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Wirtschaftsprüfer muss büßen So heftig wird EY bestraft

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EY hatte die mutmaßlich gefälschten Bilanzen des früheren DAX-Konzerns Wirecard über Jahre testiert.

EY hatte die mutmaßlich gefälschten Bilanzen des früheren DAX-Konzerns Wirecard über Jahre testiert.

(Foto: imago images/Michael Gstettenbauer)

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hat die mutmaßlich gefälschten Bilanzen von Wirecard über Jahre untersucht, ohne Ungereimtheiten zu finden. Jetzt wird EY sanktioniert - mit harten Konsequenzen.

Zuletzt wurde die Zahl der Personen, deren Rolle im Fall Wirecard von der Berufsaufsicht der Wirtschaftsprüfer untersucht wurde, immer kleiner. Am Anfang waren es zwölf frühere und aktuelle Mitarbeiter des Prüfriesen EY, die im Visier der Aufsichtsbehörde APAS standen, weil sie die Bilanzen des Zahlungskonzerns über viele Jahre durchgewunken hatten - obwohl es immer wieder Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gegeben hatte. Doch nach und nach gaben sieben von ihnen ihre Zulassungen als Wirtschaftsprüfer zurück. Da die APAS laut Gesetz nur für Personen zuständig ist, die als Prüfer zugelassen sind, endete das Aufsichtsverfahren bei diesen sieben Ex-Wirecard-Prüfern automatisch - ohne Ergebnis.

Im Fall der verbleibenden fünf Abschlussprüfer sowie der Prüffirma EY Deutschland selbst hat die zuständige Beschlusskammer der APAS dagegen nach dem bisher aufwändigsten Verfahren in der Geschichte der Behörde nun eine Entscheidung gefällt. Insbesondere für das Unternehmen ist es eine Entscheidung, die es in sich hat.

Wie die APAS am Montag mitteilte, sehen es die Aufseher als erwiesen an, dass die EY-Prüfer bei der Testierung der Wirecard-Abschlüsse für die Jahre 2016 bis 2018 ihre Berufspflichten verletzt haben. Gegen die fünf Personen verhängte die APAS Geldbußen zwischen 23.000 und 300.000 Euro. Im Fall des Unternehmens beträgt die Geldbuße 500.000 Euro - das Maximum des zum Zeitpunkt der Verfehlungen geltenden Strafrahmens.

Viel schmerzhafter aber ist für den Big-Four-Konzern, der sich auf globaler Ebene derzeit mitten im Prozess einer Aufspaltung seiner Prüf- und Beratungssparten befindet, eine andere Sanktion: Wie die Beschlusskammer der APAS entschied, darf EY Deutschland für zwei Jahre bei Unternehmen von öffentlichem Interesse - also insbesondere bei börsennotierten Konzernen - keine neuen Prüfmandate übernehmen. Dies kommt in diesem Segment einem Wettbewerbsverbot gleich.

"Wichtige Lehren"

Bislang liegen zu der Entscheidung der APAS allerdings noch keine Bescheide vor. Ein Sprecher von EY Deutschland teilte mit, "Details der Entscheidung" seien dem Unternehmen noch nicht mitgeteilt worden. "Wir werden diese sorgfältig prüfen, sobald sie finalisiert und uns zugestellt wurden." Zugleich betonte er, EY habe "vollumfänglich" mit der APAS kooperiert und bedauere, "dass der kollusive Betrug bei Wirecard nicht früher aufgedeckt wurde". EY habe "wichtige Lehren" aus dem Fall Wirecard gezogen - sowohl auf der personellen Ebene durch ein neues Führungsteam als auch durch die Einführung neuer Technologien und eine verbesserte Bewertung von Betrugsrisiken.

Auf Nachfrage wollte sich der EY-Sprecher noch nicht zu der Frage äußern, ob das Unternehmen Rechtsmittel gegen die Sanktionen der APAS einlegen werde. Betroffene können gegen Entscheidungen der APAS-Beschlusskammer Einspruch einlegen. Im weiteren Verlauf wäre eine gerichtliche Überprüfung vor dem Landgericht Berlin möglich. Als letzte Instanz könnte am Ende der Bundesgerichtshof entscheiden.

Im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal waren vor dem BGH auch schon Streitfragen zwischen dem Untersuchungsausschuss des Bundestags und EY gelandet. Dabei ging es um Aussagepflichten von EY-Mitarbeitern vor dem Untersuchungsausschuss und die Geheimhaltung von Berichten eines vom Ausschuss bestellten Sonderermittlers. Martin Wambach, Vorstandsmitglied des Berufsverbands IDW, hatte den Abschlussprüfern von EY im Frühjahr 2021 in seinen Berichten ein verheerendes Zeugnis ausgestellt.

