Nissan GT-R im Praxistest Langsam ist nichts für "Godzilla"
06.11.2015, 14:33 Uhr
Der Nissan GT-R ist eine Seltenheit: Hier gibt es mehr als 300 km/h für unter 100.000 Euro.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Zerstörerisch ist er nicht, es muss wohl die schiere Kraft sein, die dem Nissan GT-R den Beinamen "Godzilla" einbrachte. Japans Beitrag zur Welt der Supersportwagen ist seit 2007 auf dem Markt, aber bis heute kein bißchen zarter geworden, wie der n-tv.de-Praxistest zeigte.
Wer in Deutschland ein 300 km/h schnelles Coupé fahren möchte, aber keine sechsstelligen Summen flüssig hat, dem bietet der Markt nur wenig Auswahl. Im Vergleich zu 911er Turbo, Lamborghini oder Ferrari ist der Nissan GT-R geradezu ein Schnäppchen. Für 96.900 Euro ist der Allrad-Bolide zu haben, inklusive diverser Extras, die anderswo die Preise treiben. An Fahrdynamik und Leistungskraft steht er der Konkurrenz nicht nach. Legendär ist der Vergleichstest aus dem Jahre 2009, in dem der Nippon-Renner den bis dahin unumstrittenen Zeremonienmeister des PS-Kults, den Porsche Turbo, zum Vizekönig machte.

Das wuchtige Heck des Nissan GT-R beherbergt einen für Sportcoupés erstaunlich großen Kofferraum.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Seit diesem fulminanten Auftritt hat der GT-R diverse Überarbeitungen erfahren und seine Rundenzeiten auf der Nordschleife verbessert. Feinschliff an Aerodynamik, am Innenkomfort sowie dem Fahrwerk machen ihn aus Sicht des Herstellers zum besten GT-R, den es je gab. Gegenwärtig ist er in vier Varianten zu haben, wovon drei Versionen wie der Testwagen über 550 PS verfügen. Zubereitet werden sie in einem 3,8-Liter-V6-Leichtmetallmotor, dem zwei Turbolader ordentlich Druck machen. Das spüren die Insassen nicht nur im Kreuz, sondern auch in den Ohren, denn die Schaufelräder machen durch prägnantes Pfeifen auf sich aufmerksam.
Nissans Kraftmeier ist hierzulande ein absoluter Exot. Selbst Ferrari und Lamborghini konnten dieses Jahr in Deutschland mehr Zulassungen für sich verbuchen und das, obwohl die einschlägigen italienischen Modelle das doppelte oder mehr kosten. Vom 2+2-Sitzer, dem die Fans den Beinamen "Godzilla" verliehen, gab es im letzten Dreivierteljahr nur rund 125 Neuanmeldungen. Kein Wunder also, dass auch der Testwagen im Stadtbild unablässig Blicke auf sich zog. Die meisten werden das Auto wohl aus "Fast and Furious" kennen. Die beiden Adjektive aus dem Filmtitel, so viel sei schon verraten, treffen zu.
Ein Fall für hundert Oktan

Exotisch und bärenstark: Der Nissan GT-R, in Fankreisen bekannt als "Godzilla".
(Foto: Busse/Textfabrik)
Angesichts eines nahezu sechsstelligen Grundpreises von einem Schnäppchen zu sprechen, ist gewiss etwas gewagt, doch setzt man Euro und Pferdestärken in Relation, kann allenfalls noch die Corvette mithalten. Nicht knausern sollte man auf jeden Fall beim Sprit. Der Hersteller empfiehlt 100 Oktan. Für den Alltagsbetrieb reichen sicher auch weniger, aber wer bestrebt ist, per Abo-Karte für die Nordschleife stetig seine Ergebnisse zu verbessern, sollte diese Empfehlung nicht außer Acht lassen.
Die massige Optik des Nissans täuscht: Die 1760 Kilogramm, mit denen der Testwagen auf die Waage rollte, sind ein guter Wert, das Leistungsgewicht beträgt damit 3,2 kg/PS. Besser wird der Wert sogar noch, wenn man den entwicklungs-technischen Kontext betrachtet. Bei Konzipierung des Wagens wusste man längst noch nicht so viel über Leichtbau, hochfeste Stähle, Verbundmaterialien und Sandwich-Verfahren wie heute. Als Schönling wird der GT-R wohl in seiner Laufzeit nicht mehr gelten, aber die maskuline bis martialische Linienführung ist angesichts der Leistungsdaten durchaus gerechtfertigt.

