Nutzt Russland Gasknappheit aus? US-Regierung warnt vor "lebensbedrohlicher" Krise
26.10.2021, 12:19 Uhr
Die Bauarbeiten für Nord Stream 2 sind abgeschlossen. Das Genehmigungsverfahren der deutschen Behörden für die Inbetriebnahme dürfte aber noch mehrere Monate in Anspruch nehmen.
(Foto: REUTERS)
Die steigenden Gaspreise treffen europäische Verbraucher und Unternehmen hart. Die Krise könne jedoch noch schlimmer werden, warnt die US-Regierung. Russland habe es in der Hand, den Europäern zu helfen, nutze die Situation aber aus, warnt ein Mitarbeiter von US-Präsident Biden.
Europas durch den explodierenden Gaspreis hervorgerufene Energiekrise hat die US-Regierung auf den Plan gerufen. Der Berater von US-Präsident Joe Biden für globale Energiesicherheit, warnte in einem Gespräch mit Journalisten, dass Russland seine Schlüsselstellung als Europas Gaslieferant als Waffe einsetzen und die Krise mit "lebensbedrohlichen" Folgen zuspitzen könne.
Die steigenden Energiepreise, so Amos Hochstein, hätten mehrere Ursachen, darunter auch die Trockenheit in Teilen Chinas. Dadurch sei die Stromerzeugung aus Wasserkraft eingeschränkt und die Nachfrage nach Erdgas auf dem Weltmarkt deutlich gestiegen. Russland sei der Akteur, der Europa am besten helfen könne. Allerdings habe er den Eindruck, sagte Hochstein, dass Russland zwar genug Gas habe, um ausreichende Mengen zu liefern, "aber sich entscheide, das nicht zu tun". Russland wolle offenbar nur dann mehr Erdgas liefern, wenn Europa Forderungen erfülle, die mit diesem Geschäft nichts zu tun hätten.
Hochstein sieht Europa derzeit in einer völligen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Russland habe die Möglichkeit, seine Gasförderung noch zu erhöhen, sagte Hochstein. Das habe die Internationale Energieagentur bestätigt. Daher sei das Land im Moment der einzige Gasproduzent, der in Bezug auf Europas Energiesicherheit im kommenden Winter "wirklich einen großen Unterschied machen könne".
Streit um Nord Stream 2
Während Energiepreise weltweit gestiegen sind, ist die Lage auf dem europäischen Gasmarkt, von dem energieintensive Industriezweige ebenso wie Millionen Haushalte abhängig sind, besonders dramatisch. Die Großhandelspreise haben sich in den vergangenen Monaten bereits vervielfacht. Erste Versorgungsunternehmen, die diese Preissteigerungen nicht an ihre Kunden weitergeben konnten, mussten bereits Insolvenz anmelden oder den Betrieb einstellen. Da die Gaslager in Deutschland und anderen Ländern, anders als in den vergangenen Jahren um diese Zeit, bei Weitem nicht vollständig gefüllt sind, ist die Abhängigkeit Europas von Gaslieferungen in den kommenden Wintermonaten besonders groß. Im schlimmsten Fall könnte in Teilen Europas am Ende eines kalten Winters nicht genug Gas zum Heizen und für die Industrie zur Verfügung stehen.
Die russische Regierung hat Vorwürfe, sie nutze die Situation politisch aus, mehrfach zurückgewiesen. Präsident Wladimir Putin hat allerdings auch sein Angebot, Europa mehr Gas zu liefern, mit der Inbetriebnahme der gerade fertiggestellten Nord-Stream-2-Pipeline verbunden. Dabei haben die bisherigen Haupttransitländer wie die Ukraine betont, dass in den schon bestehenden Pipelines noch ausreichend Kapazitäten für eine Erhöhung der Lieferungen zur Verfügung stehen. Daher wecken Putin Äußerungen Befürchtungen, dass er die Lage nutzt, um die unter anderem von den USA scharf kritisierte Pipeline schnell durchzusetzen.
Hochstein forderte Russland auf, seine Gaslieferungen sofort zu erhöhen. Wenn Russland sage, es könne durch Nord Stream 2 schnell mehr Gas liefern, könne es das auch durch die alte Pipeline, so Hochstein.
Quelle: ntv.de, mbo