"Bureaucrazy" will im Januar starten Flüchtlinge führen durch Behördendschungel
18.08.2016, 10:38 Uhr
Die App will Behördendokumente auf Deutsch, Englisch und Arabisch zum Herunterladen anbieten.
(Foto: twitter.com/@MTVLebanonNews)
Behördengänge in Deutschland verlangen einem viel ab. Besonders für neuankommende Flüchtlinge ohne Sprachkenntnisse sind bürokratische Hürden kaum zu meistern. Eine von Syrern entwickelte App soll Migranten als Wegweiser dienen.
Wenn schon die Deutschen regelmäßig an der hiesigen Bürokratie scheitern, wie sollen sich da erst Neuankömmlinge zurechtfinden? Mit einer Handy-App, antwortet eine Gruppe syrischer Flüchtlinge und macht mit ihrer Anwendung namens "Bureaucrazy" auf die Arbeitsmarktpotenziale der vielen Einwanderer aufmerksam.
Das von den jungen Flüchtlingen entwickelte Projekt soll Migranten als Wegweiser durch den deutschen Behördendschungel dienen, in dem es meistens noch reichlich analog zugeht. "Ich war schockiert über die langen Warteschlangen", sagt Omar Alshafai über seinen ersten Eindruck von den deutschen Behörden. Nach seiner Ankunft habe er zwei Wochen auf ein Papier mit dem schwer verständlichen Namen "Kostenübernahme" gewartet, sagt der 31-Jährige. Dieses Papier brauchte er aber, um bis zu seiner Unterbringung in einer Unterkunft in einem Hostel schlafen zu können.
"Und als ich das Papier dann unterschrieben habe, wusste ich gar nicht, wozu ich da eine Zusage gegeben habe", sagt Alshafai, der im April 2015 aus Damaskus kam, über den deutschsprachigen Zettel. Mit diesen Eindrücken im Hinterkopf startete Alshafai im vergangenen Februar als einer von 42 Studenten einen Kurs bei der ReDI School for Digital Integration in Berlin.
Potenzial von Flüchtlingen erkennen
Die gemeinnützige Schule will junge Flüchtlinge zu Programmierern ausbilden und mit Unternehmen zusammenbringen. Rund 43.000 Stellen im IT-Sektor seien in Deutschland unbesetzt, sagt ReDI-Mitgründerin Anne Kjaer Riechert. Die sechs Syrer hinter "Bureaucrazy" hätten zwar keine Vorerfahrung als Programmierer gehabt, sagt sie. "Aber dafür sind sie intensive Nutzer von Smartphone-Technologie, denn auf der Flucht war das Handy für viele ein Rettungsanker."
Von dem ersten ReDI-Jahrgang machten 35 Studenten ihren Abschluss. "Bureaucrazy"- eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen für Bürokratie und verrückt - ist das Abschlussprojekt von Alshafai und fünf syrischen Kommilitonen. "Bei unserer ersten Ideensammlung haben wir über unsere Probleme geredet und überlegt, wie Technologie diese lösen kann", sagt Ghaith Zamrik. Der 19-Jährige war am Weihnachtstag 2015 in Berlin angekommen und fand sich acht Wochen später im ReDI-Seminar wieder.
"Wir haben zwei Hauptprobleme ausgemacht: zum einen die Sprache und zum anderen die Bürokratie, weil wir das hiesige System nicht verstanden haben", sagt Zamrik. Er und Omar müssen lachen bei dem Versuch, das Wort "Mietschuldenfreiheitsbescheinigung" auszusprechen. Zwar gibt es jede Menge Übersetzungs-Apps für Smartphones, doch eine adäquate Übersetzung des Behördendeutschs - und zwar in beide Richtungen - ist kaum verfügbar.
App soll im Januar starten
"Bureaucrazy" will deutsche Behördendokumente auf Deutsch, Englisch und Arabisch zum Herunterladen anbieten. Der Clou: Die Dokumente können in der Fremdsprache ausgefüllt und anschließend zurück ins Deutsche übersetzt werden. Zudem verortet "Bureaucrazy" wichtige Adressen auf einer Karte, führt zu Behörden und Trägern von Hilfsangeboten und beantwortet immer wieder auftauchende Fragen von Neuankömmlingen.
Das Team hinter "Bureaucrazy" will aber nicht nur Migranten helfen, sondern demonstrieren, dass diese auch eine Bereicherung für Gesellschaft und Arbeitsmarkt sein können. "Viele Flüchtlinge arbeiten an etwas, ohne dass Medien darüber berichten", sagt Zamrik. Das Berliner Start-up ReDI setzt sich dafür ein, die Potenziale von Flüchtlingen durch gezielte Förderung und Weiterbildung auszuschöpfen.
Alshafai und seine Mitstreiter wollen die App bis Januar auf den Markt bringen. Derzeit sammeln sie noch über die Plattform Betterplace.org Spenden, um "Bureaucrazy" zur Marktreife zu entwickeln. Zamrik sagt: "Wir wollen nicht nur Flüchtlingen, sondern allen Neuankömmlingen im Umgang mit der Bürokratie helfen."
Quelle: ntv.de, Deborah Cole, AFP