
Führte seit 2011 die Bundesbank: Jens Weidmann.
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In den Koalitionsverhandlungen gibt es weiteren Gesprächsstoff: Die Spitze der Bundesbank muss neu besetzt werden, nachdem Jens Weidmann sein Amt zur Verfügung gestellt hat. Ein Ökonom und eine Ökonomin gelten als besonders aussichtsreiche Kandidaten.
In den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Partner gibt es eine neue Personalie. SPD, Grüne und FDP müssen sich angesichts des Rücktritts von Jens Weidmann darauf einigen, wer neuer Bundesbankpräsident wird. Die Entscheidung hat eine gewaltige Bedeutung. Denn die Bundesbank hat hierzulande einen fast mystischen Ruf als Hort der Geldwertstabilität, und der Chef oder die Chefin dieser Institution prägt den Kurs der Europäischen Zentralbank maßgeblich mit. Ebenso wichtig: Er hat großen Einfluss darauf, wie die Geldpolitik der EZB hierzulande in der Öffentlichkeit bewertet wird.
Weidmann hat das auf seine Art gut gelöst. In der deutschen Öffentlichkeit wurde er vor allem als Kritiker der lockeren Geldpolitik wahrgenommen, galt gar als einsamer Kämpfer für stabile Preise. Mit seinem ordnungspolitischen Denken gehörte er tatsächlich zur Minderheit im EZB-Rat. Gleichzeitig war er allerdings ein Teamplayer, der bei aller Skepsis die allermeisten Beschlüsse mittrug und sie öffentlich verteidigte.
Weidmann war 2011 als Nachfolger von Axel Weber zum Präsidenten der Bundesbank ernannt worden, nachdem sein Vorgänger im Streit um die Krisenpolitik der EZB das Handtuch geworfen hatte. Er sorgte dafür, dass sich das Verhältnis zwischen EZB und Bundesbank merklich entspannte.
So richtig überraschend kommt die Entscheidung Weidmanns aber nicht, obwohl er erst 2019 eine zweite achtjährige Amtszeit angetreten hatte. Auch wenn er versichert, sein Schritt habe nichts mit dem Ergebnis der Bundestagswahl zu tun: Die nahende Ampel-Regierung bietet ihm eine gute Gelegenheit, seinen Posten zur Verfügung zu stellen.
Den Entschluss wird er nicht spontan getroffen haben. Dem Vernehmen nach spielte Weidmann den Gedanken durch, seitdem er bei der Besetzung der EZB-Spitze Christine Lagarde den Vortritt lassen musste. Nun verlässt er sein Büro etwa zur gleichen Zeit wie Bundeskanzlerin Angela Merkel ihres, für die er als Wirtschaftsberater in Berlin tätig war, bevor er im Mai 2011 die Leitung der Bundesbank übernahm.
Warnung vor Inflationsrisiko
Wer Weidmanns Nachfolger oder seine Nachfolgerin wird, ist völlig offen. Fest steht nur das Prozedere. Der Chef der Bundesbank wird vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt. Theoretisch könnte also die noch amtierende Große Koalition den Nachfolger bestimmen, der das Amt am 1. Januar übernimmt. Doch das ist eigentlich ausgeschlossen. Selbst wenn die Union einen Versuch unternehmen sollte, dürfte die SPD das verhindern. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden die neuen Koalitionäre eine gemeinsame Entscheidung treffen, und die Besetzung der Bundesbankspitze dürfte Teil eines Kompromisses um Posten und Einfluss sein.
Derzeit gelten eine Ökonomin und ein Ökonom als besonders aussichtsreiche Kandidaten. Zum einen Isabel Schnabel, Mitglied im EZB-Direktorium. Zum anderen Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und einer der bekanntesten Ökonomen Deutschlands. Er gilt als SPD-nah und war Berater des Wirtschaftsministeriums, als es vom Sozialdemokraten Sigmar Gabriel geführt wurde. Fratzscher hat eine Professur an der Humboldt-Universität inne.
Isabel Schnabel ist eine der einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftlerinnen. Sie verantwortet im EZB-Direktorium das Ressort Marktoperation und ist damit für die Umsetzung der Geldpolitik verantwortlich, also auch für das in Deutschland umstrittene billionenschwere Anleihen-Kaufprogramm. Sie war vorher Vizepräsidentin der Bundesbank und war eine der "Wirtschaftsweisen". Spezialisiert hat sie sich auf Bankenregulierung und Finanzkrisen und gilt - wie Fratzscher - als meinungsstark, kommunikativ und als eine überzeugte Europäerin.
Weidmann verlässt die Bundesbank und die EZB derweil konsequenterweise mit einer Warnung vor Inflation. Es werde entscheidend sein, "nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren". Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate. "Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik."
Quelle: ntv.de