Sehen und gesehen werden Die Materialschlacht vor der IAA
13.09.2015, 08:24 Uhr
Noch dominieren Kräne und Gabelstapler die Hallen unter dem Frankfurter Funkturm.
Wer auf der IAA gesehen werden will, der darf nicht kleckern, sondern muss klotzen. Und so beginnt bereits vor dem offiziellen Messestart eine Materialschlacht, die ihres Gleichen sucht. Aber das Ergebnis kann sich immer wieder sehen lassen.
Es wird sein wie immer. Noch am Montagabend wird es in den Hallen rund um den Frankfurter Messeturm aussehen wie auf einer riesigen Baustelle: Überall Kabeltrommeln, Kisten und Container, statt neuen Autos sieht man nur alte Gabelstapler, von sauberem Teppichboden keine Spur , in der Luft liegt ein Duft von frischer Farbe, Klebstoff und Putzmittel und dass hier in ein paar Stunden die größte Automobilmesse des Kontinents eröffnet werden soll, können in diesem Moment nicht einmal die Verantwortlichen glauben. Und trotzdem werden sie genau wie alle zwei Jahre an dieser Stelle auch diesmal wieder rechtzeitig fertig sein: Wenn am Dienstag erst die Presse und ab Donnerstag die Fachbesucher durch die Hallen ziehen, sind die Gabelstapler verschwunden, es riecht neuem Gummi und auf den Bühnen funkelt das polierte Premierenblech im Scheinwerferlicht, das in der Summe an diesen Tagen selbst die Sonne in den Schatten stellt.
Der Aufwand ist gigantisch
Für diese Inszenierung treiben die Hersteller einen Aufwand, der weit über die Vorstellungskraft hinausgeht. Nicht nur, dass sie im Prinzip bereits zum Ende der Messe mit den Planungen für die nächste IAA in zwei Jahren beginnen. Auch der konkrete Aufbau dauert oft Wochen, manchmal sogar monatelang. Mercedes zum Beispiel, während der IAA traditionell in der alt ehrwürdigen Festhalle zu Hause, rückt in Frankfurt bereits zwei Monate vor der Messe an und beginnt mit dem Bau einer ganz eigenen Glitzerwelt. Kein Wunder, immerhin montieren die Schwaben mit zeitgleich rund 150 Mitarbeitern auf fast 10.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche unter anderem 1500 bewegliche und 3000 fest installierte Scheinwerfer, ziehen in der Festhalle mehrere Zwischenböden ein, die mit einer gigantischen Rolltreppe verbunden werden und verlegen insgesamt 235 Kilometer Kabel. Und das alles, damit am Ende nicht einmal 80 Autos im rechten Licht stehen.
Bei der Konkurrenz ist der Aufwand kaum geringer. Opel etwa schafft 160 Lastwagen voll Material in die Messehalle, das mit drei Staplern und 41 Hebebühnen ausgeladen und montiert wird – darunter zum Beispiel 54 Lautsprecher mit zusammen 32.000 Watt, 500 Quadratmeter LED-Displays, 60 Tonnen Stahl, 100 Tonnen Holz und 1.200 Quadratmeter Teppichboden. Und für den VW-Konzern fahren rund 400 Sattelzüge, bis die Halle 3.0 aussieht wie eine Autostadt im Kleinen. Dazu zählen allein für VW 200 Kilometer Kabel und 200 Tonnen Stahl und für Audi im eigenen Haus auf dem Freigelände je 800 Quadratmeter Glas- und Spiegelfläche und 640 Treppenstufen, mit denen die Bayern auf ihrem Stand insgesamt 115 Höhenmeter überwinden.
44.000 Erdumrundungen
Den vielleicht spektakulärsten Messestand hat allerdings mittlerweile BMW. Denn zur Premiere von i3 und i8 haben die Bayern erstmals eine echte Fahrbahn in die Halle gezimmert, auf der sie Autos so präsentieren können, wie es sich gehört: In Bewegung. Seitdem hat BMW das Konzept ständig weiterentwickelt, die Teststrecke immer wieder modifiziert und sie auch diesmal wieder aufgebaut. An Dienstag wird dort deshalb auf einer 400 Meter langen Kreisbahn der neue Siebener seine Runden drehen – und bis zum Ende der Messe rund 44.000 Kilometer abgespult haben. Das ist mehr als eine Erdumrundung auf Höhe des Äquators. Kein Wunder, dass diese Straße nicht in ein paar Tagen aufgebaut ist, sondern auch die BMW-Truppe schon vor Wochen von München an den Main gekommen ist.
Doch die Uhr tickt und am Dienstagmorgen müssen alle fertig sein. Dann, wenn der letzte Teppich verlegt und der letzte Scheinwerfer eingestellt ist, kommt es auf dem IAA-Gelände zum großen Schichtwechsel. Die Armee der Blaumänner und Overalls rückt ab und macht Platz für Heerscharen von Herren und Damen im feinen Zwirn. Bei BMW zum Beispiel sind für den IAA-Auftritt rund 1000 Mitarbeiter abgestellt – darunter allein 172 Hostessen. Bei Audi haben jeden Tag 372 Personen Standdienst und selbst bei Hyundai immerhin 110.
Die Waffen wechseln
Mit dem neuem Personal geht die Materialschlacht während der Messe weiter – nur dass die Aussteller dann mit anderen Waffen kämpfen: Prospekte statt Hebebühnen, Kaffee statt Bühnenelemente und Häppchen statt Übersee-Container. Und auch da sind die Zahlen nicht minder imposant: So plant zum Beispiel Hyundai mit 4000 Tassen Kaffee, 550 Liter Trinkwasser, 2200 Softdrinks und 1400 Menüs. Und Audi hat vorsorglich schon einmal 400 Kilo Gummibärchen gebunkert.
Dazu kommt noch die allgemeine Verpflegung durch den Veranstalter. Allein die Messegesellschaft hat ihr Personal für die Kulinarik mehr als verzehnfacht: zu den 100 festangestellten Köchen und Servicekräften kommen während der IAA noch einmal 1200 Aushilfen – die 2000 Dienstleister für Reinigung, Service und Bewachung noch nicht mitgerechnet.
Während Hostessen und Berater, Köche und Kellner zwei Wochen lang schuften, tun die Messebauer gut daran, die Zeit bis zum Sonntag in einer Woche zur Erholung zu nutzen und den Muskelkater abklingen zu lassen. Denn während die Messe für das Standpersonal am Abend des 27. Septembers tatsächlich gesungen ist und das große Hupkonzert zum Toresschluss den finalen Feierabend markiert, ist es für die Spezialisten von Auf- und Abbau das unzweifelhafte Signal zum nächsten Akt der Plackerei. Denn kaum ist der letzte Messegast aus der Halle gekehrt, wandelt sich auf dem Gelände in Frankfurt deshalb wieder das Bild. Eben noch eine Autoshow, erobern dann wieder die Gabelstapler und Lastwagen die Bühne. Wenn das nicht die perfekte Einstimmung für die nächste IAA ist – die Nutzfahrzeugmesse im Herbst 2016 in Hannover.
Quelle: ntv.de, hpr/sp-x