Wirtschaft

Ausbeutung bei Ryanair Verwerflich bestimmt - aber so schön billig

Auf dem Rücken der Angestellten feiert Ryanair immer neue Umsatzrekorde. Der Kunde drückt beide Augen zu.

Auf dem Rücken der Angestellten feiert Ryanair immer neue Umsatzrekorde. Der Kunde drückt beide Augen zu.

(Foto: CLODAGH KILCOYNE)

Nach dem aktuellen Streik wird Ryanair seine menschenverachtende Personalpolitik verändern müssen. Dass sie sich überhaupt so lange halten konnte, ist ein Armutszeugnis für die Konsumgesellschaft.

Immer, wenn Supermarktketten mal wieder Hähnchenschenkel für 15 Cent das Stück verkaufen oder 600 Gramm Schweine-Nackensteak für 1,99 Euro, gibt es einen kleinen Aufschrei. Sittenwidrig sei das, unethisch, heißt es dann. Allerdings haben die Discounter in der Regel kein Problem damit, die Ware loszuwerden. Die Aussicht, ein Schnäppchen zu machen, vernebelt den meisten Menschen die Vorstellung davon, welchen Preis ein solcher Preis hat.

Ryanair verkauft keine Hähnchenschenkel und Nackensteaks, doch bei der Billig-Airline geht es um dasselbe. Wer sich etwa für die Strecke von Köln nach Berlin in eine der blau-gelben Röhren des irischen Unternehmens setzt und die 500 Kilometer für rund 15 Euro fliegt, muss sich darüber im Klaren sein, dass irgendjemand anderes den Preis für diesen Preis bezahlt. Einzig: Ryanair hat in aller Regel kein Problem damit, die Tickets an den Mann zu bringen. Wer kann bei solchen Schnäppchen schon widerstehen?

Mit seinem Ultra-Billig-Kurs hat Airline-Chef Michael O'Leary aus einer hochdefizitären Regionalfluggesellschaft die größte Airline Europas gemacht - oder nach Anzahl der Passagiere die viertgrößte der Welt. In den vergangenen sechs Jahren hat das Unternehmen seinen Umsatz verdoppelt, seinen Gewinn knapp verdreifacht. Keine Nachricht aus dem Inneren des Unternehmens konnte die Verbraucher davor abschrecken, der Firma derartige Erfolge zu ermöglichen.

Und die gab es zuhauf. Wer etwa für O'Leary fliegt, ist in der Regel nicht angestellt, sondern muss ein Unternehmen irischen Rechts gründen und sich dann als Freiberufler für Flüge "bewerben". Einstiegsgehalt als Pilot: rund 39.000 Euro, Co-Piloten bekommen etwa 25.000 Euro - brutto. Die mehrere zehntausend Euro teure Pilotenausbildung muss der Nachwuchs davon meist abbezahlen. Flugbegleiter verdienen zwischen 700 und 1300 Euro netto. Auch sie müssen ihre knapp 3000 Euro teure Ausbildung selbst bezahlen. Sie sind zwar angestellt, allerdings meistens in Leiharbeitsverträgen - befristet und ohne Grundgehalt. Überstunden werden nicht bezahlt, eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es nicht. Nicht wenige Ryanair-Flugbegleiter haben Nebenjobs, um über die Runden zu kommen.

"Mit nackten Eiern über Glasscherben robben"

Als er wieder einmal für seine menschenverachtende Personalpolitik in die Kritik geraten ist, sagte O'Leary einmal, es zwinge ja niemand die Menschen, bei Ryanair zu arbeiten. Seine Piloten nennt er nach deren Angaben mal "überbewertete Taxifahrer" oder "Busfahrer". Als vergangenen Herbst Forderungen nach mehr Gehalt laut wurden, sagte er, seine Angestellten hätten ein überzogenes Selbstwertgefühl. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte er einmal, die Umwelt interessiere ihn "einen Dreck", was ihn interessiere, seien die Ölpreise. Das Beste, was man seiner Ansicht nach mit Umweltaktivisten machen könne, sei es, sie "abzuknallen", ein weiteres Zitat von ihm. Und was sein eigenes Auskommen angeht, sagte er einmal: "Ich verdiene etwa das 20-Fache dessen meiner Angestellten. Ich denke, diese Lücke sollte größer sein."

