
Die Europäische Zentralbank steuert auf eine weitere Zinserhöhung zu,
(Foto: REUTERS)
Seit dem vergangenen Sommer hat die EZB unter der Führung von Christine Lagarde die Zinsen aggressiv erhöht. Doch nun deutet sich an, dass die Notenbank das Tempo reduziert.
Christine Lagarde mag keine Überraschungen - zumindest dann nicht, wenn es um ihren Job als Chefin der Europäischen Zentralbank geht. Normalerweise ist im Vorfeld einer Zinsentscheidung der Notenbankerinnen und Notenbanker klar, ob und in welcher Höhe die Leitzinsen verändert werden. Doch dieses Mal ist das nicht der Fall.
"Forward Guidance" nennt sich das Prinzip, demzufolge eine Zentralbank ihre künftigen geldpolitischen Entscheidungen im Vorfeld mehr oder weniger offen kommuniziert. Damit will sie erreichen, dass sich etwa Finanzmarktakteure und Regierungen darauf einstellen können.
Am heutigen Donnerstag trifft sich der Rat der EZB, um über einen weiteren Zinsschritt zu entscheiden. Sie hat im Kampf gegen die hohe Inflation die Zinsen seit Juli 2022 sechsmal in Folge hochgesetzt - zuletzt Mitte März um 0,50 Prozentpunkte.
Die EZB hat deutlich gemacht, dass die Leitzinsen noch weiter steigen werden. Doch konkreter wurde es bisher nicht. Die Frage ist also: Steigt der maßgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, lediglich um 0,25 oder doch um 0,5 Prozent?
Der Grund für die Zurückhaltung dürfte sein: Der EZB-Rat wollte unbedingt auf Daten warten, die die Zinsentscheidung maßgeblich beeinflussen - und die erst am vergangenen Dienstag veröffentlicht wurden. Zum einen waren das aktuelle Daten zur Inflation in der Eurozone, zum anderen die jüngste vierteljährliche Umfrage der Notenbank zur Kreditvergabe der Banken.
Kerninflation im Fokus
Diese Daten sprechen nach Ansicht der Mehrheit von Marktakteuren, Analysten und Volkswirten für einen kleineren Zinsschritt - und das, obwohl die Inflation in der Eurozone hartnäckig bleibt. Sie hat sich zwar von den Höchstständen des vergangenen Jahres deutlich entfernt. Doch im April lagen die Verbraucherpreise immer noch satte 7 Prozent höher als ein Jahr zuvor und damit weit entfernt von der 2-Prozent-Marke, an der die EZB Preisstabilität sieht. Außerdem hatte die Inflationsrate im April im Vergleich zum März wieder etwas an Fahrt gewonnen, als sie 6,9 Prozent erreicht hatte.
Für Erleichterung der Zentralbankerinnen und Zentralbanker dürfte jedoch eine andere Zahl gesorgt haben. Die Kernrate, in der schwankungsreiche Lebensmittel- und Energiepreise ausgeklammert sind, ging im April zum ersten Mal seit zehn Monaten zurück - auf 5,6 Prozent. Auf diese Rate achtet die EZB besonders. Sie liefert ihrer Ansicht nach einen besseren Hinweis als die allgemeine Preissteigerung, um die mittelfristige Inflation einschätzen zu können. Dass sich die Kerninflation in letzter Zeit als noch hartnäckiger als die Gesamtinflation erwies, war deshalb kein gutes Zeichen. Nun deutet sich aber an, dass auch sie ihren Höhepunkt erreicht hat.
Auch die Umfrage zur Kreditvergabe liefert der EZB ein Argument dafür, den Fuß vom Zinspedal zu nehmen. Denn demnach ist die Nachfrage von Unternehmen nach Krediten im ersten Quartal deutlich zurückgegangen. Für das laufende zweite Quartal rechnen Banken damit, dass sich die Nachfrage nach Krediten noch weiter abschwächen wird.
Der Mechanismus: Durch Zinserhöhungen wird es teurer, sich Geld zu leihen. Das bremst sowohl Konsum als auch Investitionen und damit die Nachfrage. Das dämpft tendenziell die Preise. Bis die Zinserhöhungen ihre volle Wirkung entfalten, dauert es allerdings. Als Faustregel gilt eine Dauer zwischen 12 und 18 Monaten. EZB-Ratsmitglied Constantinos Herodotou sagte vor Kurzem, die Zentralbank sei mit ihrem Zinserhöhungskurs bereits in den Bereich vorgedrungen, ab dem eine Volkswirtschaft gebremst wird.
Doch vielleicht sorgen die EZB-Ratsmitglieder um Christine Lagarde heute für eine Überraschung.
Quelle: ntv.de, mit rts