Ein Verbot für Neumandate für EY würde erst in Kraft treten, sobald die Sanktionen der APAS rechtskräftig sind. Für den Fall, dass EY den Bescheid anficht, wäre dies wohl frühestens im kommenden Jahr der Fall sein. Bestandsmandate, also auch die Verlängerung bestehender Mandate, seien dagegen von dem Wettbewerbsverbot nicht betroffen, betonte die Aufsichtsbehörde. Aktuell verfügt EY im Dax noch über acht Prüfmandate, darunter etwa die Deutsche Bank und Volkswagen. Seit dem Bekanntwerden des Wirecard-Bilanzskandals hat das Big-Four-Unternehmen in Deutschland keine neuen Prüfmandate bei Dax-Unternehmen gewonnen - offenbar auch eine Folge des Vertrauensverlusts nach dem Versagen der Prüfer im wohl größten Betrugsfall in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Zahlreiche Aktionäre klagen

Tatsächlich ist im Zuge der Aufarbeitung des Skandals im Bundestag sowie im laufenden Münchner Strafprozess gegen Ex-Konzernchef Markus Braun und weitere Angeklagte offenkundig geworden, dass die verantwortlichen EY-Prüfer im Laufe der Jahre mannigfaltige Hinweise auf möglichen Betrug übersahen. Unter anderem wurde etwa im Jahr 2018 eine Untersuchung zu einem dubiosen Firmenkauf in Indien gestoppt, obwohl ein EY-Forensiker wegen Auffälligkeiten intern Alarm geschlagen hatte. Im Zusammenhang mit dieser "Projekt Ring" genannten Untersuchung hatten EY-Prüfer der Wirecard-Spitze auch in einem Schreiben im März 2017 damit gedroht, das Testat für den Jahresabschluss 2016 zu versagen. Tage später winkten sie die Bilanz ohne Beanstandung durch - ohne dass das Management die zuvor geforderten Belege vorlegte. Auf diese Vorgänge verwies die APAS bereits im September 2020 in einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft.

Wegen Vorkommnissen wie im "Projekt Ring" steht bis heute die Frage im Raum, ob die Prüfer bei Wirecard nicht nur fahrlässig gehandelt haben - sondern womöglich vorsätzlich. EY beteuert seit dem Auffliegen des Bilanzskandals mantraartig, die Mitarbeiter hätten stets "nach bestem Wissen und Gewissen" geprüft. Dagegen werfen Tausende geprellte Wirecard-Aktionäre, die gegen EY klagen, den Prüfern vorsätzliches Handeln vor. Sollten Gerichte dieser Argumentation folgen, könnten erhebliche Schadensersatzansprüche auf EY zukommen. In ihrer Pressemitteilung betonte die APAS, dass ihre Entscheidung "keine rechtliche Bindungswirkung" für die Zivilklagen sowie für die von der Staatsanwaltschaft München I geführten Ermittlungen gegen einzelne EY-Prüfer habe.

Der Berliner Anlegeranwalt Marc Liebscher wertet die Feststellung der APAS-Beschlusskammer, dass die EY-Prüfer bei mehreren Wirecard-Jahresabschlüssen ihre Berufspflichten verletzt hätten, gleichwohl als wichtiges Signal. "Das ist ein großer Schritt nach vorne für Anlegerklagen", sagte Liebscher. Zugleich kritisiert der Kapitalmarktexperte, der auch Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger ist, mit Blick auf die Verjährung von Ansprüchen Ende 2023, dass sich das bereits im Mai 2020 eingeleitete APAS-Verfahren zu lange hingezogen und hinter verschlossenen Türen abgespielt habe: "Diese Intransparenz verhindert, dass andere Wirtschaftsprüfer und Anleger wichtige Lehren aus dem Versagen von EY bei Wirecard ziehen können."

Auch für die strategischen Pläne des EY-Konzerns könnte eine Bestrafung in Deutschland Konsequenzen haben - auch wenn die EY-Beratungssparte bei Wirecard keine Rolle spielte. "Die Sanktion greift zwar nur in Deutschland, aber sie wird die globale Selbstaufspaltung von EY in einen Beratungs- und einen Prüfungsbereich weiter verkomplizieren", sagte der Consultingexperte Thomas Deelmann, Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Ohnehin hatte es bei den Aufspaltungsplänen von EY auf Konzernebene zuletzt gehakt. Ein Split in zwei Teilkonzerne wäre nach Deelmanns Ansicht "ein Riesenschritt für mehr Transparenz und weniger Interessenkonflikte - und hätte Signalwirkung auch für andere Dienstleistungskonzerne". Insofern könne das APAS-Verfahren am Ende sogar zu einem "Bumerang" werden.

Dieser Text erschien zuerst bei capital.de.

Quelle: ntv.de, Thomas Steinmann

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