"Die Leute haben Hunger" Ukrainischer Landwirt harrt auf Hof in Cherson aus
11.03.2022, 18:29 Uhr
Keine blühendenLandschaft: Die Gefahr ist groß, dass in der Kornkammer Europas die Ernte ausfällt.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
In der Ukraine drohen wegen des Kriegs große Teile der Ernte auszufallen. Den Bauern fehlen Dünger und Saatgut. Viele Arbeiter von Höfen kämpfen jetzt gegen die Russen. Ein Landwirt in der Nähe des eingekesselten Cherson am Schwarzen Meer schildert, wie er einen Betrieb irgendwie am Laufen hält.
Eigentlich sollte Andrej Pastuschenko dieser Tage auf den Feldern sein und drillen, die Saat ausbringen für die Ernte im Sommer. Doch das ist zu gefährlich: "Hubschrauber, die von der Krim kommen, fliegen täglich über unseren Betrieb", schildert Pastuschenko die dramatische Lage im Podcast "Die Stunde Null". Kurz vor dem Interview war ein Stützpunkt der Russen, den die Soldaten in dem Dorf in der Nähe der Hafenstadt Cherson errichtet hatten, von den Ukrainern angegriffen worden. Danach fiel der Strom aus. "Wir hörten die Explosionen, unsere Fensterscheiben haben gezittert. Die Russen, hieß es, haben einen Verteiler unseres Stromversorgers attackiert."
Wie viele Landwirte in der Ukraine fürchtet Pastuschenko um seine Ernte - und um sein Vieh. "Wir haben noch einen Generator, sodass ich unsere 350 Kühe melken kann", sagt der 39-Jährige. Die Milch - vor dem Krieg produzierte der Betrieb zehn Tonnen am Tag - kann aber von den Molkereien nicht mehr abgeholt werden. In den ersten Tagen hat Pastuschenko die Milch nach Cherson gebracht und an Krankenhäuser, Kirchen und Kinderheime verschenkt.
Seitdem die Straße zu der besetzten Hafenstadt am Schwarzen Meer blockiert ist, verschenkt er sie in den umliegenden Dörfern. "Unsere Mitarbeiter haben angefangen, Butter, Käse, Quark und Sahne zu machen - wir haben alles kostenlos an die Leute verteilt, die es am meisten brauchen. Vor allem die Familien mit Kindern, die Rentner und natürlich unsere Mitarbeiter", berichtet Pastuschenko. "Die Leute leiden. Sie haben Hunger."
Für die Bestellung der Felder fehlt den Landwirten dieser Tage alles: Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel wurden oft nicht geliefert. Diesel wurde auf vielen Höfen von Soldaten konfisziert, für Militärfahrzeuge und Panzer. Normalerweise, erzählt Pastuschenko, kam der Diesel über Schiffe in den Häfen von Odessa und Mykolajiw an. "Jetzt ist alles blockiert. An der Tankstelle ist es auch unmöglich, Diesel oder Benzin zu kaufen. Es gibt ein bisschen was im Schwarzhandel, aber allenfalls 10 oder 20 Liter."
"Es bleibt maximal eine Woche für die Saat"
Die Geschichte von Andrej Pastuschenko ist dieser Tage ein Puzzlestück in einem großen Drama, das sich abzeichnet: Die Gefahr ist groß, dass in Teilen der Ukraine, der "Kornkammer Europas", die Ernte ausfällt. UN-Generalsekretär António Guterres warnte bereits vor einer Ausweitung des weltweiten Hungers, denn das Welternährungsprogramm kauft mehr als die Hälfte seines Weizens in der Ukraine. Die Preise haben stark angezogen. Der Wirtschaftsberater des ukrainischen Präsidenten, Oleg Ustenko, sagte der "Wirtschaftswoche": "Uns bleibt maximal eine Woche für die Saat. Wenn der Krieg bis dahin nicht aufhört, dann hat die Welt ein Nahrungsproblem."
Die Ukraine und Russland stehen für ein Drittel aller globalen Weizenexporte. Vor allem im Süden und Westen der Ukraine gibt es fruchtbare Schwarzerdeböden, die rund 70 Prozent der ukrainischen Fläche bedecken. 32 Millionen Hektar Ackerland, das entspricht einem Drittel der Ackerfläche in der Europäischen Union. Die Ukraine liefert aber nicht nur Weizen, Gerste und Mais, sie ist auch der wichtigste Exporteur von Sonnenblumen und Sonnenblumenschrot.
Pastuschenko, der ausgebildeter Deutschlehrer ist, will so lange wie möglich auf dem Betrieb aushalten. Bisher aber konnte er nur 90 der insgesamt 1500 Hektar drillen, also die Saat ausbringen. "Wir sind eingekesselt. Wir können nicht rein und raus", sagt er. "Es gibt so viele Fragen, die ich nicht beantworten kann."
Hören Sie die ganze Geschichte von Andrej Pastuschenko in der neuen Folge von "Die Stunde Null".
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Quelle: ntv.de, ddi