Wirtschaft

Gesunkene Lieferungen Wie viel Gas braucht die Industrie?

BASF gilt als größter industrieller Gasverbraucher in
Deutschland und hat bereits einen "Sonderalarmplan Erdgas" für ihren weltweit größten Standort in Ludwigshafen ausgearbeitet.

BASF gilt als größter industrieller Gasverbraucher in Deutschland und hat bereits einen "Sonderalarmplan Erdgas" für ihren weltweit größten Standort in Ludwigshafen ausgearbeitet.

(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)

Die Gaslieferungen aus Russland sind deutlich gesunken. Inzwischen schließt die Politik nicht aus, dass durch die Nord-Stream-Pipeline bald gar kein Gas mehr fließen könnte. Doch Deutschlands Industrie ist abhängig von einer konstanten Gasversorgung. Die eine Branche mehr, die andere weniger.

Die rückläufigen Gaslieferungen aus Russland zwingen die energieintensive deutsche Industrie zum Umdenken. Da den Unternehmen droht, das Gas auszugehen, ziehen sie nicht nur schmerzhafte Einschnitte in der Produktion in Betracht, sondern sogar die Rückkehr zu umweltschädlichen Energiequellen - ein Schritt, der bis vor kurzem noch undenkbar war und ihre Klimaziele gefährdet.

Doch wie viel Gas verbraucht die deutsche Industrie überhaupt? Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft steht die Industrie für 36 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland. Es wird entweder als Rohstoff genutzt oder als Energieträger, um etwa Produktionsanlagen permanent am Laufen zu halten. Ein potenzieller Ausfall von Gas würde laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft vor allem diese vier energieintensiven vier Branchen treffen:

Grundstoffchemie:

Mit knapp 202.000 Terajoule (TJ) im Jahr 2020 benötigte die Grundstoffchemie mit 25 Prozent des gesamten Energieverbrauchs den größten Anteil an Gas unter allen Industriezweigen. Kräftige Preiserhöhungen haben der Chemiebranche in Deutschland im ersten Quartal zwar noch Rückenwind gegeben. Engpässe in den Lieferketten und die explodierenden Energie- und Rohstoffkosten machen ihr aber zunehmen zu schaffen.

Die Unternehmen fürchten vor allem Engpässe bei Gas und Öl infolge des Krieges in der Ukraine. "Vom erhofften Aufschwung nach dem Coronawinter ist nichts mehr übrig geblieben. Die Perspektiven unserer Branche sind wegen steigender Energie- und Rohstoffkosten zunehmend düster", urteilte der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Evonik-Chef Christian Kullmann. "Ein Gasembargo oder ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland hätte zusätzliche verheerende Auswirkungen."

Papiergewerbe:

Das Papiergewerbe steht mit 74.000 TJ für rund 9 Prozent des industriellen Erdgas-Verbrauchs. Vor dem Hintergrund der Gaskrise warnt auch die Papierindustrie vor einem Produktionsstopp. "Ein Produktionsstopp für Papier, Karton und Pappe würde eine Reihe wichtiger Lieferketten treffen, die auch die kritische Infrastruktur berühren", sagte der Präsident des Branchenverbandes "Die Papierindustrie", Winfried Schaur.

Lebensmittel und Medikamente seien zu einem erheblichen Teil auf Verpackungen aus Papier, Karton und Pappe angewiesen. Gleiches gelte für die Hygiene in Krankenhäusern, Pflege und im privaten Bereich. "Da läuft ohne Papier wenig." Die deutsche Zellstoff- und Papierindustrie beschäftigt in rund 150 Betrieben rund 40.000 Mitarbeiter. Die Branche, zu der Konzerne wie Stora Enso, UPM und Mitsubishi Hitec Paper Europe gehören, erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 15,5 Milliarden Euro.

Metallerzeugung:

Auch die Metall-Industrie ist in einem hohen Maß von einer kontinuierlichen Gasversorgung abhängig. Die Branche benötigt mit 64.000 TJ rund 8 Prozent Gas des Energieeinsatzes aller Industrien. Laut dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall sieht sich jedes fünfte Unternehmen der Branche aufgrund der aktuellen Preissteigerungen inzwischen existenziell gefährdet. Hauptgeschäftsführer Oliver Zander warnte kürzlich erneut vor einem Embargo für russisches Gas. In einem solchen Fall seien massive Produktionsausfälle zu befürchten.

Fast jedes vierte Unternehmen gehe bei einem Gas-Stopp von einem vollständigen Produktionsstillstand aus. "Das würde allein 300.000 Beschäftigte in den Betrieben betreffen, die an der Umfrage teilgenommen haben", sagte Zander. Betroffen davon sei potenziell auch die kritische Infrastruktur, für die mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen produziere. Es gehe um medizintechnische Produkte sowie um solche für den Energie- und Verkehrssektor oder die Verkehrsinfrastruktur. "Irgendwann werden Produktionsausfälle auch dort durchschlagen", sagte der Verbandschef.

Glas- und Keramikherstellung:

Ähnlich hoch wie in der Metallerzeugung fällt mit 60.000 TJ auch der Gasverbrauch bei der Glas- und Keramikherstellung aus. Nach Ansicht der deutschen Brauereien könnten im kommenden Sommer Bierflaschen in Deutschland knapp werden. Der Verband Private Brauereien Bayern sprach von einem Phänomen, das "in der Regel jährlich auftritt, weil in den Sommermonaten mehr Bier getrunken wird". Erschwerend kämen in diesem Jahr die stark gestiegenen Energiepreise und ein mögliches Gasembargo oder ein Gas-Lieferstopp aus Russland hinzu, sagte Verbandssprecher Benedikt Meier in München. Glasflaschen würden unter Einsatz von Gas hergestellt, der Preis sei stark gestiegen. Eine neue Glasflasche sei etwa doppelt so teuer wie der Pfand, den die Brauerei dafür verlangen könne.

Einige Ökonomen halten die Lage angesichts dieser energieintensiven Branchen und der Entwicklung auf dem Gasmarkt für bedrohlich. Bei einem Stopp russischer Gaslieferungen im kommenden Halbjahr würde Deutschlands Wirtschaftsleistung nach einer Studie des Prognos-Instituts um 12,7 Prozent einbrechen. Deutschland würde "in eine tiefe Rezession gleiten", sagte Chefvolkswirt Michael Böhmer. "Insgesamt wären rechnerisch etwa 5,6 Millionen Arbeitsplätze von den Folgen betroffen", sagte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Die vbw hatte die Studie in Auftrag gegeben. Ökonomen vom DIW gehen auch davon aus, dass ein Wegfall russischer Energieträger weitreichende Folgen für die Wirtschaft in Deutschland hätte. Sie gehen allerdings davon aus, dass ein Gasembargo das Bruttoinlandsprodukt nur um gut drei Prozent nach etwa sechs Quartalen sinken lassen würde.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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