Wirtschaft

Schulden, Flüchtlinge, Neuwahlen "Tsipras geht auf Konfrontationskurs"

Alexis Tsipras kämpft um Unterstützung. Umfragewerte zeigen: Sein Stern sinkt - und das nicht nur in Griechenland.

Alexis Tsipras kämpft um Unterstützung. Umfragewerte zeigen: Sein Stern sinkt - und das nicht nur in Griechenland.

(Foto: REUTERS)

Mit seinem Weihnachtsgeschenk für die Rentner verspielt Premier Tsipras mit einem Handstreich das Vertrauen der Geldgeber. Beim Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel hat der griechische Premierminister aber noch ein Ass im Ärmel, ist sich DIW-Experte Kritikos sicher.

n-tv.de: Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras trifft am Freitag Kanzlerin Angela Merkel. Was erwarten Sie von dem Gespräch?

Alexander Kritikos: Ich erwarte eine Konfrontation. Tsipras kommt definitiv mit dem Ziel, von Deutschland Unterstützung für eine stärkere Schuldenerleichterung zu bekommen, die er dann zu Hause als Erfolg verkaufen kann. Schuldenerleichterungen sind zwar nicht das brennendste Thema, aber die Regierung stellt es so dar. Es ist ihre Strategie.

Spannend wird das Treffen vor dem Hintergrund des Streits zwischen EU-Institutionen und dem IWF. Es geht dabei um die Höhe der Belastung für Griechenland. Wer hat recht?

Der IWF sagt, bei 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes seien die Schulden nicht tragfähig. Deshalb müsse man Griechenland substanziell entgegenkommen. Die anderen sagen, man habe schon so viele Schuldenerleichterungen durch die Streckung der Laufzeiten gegeben, dass der reale Wert der Schulden sehr viel niedriger sei als der nominelle Wert. Es gibt Berechnungen - auf die sich auch ESM-Chef Klaus Regling beruft - wonach der reale Wert des Schuldenbergs bei rund 70 Prozent und nicht 180 Prozent des BIP liegt, weil die Rückzahlungen so weit in die Ferne gestreckt worden sind. Und weil die Zinsen so stark gesenkt wurden. Legt man diesen Wert zugrunde, gibt es tatsächlich wichtigere Themen.

Profitiert Tsipras davon, dass die Institutionen in der Schuldenfrage nicht einig sind? 

Was der IWF sonst noch fordert, hat bei Tsipras ebenfalls großen Widerstand ausgelöst. Der Fonds will zum Beispiel, dass Athen das Sozialhilfesystem endlich reformiert und neu aufsetzt, anstatt mit dem Geld einmalige Rentengeschenke zu verteilen. Er will, dass Athen moderne Sozialversicherungsstrukturen einzieht, so wie wir sie im restlichen Europa gewöhnt sind. Insofern sieht Tsipras auch den IWF nicht auf seiner Seite.    

Der IWF hat nur noch bis Ende des Jahres Zeit, um über eine weitere Beteiligung an der Griechenland-Hilfe zu entscheiden. Was passiert, wenn das nicht klappt?

Die deutsche Regierung hat ihre Unterstützung für das dritte Hilfspaket an die IWF-Beteiligung geknüpft. In wie weit das bedeutet, dass es noch einmal eines Bundestagsbeschlusses bedarf, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich vermute allerdings, man wird sich auf eine Behelfslösung einigen. Der IWF bliebe dann zum Beispiel als beratende Institution und ohne Geld dabei. Man wird es so darstellen, als sei dies juristisch ausreichend.

Welche Register wird Tsipras versuchen zu ziehen?

Er wird den Kampf "Allein gegen die Institutionen" weiterführen. Es ist nicht auszuschließen, dass es Neuwahlen geben wird, wenn er keine Zusagen aus Berlin mit nach Hause bringt. Die offene Frage ist, was es bedeutet, dass die Flüchtlinge wieder nach dem Dubliner Abkommen behandelt werden sollen. Flüchtlinge müssen dann wieder in dem EU-Land Asyl beantragen, in welchem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Das öffnet einen zweiten Themenkomplex, der mit Sicherheit bei Merkel angesprochen werden wird. Es ist nicht auszuschließen, dass Tsipras die Themen Schulden und Flüchtlinge miteinander verknüpft, um für sich einen Deal bei der Schuldenfrage auszuhandeln.  

Tsipras hat gerade Geschenke an die Bevölkerung verteilt. Es gab Weihnachtsgeld für Rentner. Außerdem wurde die Mehrwertsteuererhöhung für die Inseln in der Ostägäis, wo die Flüchtlinge sind, ausgesetzt. Was ist davon zu halten?

Das ist der alte Politikstil: Wenn unerwartet etwas Geld übrig ist, wird die eigene Klientel bedient. Man gibt das Geld denen, von denen man glaubt, dass sie die wichtigsten Wähler seien. Ich möchte nur noch mal betonen: Das ist eine Einmalgabe, die nichts bringt. Sie wird verpuffen. Die Mittel hätten wahrlich effektiver genutzt werden können.

Was sagen die Geldgeber dazu?

Ich glaube, dass Tsipras seine Gläubiger damit vergrätzt hat. Man hatte sich drei Tage vorher getroffen und er hat kein Wort darüber verloren. Tsipras hätte möglicherweise für sein Vorhaben sogar Zustimmung bekommen, wenn er nur darüber gesprochen hätte. Ich glaube, mit dieser einen Maßnahme hat er das mühselig aufgebaute Vertrauen letztlich zerstört. Und ich weiß nicht, ob Tsipras die Kosten dieses Vertrauensverlustes klar sind.

Konnte man vorher wirklich von einem Vertrauensverhältnis sprechen?

DIW-Ökonom Alexander Kritikos

DIW-Ökonom Alexander Kritikos

Nachdem Tsipras finanzielle Einschnitte vorgenommen hat, hat er Unterstützung bekommen. Auch vom deutschen Kabinett. Was er nun falsch einschätzt, ist, wenn er mit Neuwahlen droht. Denn die deutsche Seite wird ihm sagen, 'mach doch Neuwahlen'. Das hat kein Drohpotenzial. Hier ist die größte Divergenz zwischen der deutschen und der griechischen Seite. Auch sein Vorgänger Antonis Samaras hat sich bei dieser Frage geirrt. Er hat 2014 auch mit Neuwahlen und Tsipras gedroht und die deutsche Seite hat auch mit den Schultern gezuckt.

Und warum setzt Tsipras dann das Vertrauen der Geldgeber so aufs Spiel?

Weil er seine Popularität wieder erhöhen will. Die ist ihm wichtiger als das Vertrauen der deutschen Politik. Er ist der perfekte Machtpolitiker. Dafür gibt es viele Hinweise. Jüngst hat er zum Beispiel versucht, die griechische Medienlandschaft zu seinen Gunsten umzubauen. Und wo es Posten zu besetzen gibt, setzt er seine Leute ein.

Und wie geht es nach Tsipras weiter?

Die griechische Bevölkerung wäre erleichtert, wenn sie die Gelegenheit bekäme, ein neues Parlament zu wählen. Derzeit sagen die Umfragen, dass die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia von Kyriakos Mittsotakis mit Abstand stärkste Fraktion werden würde. Wenn Mittsotakis als Ministerpräsident gewählt werden sollte, haben manche die Hoffnung, eine Reformregierung zu bekommen. Vielleicht wäre es die letzte Chance für Griechenland.

Mit Alexander Kritikos sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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