte Komplex abgestraft. Unabhängig von diesem Tagesverlust wird die Welt aber weiterhin die Digitalisierung und Technologisierung vorantreiben. Energie wird nicht nur wegen KI weiterhin dringend benötigt werden, auch aufgrund des aufstrebenden Mittelstands etwa in Asien. Es handelt sich deshalb um einen langfristigen Trend, der sich mittelfristig nicht ändern wird. In den vergangenen beiden Jahren sind allerdings ein paar Überbewertungen entstanden. In Zukunft werden diese Sektoren gewisse Rückschläge wie gestern hinnehmen müssen, langfristig bleibt der KI-Bereich, wie viele anderen Sektoren auch, sehr wichtig. Nvidias Kursrückgang von etwa einem Fünftel war heftig, aber nach dem Kursanstieg der letzten Jahre auch alles andere als erschreckend.
Wer profitiert auf der anderen Seite von Deepseeks Höhenflug?
Andere Sektoren, die gerade im vergangenen Jahr und in den letzten Monaten nicht performt haben, zum Beispiel Automobilaktien, Industriewerte außerhalb des Energiebereichs, daneben Pharmawerte, natürlich auch chinesische Aktien. Der Kapitalmarkt kennt während Kurs-Korrekturen zwei Optionen: Entweder erfolgen Rotationen aus Aktien in sichere Häfen wie Gold und Staatsanleihen oder in günstigere Sektoren beziehungsweise Einzelaktien, die von diesem Auslöser nicht direkt benachteiligt werden. Gestern wurden günstig bewertete Sektoren auf der Aktienseite und Anleihen unterstützt. Oberflächlich wirkt der Aktienmarkt auf Index-Ebene zurzeit sehr teuer, aber unter der Oberfläche gibt es viele Sektoren und Einzelaktien, die sehr günstig und fair bewertet sind. Da besteht ein Aufholpotenzial in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Devise lautet, über den Tellerrand zu blicken, besonders, welche Bereiche und Unternehmen von der technologischen Entwicklung in Zukunft profitieren könnten, zum Beispiel bei der Entwicklung von Medikamenten, der Digitalisierung der Industrie oder auch im Konsumbereich.
Mit David Wehner sprach Christina Lohner
Quelle: ntv.de