Firmen im Coronahilfen-Dschungel Steuerberater "fahren auf der letzten Rille"
07.12.2020, 10:00 Uhr
Viele Gastronomen mussten einen Monat lang ohne Einnahmen auf die ersten Hilfszahlungen warten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Versprechen der Regierung ist einfach: Firmen und Selbstständigen, die durch Corona in Not geraten, wird geholfen. Die Realität der Novemberhilfen sieht anders aus - wieder einmal. Mario Krause ist Steuerberater und Partner in der mittelständischen Kanzlei Häner und Partner in Wenden im Sauerland. Er berichtet vom Kampf gegen das Regelungschaos, das sich seit dem Frühjahr ständig verschärft.
ntv.de: Die ersten Abschlagszahlungen der sogenannten Novemberhilfe sind gerade gezahlt worden. Lief das problemlos für Sie und Ihre Mandanten?
Mario Krause: Es lief extrem nervenaufreibend. Seit dem zweiten November sind die Betriebe, also Gastwirtschaften, Hotels, Fitnessstudios und so weiter, geschlossen. Zuvor hatte die Regierung die Novemberhilfen angekündigt und versprochen, dass allen geholfen würde. Seitdem also rufen hier täglich die Mandanten an, denen teils das gesamte Geschäft zusammengebrochen war - und bis Mitte/Ende vorvergangener Woche konnten wir gar nichts tun, weil das Portal für die Beantragung der Hilfen noch nicht freigeschaltet war. Am Freitag ging es dann los und wir haben über das Wochenende die ersten Anträge fertiggestellt. Am Sonntag wollte ich sie abschicken. Aber das Portal war abgestürzt. Die Hotline vertröstete mich auf den Montag. Am Montag läuft das Portal, aber in den elektronischen Antragsformularen ist ein Fehler. Das Feld für die Steueridentifikationsnummer fehlt. Die Anträge können nicht abgeschickt werden. Bei alldem sitzen uns ununterbrochen verzweifelte Mandanten im Nacken, für die es ums finanzielle Überleben geht. Am Mittwoch dann klappt es endlich. Und - jetzt muss ich die Verwaltung mal wirklich loben - innerhalb von zwei Minuten hat der Algorithmus die Anträge vorläufig geprüft. Inzwischen haben die ersten Mandanten einen Abschlag von 50 Prozent auf dem Konto.
Ende gut, alles gut?
Das muss sich in einigen Fällen noch zeigen. Es gibt wieder Grenzfälle, in denen nicht 100-prozentig klar ist, ob ein Betrieb gemäß der Bedingungen berechtigt ist oder nicht. Es besteht das Risiko, dass manche die erhaltene Hilfe wieder zurückzahlen müssen. Bei der bisherigen Soforthilfe ist dies leider nicht selten der Fall.
Das waren Betrugsfälle bei der Soforthilfe, oder?
Keineswegs. Es gab zwar Betrugsfälle bei der Soforthilfe - vor allem, weil es möglich war, dass Unternehmen diese auch ohne Steuerberater und Wirtschaftsprüfer direkt beantragten. Aber wenn jetzt von Tausenden Rückforderungen und Ermittlungsverfahren die Rede ist, dann handelt es sich dabei um viele ehrliche Unternehmer, die in der Ausnahmesituation am Anfang des ersten Lockdowns mit dem Schlimmsten rechnen mussten. Viele haben aus Furcht vor existenzbedrohenden Liquiditätsschwierigkeiten die Soforthilfe beantragt. Das ist dann teilweise nicht eingetreten, auch bei manchen unserer Mandanten nicht. Dass sie nicht nur das Geld zurückzahlen müssen, sondern teilweise Verfahren wegen angeblichen Subventionsbetrugs am Hals haben, ist in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation äußerst belastend.
Ohne Steuerberater und Wirtschaftsprüfer läuft bei den vielen Hilfsprogrammen nichts. Ihre Branche brummt, oder?
Ich will mich auf keinen Fall beklagen. Unseren Mandanten zu helfen, ist selbstverständlich und die Honorarfrage steht dann auch mal hinten an. Vor allem: Was die Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen unter diesen Umständen leisten, ist ja in der Pandemie noch wichtiger. Aber auch wir Steuerberater fahren inzwischen auf der letzten Rille. Es fing an mit der Soforthilfe. Parallel dazu kamen die Kreditprogramme, dann ab Juni die Überbrückungshilfe, seit September Überbrückungshilfe II, die Novemberhilfen, die Dezemberhilfe. Überbrückungshilfe III ab Januar ist bereits angekündigt. Dazu kommt die Neustarthilfe für Selbstständige. Getoppt wurde das noch mit der Umsatzsteueränderung zum ersten Juli. Ständig gibt es Änderungen, Ausnahmen und Sonderregellungen für jedes Bundesland dazu. Manche Spezialfälle einzelner Mandanten sind immer noch ungeklärt. Dazu herrscht bei uns Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ohnehin gerade Hochsaison: Die Bilanzen und Jahresabschlüsse unserer Mandanten sind zu erstellen. Wir machen Überstunden und arbeiten die Wochenenden durch. Wir sind am Limit. Auch bei uns gibt es ja Corona-Ausfälle, Mitarbeiter, die in Quarantäne müssen.
Hat die Regierung dabei versagt, die Hilfsprogramme praktikabel zu gestalten?
Ich will der Politik keinen Vorwurf machen. Niemand war auf eine solche Krise vorbereitet und die Lage ändert sich ständig. Dieses extreme Wirrwarr an Hilfsmaßnahmen ist wohl unvermeidbar. Aber das Versprechen, allen zu helfen, ist einfach viel schwieriger zu erfüllen, als es der Spruch von der Bazooka erscheinen lässt.
Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge verdienen einige Firmen mehr an den Hilfen als am normalen Geschäftsbetrieb. Sehen Sie solche Fälle in der Praxis?
Ja, die gibt es tatsächlich. Kleinere Einzelgastronomen etwa, die keine hohen Fixkosten haben. Aber auch in der Gastronomie sind das eher Einzelfälle und betrifft vor allem kleine Betriebe. Das größere Problem ist, dass auch nach so vielen Hilfsprogrammen immer noch einige Unternehmen durchs Raster fallen und gar keine Hilfe bekommen.
Mit Mario Krause sprach Max Borowski
Quelle: ntv.de