Bürgschaften für Siemens Energy "Windbranche kann und muss sich selbst tragen"
14.11.2023, 12:19 Uhr Artikel anhören
Die Kapitalkosten für Projekte mit erneuerbaren Energien sind massiv gestiegen. Lange Genehmigungsverfahren machen sie zudem zeitlich ungewiss, was bei den Firmen ebenfalls ins Kontor haut.
(Foto: dpa)
Windkraft ist für die Energiewende unverzichtbar, doch die Branche schwächelt. Sollte der Staat helfen, um die Ziele der Regierung zu erreichen? "Staatshilfen" sollten nur eine Übergangslösung sein, sagt Philipp Godron von der Agora Energiewende.
Siemens Energy braucht wegen der Probleme bei Siemens Gamesa Hilfe, Orsted - der weltgrößte Windprojektentwickler - macht Milliardenverluste und zieht sich aus den USA zurück. Ist Offshore-Windkraft noch ein zuverlässiger Bestandteil der Energiewende?
Philipp Godron: Ja, Windkraft auf See ist ein wichtiger Bestandteil für eine klimaneutrale Stromversorgung. Der Vorteil dieser Anlagen ist, dass sie hohe Volllaststunden erreichen. Auf See kann ein Gigawatt installierte Kapazität mehr und auch kontinuierlicher Strom erzeugen als Solar oder Windkraft an Land. Die Bundesregierung hat deshalb die Ausbauziele für Offshore-Windkraft aufgestockt: von 8 Gigawatt heute auf 30 Gigawatt bis 2030. 2045 sollen es 70 Gigawatt sein.
Die massiven Probleme zweier Big Player sind also irrelevant?
Die europäische Windindustrie ist relativ kontinental verwurzelt. Die Hersteller mit den großen Marktanteilen sind Vestas, Nordex, Enercon und Siemens Gamesa. Das sind alles europäische Hersteller. Daneben gibt es als amerikanisches Unternehmen noch GE Energy, das aber auch Standorte in Europa hat. Alle diese Hersteller haben unter dem Einbruch des Windausbaus in Europa - und ganz stark auch in Deutschland - aufgrund zu geringer Ausschreibungsmengen und langwieriger Genehmigungsverfahren gelitten. Das hat dazu geführt, dass mehrere dieser Unternehmen wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten und zum Teil immer noch haben. Die Folge: Sie haben Produktionskapazitäten abgebaut. Wenn jetzt bei einzelnen Unternehmen Probleme auftreten, dann ist das für den Wettbewerb und den Ausbau erstmal nicht gut. Aber das bedeutet nicht, dass es nicht einen Markt an Herstellern gibt, die die wachsende Nachfrage bedienen können. Die Konkurrenz schließt die Angebotslücke. Aber: Das kann zu weiteren Verzögerungen beim Ausbau führen.
Sind die erhöhten Ausbauziele dann überhaupt zu schaffen?
Ja, die gesteckten Ziele sind ehrgeizig. Aber die Potenziale für den Offshore-Ausbau sind bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Es gibt weitere Ausschreibungsrunden, die zur Zielerreichung bis 2030 beitragen können. Das Ziel, bis dahin 80 Prozent erneuerbare Energien zu erreichen, ist ambitioniert, aber grundsätzlich erreichbar, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Es gibt Herausforderungen, insbesondere wenn es darum geht, die installierte Offshore-Leistung von 30 Gigawatt auf 70 Gigawatt zu steigern. Ein Nadelöhr: Das deutsche Seegebiet, in dem Investitionen getätigt werden können, ist vergleichsweise klein. Hier ist die europäische Zusammenarbeit entscheidend, um Windprojekte länderübergreifend und unter Berücksichtigung von Naturschutz und Schifffahrt zu planen und umzusetzen. Die Zusammenarbeit sollte nicht nur Ausbauflächen, sondern auch die Netzinfrastruktur umfassen.
Was muss nun passieren, damit der Scheitelpunkt überwunden wird?
Seit dem letzten Frühjahr wurden mit dem Fokus auf Windkraft an Land verschiedene Maßnahmenpakete eingeführt, die darauf abzielen, Hindernisse zu überwinden und den Windkraft-Ausbau zu beschleunigen. So wurden die Genehmigungsverfahren gestrafft, die Ausschreibungsvolumina erhöht und mehr Flächen ausgewiesen. Es gibt bereits einige Fortschritte, zum Beispiel verzeichnet die Windkraft an Land eine Zunahme der Genehmigungen im Vergleich zu den Vorjahren und eine Steigerung um über 50 Prozent bei den Projekten, die sich an Ausschreibungen beteiligen. Dies deutet auf eine positive Entwicklung hin, aber eine weitere Beschleunigung ist erforderlich - insbesondere da wir von einem niedrigen Niveau starten. Die Richtung stimmt, aber die Geschwindigkeit entspricht noch nicht dem zur Zielerreichung erforderlichen Maßstab. Für Offshore ist entscheidend, dass die zuständigen Behörden die Seeflächen für weitere Projekte zügig definieren und eine fristgemäße Umsetzung der genehmigten sowie die Ausschreibung neuer Projekte sicherstellen.
Orsted hat zwei Milliarden-Projekte in den USA stornieren müssen. Die Kosten waren nicht gegenzufinanzieren. Sind die Anlagen wirtschaftlich profitabel?
In Deutschland beteiligen sich zahlreiche Konzerne an den Ausschreibungsrunden der Offshore-Windkraft. Sie sind bereit, beträchtliche Zahlungen zu leisten, um die Windparks mit dem deutschen und letztlich europäischen Stromnetz zu verbinden. Grundsätzlich deutet die Beteiligung an den Ausschreibungen darauf hin, dass Investoren in Offshore-Projekten ein attraktives Geschäftsmodell sehen.
Trotzdem verhandelt Siemens Energy mit der Bundesregierung über Hilfen. Gerade die Energiebranche sollte sich doch selbst tragen können.
Die Windbranche ist eine Wachstumsbranche, die sich perspektivisch im privatwirtschaftlichen Wettbewerb tragen muss und kann. Sie ist sicher keine Branche, die dauerhaft durch staatliche Subventionen, sei es durch die Europäische Union oder die Bundesregierung, alimentiert werden muss und sollte. Der Wettbewerb ist ja auch hilfreich, um letztlich zu attraktiven Herstellungspreisen und damit günstigen Energiekosten für uns alle zu kommen. Gleichzeitig: Die Energieversorgung muss resilient sein. Deshalb ist eine Absicherung von zusätzlichen Herstellerkapazitäten für Erneuerbare in der aktuellen Investitionsphase sinnvoll - so machen es übrigens auch die USA und China. Windkraft ist eine Schlüsseltechnologie, die in Europa bleiben muss.
Mit Philipp Godron sprach Leon Berent
Dieses Interview erschien zuerst bei capital.de
Quelle: ntv.de