Und auch über seine deutschen Kunden sagte O'Leary einmal etwas, das erklären könnte, warum die Airline einen Umsatzrekord nach dem nächsten einheimst - trotz aller Skandale. "Die Deutschen würden mit nackten Eiern über Glasscherben robben, nur um günstige Preise zu bekommen." Freilich macht nicht nur die schlechte Bezahlung der eigenen Leute derartige Schnäppchen möglich. Ryanair spart auch, indem kleine Flughäfen angesteuert werden oder weil die Maschinen fast immer ausgebucht sind. Aber Dumpinglöhne sind eben auch zentraler Bestandteil der Preisstrategie.

Dass sich nun höchstwahrscheinlich doch etwas ändern wird bei Ryanair, haben die Piloten selbst bewirkt. Nach dem Ausstand in vier europäischen Ländern kann O'Leary kaum etwas anderes übrigbleiben, als sich mit den Gewerkschaften zu einigen. Auch wenn er zuvor ankündigte, dass "eher die Hölle zufrieren" würde. Der aktuelle Streik hat Dimensionen, die neu sind für die Airline: Europaweit fallen 400 Flüge aus, 55.000 Passagiere sind betroffen. Schon im vergangenen Quartal knickte der Umsatz wegen Streiks um 20 Prozent ein. Werden die Ausstände noch größer, würde O'Leary seine Anleger verprellen, die er all die Jahre auf dem Rücken seiner unterbezahlten Angestellten mit Traumrenditen verwöhnt hat.

Dass sich jedoch grundsätzlich etwas am Klima bei der Billigst-Airline ändert, ist unwahrscheinlich. Das beweist auch die Drohung des Unternehmens an die in Irland streikenden Piloten, ihre Jobs demnächst nach Polen zu verlagern. Ryanair wird sich immer einen Weg suchen, seine Angestellten wie Halbsklaven des Frühkapitalismus zu behandeln. Es ist ekelerregend. Aber das letzte Wort darüber, ob ein solches Geschäftsmodell überlebensfähig bleibt, haben nicht O'Leary oder seine Angestellten, sondern die Verbraucher. Ebenso wie an der Kühltruhe mit dem Billigfleisch.

Anmerkung:

Zu einigen Punkten hat Ryanair nach Veröffentlichung dieses Kommentars wie folgt Stellung genommen:

  • "Menschenverachtende Personalpolitik": "Das ist unwahr. Ryanair-Piloten und Kabinenpersonal werden gut bezahlt und genießen branchenführende Konditionen."
  • "Wer für O’Leary fliegt, ist in der Regel nicht angestellt, sondern muss ein Unternehmen irischen Rechts gründen und sich dann als Freiberufler für Flüge 'bewerben'": Wie es die meisten Fluggesellschaften handhaben, sind auch Ryanairs Piloten entweder direkt bei uns oder über das Contractor-Modell angestellt. Ein Großteil der Piloten ist direkt angestellt.
  • "Unterbezahlte Angestellte":  "Unsere Mitarbeiter sind nicht 'unterbezahlt' – sie verdienen über 20 Prozent mehr als bei konkurrierenden Fluggesellschaften."
  • Bezüglich des Gehaltes von Kabinenpersonal und Piloten beklagt die Pressestelle des Unternehmens "Ungenauigkeiten" und hat unserer Redaktion zwei Dokumente übermittelt. Darin heißt es, dass Piloten "bis zu 200.000 Euro im Jahr verdienen können". 27 Prozent der Piloten hätten sich an dem jüngsten Streik beteiligt. Bezüglich des Kabinenpersonals heißt es, dass Gehälter "bis zu 40.000 Euro im Jahr" möglich seien. Die Flugbegleiter-Ausbildung sei für festangestellte Arbeitskräfte kostenlos, im Krankheitsfall werde der Lohn fortgezahlt, heißt es.

Quelle: ntv.de

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