Wirtschaft

Falsches Sicherheitsgefühl Warum Gas sparen dreimal wichtiger ist als Speicher füllen

Dreht Russland den Hahn zu? Unabhängig von diesem Drohpotenzial wird Deutschland nur durchs Sparen.

Dreht Russland den Hahn zu? Unabhängig von diesem Drohpotenzial wird Deutschland nur durchs Sparen.

(Foto: imago stock&people)

Hat Deutschland mit seinen gut gefüllten Gasspeichern einen komfortablen Puffer, falls Russlands Präsident Wladimir Putin die bereits gedrosselten Lieferungen ganz einstellt? Experten warnen davor, sich angesichts dieser Reserven in Sicherheit zu wiegen.

Deutschlands Gasspeicher füllen sich überraschend und erfreulich schnell. Das für Oktober vorgesehene Ziel eines Füllstands von 85 Prozent dürfte schon in wenigen Tagen erreicht werden, freut sich der ansonsten für sein Krisenmanagement in der Kritik stehende Wirtschaftsminister Robert Habeck. Zu etwas über 80 Prozent sind die Speicher bereits voll - und damit voller, als sie es im vergangenen Jahr jemals waren. Hat Deutschland damit also einen komfortablen Puffer, falls Russlands Präsident Wladimir Putin die bereits gedrosselten Lieferungen ganz einstellt? Experten warnen vor dieser Illusion. Der Speicherpuffer sei viel zu klein im Verhältnis zu Deutschlands Gasverbrauch. Um unabhängig von Putin zu werden, hilft uns nur eines: Gas sparen.

Energieexperte Lion Hirth von der Berliner Hochschule Hertie School warnte schon vor Wochen vor einer "Fixierung auf die Gasspeicher-Füllstände". Mit einer Größe von knapp 250 Terawattstunden reichten die aber nicht einmal aus, um den Bedarf allein für die Privatheizungen auch nur zur Hälfte zu decken. In einem einzigen kalten Wintermonat werden in Deutschland rund 120 Terawattstunden verbraucht. Auch wenn die Importe aus nichtrussischen Quellen im Vergleich zu den Vorjahren noch weiter gesteigert werden können, bleibt in jedem Fall eine große Lücke, die nur durch eine Drosselung des Verbrauchs ausgeglichen werden kann.

Ohne Einsparungen wären Deutschlands Gasreserven innerhalb von weniger als vier Wintermonaten aufgebraucht, falls der Gasfluss aus Russland stoppt, rechnet Ökonom Benjamin Moll von der London School of Economics and Political Science in einem Paper vor - selbst wenn die Speicher zu 100 Prozent gefüllt sein sollten. Eine Drosselung des Gasverbrauchs um 25 Prozent würde dagegen dazu führen, dass die Reserven auch ohne russisches Gas für sechs Monate mit hohem Verbrauch reichen würden.

Industrie erreicht Einsparziel fast

Ob die Gasspeicher ein Prozent mehr oder weniger gefüllt sind, verändert den Einsparbedarf in den kommenden Herbst- und Wintermonaten dabei nur um 0,3 Prozent, so Moll. Eine Reduktion des Gasbedarfs um 1 Prozent helfe dagegen so viel wie 3,5 Prozent mehr im Speicher. Molls Faustregel daraus: "Sparen ist also quasi mehr als drei Mal so wichtig wie die Speicherstände".

Die Experten warnen zwar davor, sich über den hohen Füllstand der Speicher zu sehr zu freuen. Pessimistisch sind sie deswegen aber nicht. Ökonom Moll verweist auf Twitter auf andere, noch bessere Nachrichten. Denn aktuellen Zahlen der Bundesnetzagentur zufolge kommt die Industrie - neben den Privathaushalten mit ihren Gasheizungen der Hauptverbraucher in Deutschland - mit dem Sparen gut voran. Im Juli lag der Gasverbrauch der Industrie mehr als 20 Prozent unter dem des Vorjahres, ohne dass die Produktion eingebrochen wäre.

Damit hat die Industrie ihre in einem Modell von Moll und anderen Ökonomen geschätzte notwendige Reduktion des Gasverbrauchs bereits fast erreicht. Die Privathaushalte, die derzeit außerhalb der Heizperiode noch nicht betroffen sind, müssten demzufolge 15 Prozent Gas einsparen. Völlig falsch läuft es dagegen bei der Stromerzeugung. Diese, so hatten die Experten errechnet, müsste den Gasverbrauch um 45 Prozent herunterfahren. Aufgrund der Krise am Strommarkt vor allem in Frankreich ist aber das Gegenteil der Fall. Die Gasverstromung lag in den vergangenen Monaten teils sogar über Vorjahresniveau.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen