Wirtschaft

Finanzexperte zur Bankenkrise "Wie viel Krise braucht es denn noch?"

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Wenn Reformen überhaupt durchsetzbar sind, dann - so klagt Finanzexperte Schick, nur unmittelbar unter dem Eindruck einer Krise.

Wenn Reformen überhaupt durchsetzbar sind, dann - so klagt Finanzexperte Schick, nur unmittelbar unter dem Eindruck einer Krise.

(Foto: picture alliance / Frank Rumpenhorst/dpa)

Nach der großen Finanzkrise 2007 und 2008 sollte eigentlich alles anders und die Banken stärker reguliert werden. Die entscheidenden Reformen blieben aber aus. Das gesamte Finanzsystem sei weiter instabil, erklärt Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende. Der Experte erklärt, welche Maßnahmen jetzt am dringendsten sind, um die nächste große Krise noch zu verhindern.

ntv.de: Nach dem Zusammenbruch unter anderem der Silicon Valley Bank in den USA und der Credit Suisse in der Schweiz sind Politik und Medien alarmiert. Sie warnen seit Jahren vor der Gefahr einer Wiederholung einer großen Finanzkrise, fordern Reformen, um die Banken sicherer zu machen. Ist das für Sie jetzt ein Ich-hab’s-euch-doch-gesagt-Moment, der Beweis, dass Sie die ganze Zeit recht hatten?

Gerhard Schick ist Mitgründer und Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, die sich als Gegengewicht zur Lobby der Finanzbranche versteht. Von 2005 bis 2018 saß Schick für die Grünen im Bundestag und war unter anderem finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Gerhard Schick ist Mitgründer und Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, die sich als Gegengewicht zur Lobby der Finanzbranche versteht. Von 2005 bis 2018 saß Schick für die Grünen im Bundestag und war unter anderem finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion.

(Foto: IMAGO/IPON)

Gerhard Schick: Ich bin vor allem verärgert, weil die verantwortlichen Politiker die notwendigen Reformen nicht angegangen sind. Wir haben Finanzwende als Organisation ja genau deswegen vor fünf Jahren ins Leben gerufen, weil wir gesehen haben, dass die Fehlentwicklungen, die schon 2008 zur großen Finanzkrise geführt hatten, teilweise einfach weiterliefen. Zentrale Reformmaßnahmen, die das Finanzsystem stabilisieren sollten, sind unterblieben. Ich bin wenig überrascht.

Ist das jetzt die neue Banken-Krise oder ein Vorbeben und damit die Chance, noch wirksame Reformen umzusetzen, bevor es zu einer großen Katastrophe kommt?

Ich bin kein Geologe, aber vielleicht ist es tatsächlich vergleichbar mit einem Erdbeben: Die Experten können genau sagen, wo es tektonische Spannungen gibt, und davor warnen, dass sie sich entladen werden. Aber wann das passieren wird, und ob es sich um ein großes oder mehrere kleine Beben handeln wird, das weiß man im Voraus nicht genau. Es ist durchaus möglich, dass sich die Lage nach den jetzt ergriffenen, beispiellosen Maßnahmen bei der Credit Suisse und bei den insolventen US-Banken vorerst beruhigt. Dass sich die Krise vorerst nicht weiter ausbreitet. Das ganze System bleibt aber grundsätzlich instabil.

Woran machen Sie das fest?

Ein Indikator, an dem man auch vor 2008 die zunehmende Instabilität ablesen konnte, war, dass der Finanzmarkt schneller wuchs als die Realwirtschaft. Das heißt nichts anderes, als dass die Menge der Schulden, die Unternehmen, Regierungen und Privatleute tragen müssen, im Verhältnis zu dem, was erwirtschaftet wird, immer größer wurde. Und diese Entwicklung geht seitdem nahezu unverändert weiter.

Branchenvertreter und Politiker betonen dagegen, dass doch eine ganze Menge an Reformen auf den Weg gebracht worden sei und die Banken viel besser dastünden als vor der Finanzkrise. Faule Kredite wurden abgebaut. Die Anforderungen an Liquidität und Eigenkapital der Banken wurden verschärft. Es werden regelmäßig Stresstests durchgeführt. Um nur ein paar Punkte zu nennen.

