"Nicht alle begreifen die Lage" Roland-Berger-Chef sieht bisher größten Wirtschaftsumbruch
07.03.2024, 11:25 Uhr Artikel anhören
Stefan Schaible leitet die Unternehmensberatung Roland Berger und ist "seit fast 30 Jahren im Geschäft".
(Foto: IMAGO/IPON)
Der Leiter der größten deutschen Unternehmensberatung sieht die hiesigen Firmen in einer tiefen Krise. Da diese bislang nur wenige Menschen direkt betreffe, fehle aber noch das Bewusstsein dafür. Dabei seien alle Branchen betroffen. Und Einsparungen genügten in diesem Fall nicht.
Die schwierige Situation der deutschen Unternehmen ist nach Ansicht des Chefs der Beraterfirma Roland Berger vielen nicht bewusst. "Die Lage ist wirklich ernst, das haben nur noch nicht alle begriffen", sagt Stefan Schaible. Seiner Einschätzung nach steht die hiesige Wirtschaft sogar vor der "größten Transformation ihrer Geschichte", wie er im Interview mit dem "Handelsblatt" erklärte. So müssten nicht nur einfach Kosten reduziert und Personal abgebaut werden, gleichzeitig müsse auch investiert werden - bei hohen Zinsen. Zudem betreffe die Krise alle Branchen. "Es ist eine systemische Krise."
Zwar stehen die verschiedenen Branchen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Doch "die alte Sehnsucht, auf Zeit spielen zu können und erst einmal abzuwarten, funktioniert für niemanden mehr", stellt Schaible klar. "Auch die frühere Regel, jetzt kürzen wir erst einmal die Kosten, und wenn wir dann wieder ordentlich Geld verdienen, investieren wir in neue Maschinen, erhöhen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und so weiter, geht nicht mehr. Wir müssen heute alles gleichzeitig machen, weil Innovation für uns als Exportland lebensnotwendig ist."
Bisher liege die Krise "noch im Schlafwagen", konstatiert der Leiter der größten deutschen Unternehmensberatung. Denn breite Bevölkerungsschichten seien noch nicht betroffen, obwohl auch in der aktuellen Krise Personal abgebaut wird, um Kosten zu senken. Allein wegen des Fachkräftemangels sei dies aber kein Allheilmittel.
Keine Massenarbeitslosigkeit zu erwarten
In nächster Zeit werde es daher keine Massenarbeitslosigkeit geben, prognostiziert der Roland-Berger-Chef. "In dieser Krise wird es keinen massiven gesellschaftlichen Druck durch Arbeitslosigkeit geben." Denn viele, die ihren Job verlieren, werden wegen des demografischen Wandels in anderen Unternehmen gebraucht." Die Kehrseite in den Augen des Unternehmensberaters: Die meisten Menschen seien nicht zu Verzicht bereit, um der Krise entgegenzuwirken. "Es geht immer noch oft darum, mehr zu kriegen, als wirklich gegen die Krise zu steuern."
Die Ampel-Koalition mache dabei mit ihrer Uneinigkeit keine gute Figur nach außen, findet Schaible. Außerdem ist die Komplexität ihrer Aufgaben massiv gestiegen. Viele Entscheidungen seien nur noch im europäischen Rahmen möglich, nicht mehr nationalstaatlich.
Der Topberater würde der Bundesregierung fünf Punkte empfehlen: "Ich würde voll auf den Ausbau von erneuerbaren Energien und die Wasserstoffwirtschaft zur Dekarbonisierung der Industrie setzen, die Infrastruktur sichern, die Bürokratie wirklich reduzieren und die Künstliche Intelligenz fördern. Zudem würde ich eine Lebenslüge der vergangenen Jahrzehnte beenden, indem ich klar und ehrlich sage: Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung."
Quelle: ntv.de, chl