Flüchtlinge in Arbeit bringen "Oft ist aufseiten der Unternehmen Angst da"
30.07.2024, 19:35 Uhr
"Nur wer seine Kurse besteht, wird vermittelt", sagt Zarah Bruhn.
(Foto: picture alliance/dpa)
Es ist eines der großen Probleme unserer Gesellschaft: Der Wirtschaft fehlt ohne Ende Personal, viele Flüchtlinge sind nicht in Arbeit. Zarah Bruhn will das mit ihrem Startup Socialbee ändern: "Der Fachkräftemangel bis 2035 ist eklatant. Sieben Millionen Menschen werden den Arbeitsmarkt verlassen", warnt sie im ntv-Podcast "Startup - Jetzt ganz ehrlich". Im Kampf um wirtschaftliche Talente bringt sie Unternehmen bei, sich von der deutschen Sprache zu lösen und Flüchtlingen, die deutsche Werte anzunehmen.
ntv.de: Warum versuchen Sie mit ihrem Startup Geflüchtete in Arbeit zu bringen?

Socialbee von Zarah Bruhn wird von Unternehmen wie SAP oder Bayer genutzt. Die Job-Plattform bietet Qualifizierungsprogramme für Geflüchtete an und zeigt Unternehmen, wie sie diese Talente langfristig integrieren. Ziel ist, dass die Unternehmen sie nach maximal anderthalb Jahren Beschäftigung über Socialbee in ein festes Arbeitsverhältnis übernehmen. Rund 1300 geflüchtete Menschen hat Socialbee bereits von Leistungsbeziehern zu Einzahlern gemacht.
(Foto: Socialbee)
Zarah Bruhn: Ich bin vor acht Jahren auf eine schockierende Zahl gestoßen: Trotz großer Versprechungen haben 29 DAX-Unternehmen bis 2016 nur vier Geflüchtete eingestellt. Ich habe gedacht, dass es so nicht weitergehen kann, man den Unternehmen helfen muss und ich eine Organisation gründen möchte, die Unternehmen vom Mehraufwand entlastet und Hürden und Bürokratie abbaut. Damit die Unternehmen im großen Stil einstellen können. So war die Idee für Socialbee geboren.
Der deutschen Wirtschaft fehlt einerseits ohne Ende Personal, andererseits gibt es viele Flüchtlinge, die nicht arbeiten. Warum kommen diese Welten nicht zusammen?
Der Fachkräftemangel bis 2035 ist eklatant. Sieben Millionen Menschen werden den Arbeitsmarkt verlassen. Migration ist die einzige Möglichkeit, den demografischen Wandel noch ansatzweise aufzufangen. Wenn wir uns aber die Unternehmen anschauen, investieren viele einfach nicht konsequent in Themen wie Diversität oder Zuwanderung, geschweige denn passen sie ihre Recruiting-Prozesse an. Das müssen sie aber, denn es werden nicht alle Menschen Deutsch sprechen, sondern viele Englisch. Wir haben beispielsweise mit großen Beratungsunternehmen zusammengearbeitet, die Geflüchtete einstellen wollen und Fragen stellen wie: Haben die eigentlich einen deutschen Abschluss? Wie gut waren deren Noten im Studium? Die haben Angst, dass sie schlechtere Kandidaten einstellen, wenn sie ihre Standards anpassen. Das sind Vorurteile, gerade in höher qualifizierten Jobs. Mit Socialbee sind wir ein Brückenbauer, dem die Unternehmen vertrauen. Wir haben schon mehr als 10.000 Menschen rekrutiert.
Die Schuld kann man aber nicht nur bei den Unternehmen suchen. Was ist mit den politischen Rahmenbedingungen und den Geflüchteten selbst?
Als wir mit Socialbee angefangen haben, waren die politischen Regularien noch sehr wild. Für Menschen im Asylverfahren gibt es Restriktionen. Denen helfen wir mit der Bürokratie. Mittlerweile haben wir aber schon sehr viele Menschen mit unbeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt im Land, die arbeiten können. Aber oft ist eben aufseiten der Unternehmen Angst da: Wie lange dürfen die Leute bleiben? Wie sieht es denn in Afghanistan gerade aus? Wie in Nigeria? Mit unserem Startup können wir mit dem nötigen Wissen helfen. Die Fälle, wo jemandem die Arbeitserlaubnis entzogen oder jemand abgeschoben wurde, sind im Verhältnis nicht mal ein oder zwei Prozent der Fälle, mit denen wir arbeiten.
Zwischen Januar und August 2023 haben mehr als 204.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Das waren 77 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und EU-weit der Spitzenwert. Sie können aber nicht mit allen zusammenarbeiten, oder?
Ja, die Zahlen steigen wieder. Die ukrainischen Geflüchteten hatten allerdings keine großen Restriktionen beim Arbeitsmarktzugang. Da ging es eher um die Sprache, Qualifizierungen oder auch um Familienunterstützung, Familienbetreuung und den Fokus auf Frauen. Wir versuchen für Unternehmen die passenden Kandidatinnen zu finden. Gerade haben wir sehr viele Qualifizierte. In unserem Female Accelerator Program qualifizieren wir Geflüchtete zur Projektmanagerin. Für 20 Plätze haben sich fast 300 Frauen beworben, die in Deutschland bisher keine Chance bekommen haben und putzen gehen mussten.
Müssen sich nur die Unternehmen anpassen oder auch die Geflüchteten?
Klar, die Geflüchteten müssen die Sprache lernen, ein Kulturverständnis entwickeln und sich öfter zu unseren Werten bekennen. Je höher sie qualifiziert sind, desto schneller geht es. Menschen, die eher eine einfache Tätigkeit gelernt haben, brauchen oft ein bisschen länger. Die muss man heranführen. Das kann aber speziell bei der Sprache auch vom Arbeitgeber kommen: Du musst für den Job gutes Deutsch können; wir möchten, dass du einen Sprachkurs machst. Die haben mehr Einfluss, als man denkt. Wir haben bei uns auch Trainings, bei denen die Geflüchteten sensibilisiert werden, wie man hier mit Frauen umgeht. Es gibt auch viele Unternehmen, die sagen, dass die Geflüchteten für Themen wie Antisemitismus sensibilisiert sein sollen. Das sind auch bei uns Auswahlkriterien, wo wir die Geflüchteten in die Pflicht nehmen. Nur wer seine Kurse besteht, wird vermittelt. Nur wer seine Sprachkurse besucht, bleibt langfristig im Job. Es ist wichtig, die Karotte vor die Nase zu halten, aber auch Forderungen zu stellen.
Mit Zarah Bruhn sprach Janna Linke. Das Gespräch können Sie sich im ntv-Podcast "Startup - Jetzt ganz ehrlich" anhören.
Was verbirgt sich hinter der schillernden Fassade der Startup-Szene? Janna Linke weiß es. Im Podcast "Startup - Jetzt ganz ehrlich" wirft sie jede Woche einen Blick hinter die Kulissen der Gründerszene und spricht über Themen, die gerade Schlagzeilen machen. Sie ordnet ein, hakt nach. Persönlich, ehrlich und mit einem echten Mehrwert. Dafür spricht sie mit Persönlichkeiten der Szene, Expertinnen und Experten und gibt euch den absoluten Rundumblick. Gemeinsam taucht ihr tief ein in die Startup-Welt.
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Quelle: ntv.de