Ja, tatsächlich sind viele Dinge passiert. Ich selbst war damals als Bundestagsabgeordneter dabei, wie Tausende Seiten an Regulierung verabschiedet wurden. Als die Krise aber in größere Ferne rückte und der öffentliche Druck auf Regierung und Parlament nachließ, konnte die Bankenlobby einige der ganz zentralen Reformvorhaben verhindern oder entscheidend abschwächen. Schon vorbereitet war beispielsweise ein Gesetz für ein Trennbankensystem. Das riskante Investmentbanking sollte vom traditionellen Geschäft mit der Kreditvergabe und Kundeneinlagen getrennt werden. Das Gesetzesvorhaben wurde auf Druck aus der Branche komplett gekippt.

Ein weiteres Beispiel sind die Ratingagenturen. Nach 2008 wurde viel darüber gesprochen, wie problematisch es ist, dass es nur drei Agenturen gibt, die sich diesen Markt aufteilen, und dass die von den Akteuren bezahlt werden und abhängig sind, deren Produkte sie bewerten sollen. Das Problem besteht bis heute nahezu identisch fort. Und kommen wir schließlich zu den Eigenkapitalanforderungen. Ja, auf der einen Seite haben die Bankenvertreter recht, wenn sie sagen, die Banken hätten heute mehr Eigenkapital als vor der Krise. Man muss aber beachten, von welch einem extremen Niveau dieser Vergleich ausgeht. Vor der Krise wirtschafteten größere Banken mit etwa zwei bis drei Prozent Eigenkapital, heute müssen sie mit etwa vier bis fünf Prozent fast doppelt so viel eigenes Geld einsetzen. Das heißt aber, dass immer noch 95 Prozent schuldenfinanziert sind. Jeder Häuslebauer kann sofort verstehen, was das für ein Risiko bedeutet, wenn beispielsweise - wie es nun der Fall ist - die Zinsen steigen. Um im Krisenfall einen wirksamen Puffer für Verluste zu haben, müssten die Banken mindestens zehn Prozent Eigenkapital vorhalten.

Sind das aus Ihrer Sicht die nun dringendsten Maßnahmen, die ergriffen werden müssten: Durchsetzung des Trennbankensystems, Reform der Ratingvergabe und Verschärfung der Eigenkapitalanforderungen?

Von den genannten ist meines Erachtens eine Erhöhung des Eigenkapitals am wichtigsten. Am dringlichsten ist aber, die Bankenunion in der EU endlich zu verwirklichen. Die wurde zwar in Teilen auf den Weg gebracht, aber ein entscheidender Baustein, eine Institution, die die Abwicklung von Banken und die Einlagensicherung europaweit einheitlich organisieren könnte, die gibt es immer noch nicht.

Welche Rolle spielt Deutschland bei den Finanzreformen in Europa beziehungsweise bei ihrer Verhinderung?

Bei den verschiedenen Reformvorhaben haben jeweils andere Regierungen innerhalb der EU die Rolle des Bremsers übernommen, sodass am Ende wichtige Teile nicht umgesetzt wurden. Bei der Bankenunion war es Deutschland. Beim Trennbankensystem stellte Frankreich sich quer. Die Idee einer Finanztransaktionssteuer wurde von mehreren Regierungen ausgebremst, unter anderem damals noch von Großbritannien. Entscheidend ist aber weniger, welche Regierung sich bei welchem Punkt querstellte, sondern dass sie jeweils auf Druck der Finanzlobby in ihrem Land handelten. Sinnvolle Reformschritte werden jedes Mal von der Branche abgeblockt, sobald das Interesse und damit der Druck der Öffentlichkeit erlahmt - zum Schaden von uns allen.

Kann die aktuelle Krise nun der entscheidende Weckruf sein?

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Wenn Reformen überhaupt durchsetzbar sind, dann - das hat sich in den vergangenen Jahren leider gezeigt - nur unmittelbar unter dem Eindruck einer krisenhaften Situation. In diesem Sinne macht mir der breite Aufschrei, den die jüngsten Bankenzusammenbrüche hervorgerufen haben, Hoffnung. Andererseits standen wir 2008 kurz vor dem kompletten Zusammenbruch des globalen Finanzsystems und haben die entscheidenden Reformen nicht geschafft. Diese Erfahrung macht mich doch skeptisch und ich frage mich: Wie viel Krise braucht es denn noch, damit die Verantwortlichen aufwachen?

Mit Gerhard Schick sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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