Wirtschaft

"Größter Prozess der Geschichte" Wirecard-Aktionäre verklagen EY auf Schadensersatz

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Die Klage gegen die Wirtschaftsprüfer läuft parallel zum Strafprozess gegen die ehemaligen Wirecard-Vorsitzenden.

Die Klage gegen die Wirtschaftsprüfer läuft parallel zum Strafprozess gegen die ehemaligen Wirecard-Vorsitzenden.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Parallel zum Strafprozess gegen die ehemaligen Wirecard-Chefs beginnt ein Mammut-Zivilprozess um Schadensersatz. Im Fokus stehen vor allem die Wirtschaftsprüfer von EY. Es geht um mindestens 750 Millionen Euro. Die Kläger fürchten eine jahrelange Verfahrensdauer.

Viereinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite wird Bayerns Oberstes Landesgericht an diesem Freitag stellvertretend für eine Lawine von Schadenersatzforderungen die Musterklage eines hessischen Aktionärs verhandeln. Die Klage richtet sich neben dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun insbesondere auch gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die mutmaßlich falschen Bilanzen des 2020 zusammengebrochenen DAX-Konzerns über Jahre bestätigt hatte.

Musterkläger-Anwalt Peter Mattil geht davon aus, dass ein Urteil innerhalb der nächsten Jahre möglich ist. "Die Feststellungsziele, die wir bei Gericht eingereicht haben, umfassen mit Begründung 800 Seiten", sagte Mattil. "Darunter sind sehr viele Pflichtverletzungen von Ernst & Young, die wir einzeln dargelegt und beschrieben haben. Das muss natürlich abgearbeitet werden. Wenn das Gericht zügig arbeitet und ein Gutachten in Auftrag gibt, um diese Feststellungsziele abzuhandeln, könnte das in der ersten Instanz in drei Jahren erledigt sein."

EY wies jegliche Vorwürfe zurück. "Wir bewerten die Schadensersatzklagen gegen EY Deutschland als unbegründet", erklärte ein Sprecher. "Daher ist unsere Position weiterhin, dass Ansprüche gegen EY Deutschland auf Schadenersatz nicht bestehen." Das Gericht will zunächst prüfen, ob im Rahmen des Kapitalanleger-Musterverfahrens überhaupt gegen EY verhandelt werden kann. Auf Entschädigung hoffen können geschädigte Anleger dann, wenn sie durch falsche Informationen zum Kauf der jeweiligen Aktie verleitet wurden.

Gericht hat Flughafenhalle angemietet

Das zivilrechtliche Musterverfahren läuft getrennt vom Strafprozess, in dem sich Braun und Mitangeklagte seit Dezember 2022 verantworten müssen. Die Musterklage wird quasi stellvertretend für 8500 Schadenersatzklagen mit Forderungen von 750 Millionen Euro verhandelt. Diese 8500 Verfahren sind nun bis zum Ende des Musterprozesses ausgesetzt. Wirecard-Aktien waren 2018 auf fast 200 Euro pro Stück gestiegen, nach der Pleite 2020 waren es nur noch Cent-Beträge.

Abgesehen von den eigentlichen Klagen haben zudem 19.000 Aktionäre Schadenersatzforderungen angemeldet, wie der Sprecher des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) mitteilte. Und im Insolvenzverfahren summieren sich die Forderungen mittlerweile auf über 15 Milliarden Euro. Darunter sind laut BayObLG 50.000 Aktionäre, die für ihre Kursverluste 8,5 Milliarden Euro verlangen. Zehntausende Schriftsätze, die schätzungsweise mehrere Millionen Seiten Papier umfassen, sind bereits eingegangen.

Aufgrund der Größenordnung des Prozesses wurde für die Verhandlung die ehemalige Empfangshalle des Flughafens München-Riems angemietet. Diese ist mit 700 Quadratmetern Fläche und der elf Meter hohen Decke für 500 Menschen ausgelegt.

Aktionärsgemeinschaft kritisiert Verfahrensdauer

Nicht alle Kläger blicken so optimistisch auf die Verfahrensdauer wie Musterklägeranwalt Mattil. "Das ist das größte Zivilverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Es sind seit Einreichung der ersten Klage über viereinhalb Jahre vergangen, bis wir eine erste mündliche Verhandlung haben, und das auch nur zur Klärung einer Teil-Vorfrage", kritisierte das Vorstandsmitglied der Aktionärsgemeinschaft SdK, Marc Liebscher.

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Allein die Auswahl eines Musterklägers habe ein Jahr gedauert. In der Aktionärsgemeinschaft herrscht nach Liebschers Worten das Gefühl vor, "dass am Bayerischen Obersten Landesgericht wegen mangelnder Digitalisierung und vielleicht auch wegen mangelnden Personals sowohl die Ausstattung als auch der Wille fehlen. Unser Eindruck ist, da sollen die Kläger durch Frustration und Langwierigkeit demotiviert werden."

Das Gericht dagegen verwies auf die Komplexität des Verfahrens mit der Vielzahl von Beteiligten und Forderungsanmeldungen. "Schon angesichts dessen ist der geschilderte Vorwurf nicht nachvollziehbar", sagte ein Sprecher. Als Negativbeispiel gilt bis heute das Telekom-Verfahren, der erste Musterprozess in Deutschland. Dieser dauerte zwanzig Jahre, der ursprüngliche Musterkläger verstarb Jahre vor dem Abschluss.

Quelle: ntv.de, gri/dpa/AFP

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