Auf dem Info-Monitor des Nissan GT-R können alle denkbaren Fahrdaten abgerufen werden - in Echtzeit.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Ein scheunentorartiger Lufteinlass zwischen den spitz auf die Außenspiegel hinlaufende Scheinwerfergläser, breit ausgestellte vordere Radhäuser mit Entlüftungsschlitzen, winzige hintere Seitenscheiben (die eine Ahnung von der Kopffreiheit geben, die über den beiden Notsitzen herrscht) und bündig versenkte Türgriffe sind der Auffälligkeiten noch nicht genug. Die Griffe fand anscheinend das Jaguar-Designteam so kleidsam, dass sie das Prinzip für den F-Type adaptierten. Die Spielkonsolen-Architektur im Cockpit kommt nicht von ungefähr. Es gibt gute Gründe, das Informationsangebot für übertrieben zu halten, aber wer Autofahren unter Entertainment-Gesichtspunkten begreift, wird hier seine Freude haben. Getriebe- und Motoröl, Ladedruck, Querkräfte, Drehmomentverteilung im Allradsystem – alles ist abruf- und im Monitor individuell konfigurierbar. Heute würde man den GT-R wohl von Hause aus mit einem Head-Up-Display ausstatten, aber das Grundkonzept ist ja auch schon rund zehn Jahre alt.
Nur nach vorn schauen
Für ein Sportcoupé dieses Zuschnitts bietet der GT-R erstaunlich viel Kofferraum: 315 Liter. Und da in den hinteren Sitzmulden besser niemand kauern sollte, ist sogar noch mehr Platz zum Verstauen von Gepäck nutzbar. Die Notwendigkeit für den wuchtigen Spoiler auf dem Heckdeckel ergibt sich aus dem erforderlichen Anpressdruck, den man in Tempobereichen jenseits 250 km/h haben sollte. Dass der Flügel die ohnehin dürftige Sicht nach hinten zusätzlich einschränkt, hat man bei Nissan bemerkt und spendiert eine serienmäßige Rückfahrkamera.

Beliebte Praxis bei Sportwagen-Herstellern: Der Motorblock des Nissan GT-R ist mit dem Namen des ausführenden Mechaniker versehen.
(Foto: Busse/Textfabrik)
Gelegenheiten, solches Tempo zu erzielen, sind selbst auf deutschen Autobahnen rar. Deshalb lässt sich an dieser Stelle nur sagen, dass der Wagen bei Tachoanzeige "300" keine Anzeichen gab, ihm werde in Kürze die Puste ausgehen. Das Hämmern des Sechszylinders ist in dieser Situation erstaunlicher Weise nicht auf Nerv-Niveau, der "rote Bereich" des Drehzahlmessers noch gut 500 Touren entfernt. Was die vier jeweils 13,5 Zentimeter Durchmesser großen Endrohre jetzt an verbrannten Gemisch in die Natur entlassen, möchte man besser gar nicht wissen. Der Testverbrauch von 12,8 Litern je 100 Kilometer im Schnitt belegt aber, dass man den GT-R auch zurückhaltend fahren kann. Bei anderen Tests kamen auch schon mal 15 Liter und mehr heraus. Hart, aber herzlich ist der Langstreckenkomfort. Wenig Gummi auf den 20-Zöllern macht das nicht besser, aber die Leder-Sitzschalen sind bequem genug, längere Autobahnpassagen nicht zur Tortur werden zu lassen.
Die Wissenschaft der Physik ist für die meisten Menschen eine sehr theoretische Angelegenheit. Autos wie der GT-R machen sie erlebbar. Hinterm Steuer ist schon nach wenigen, straff gefahrenen Kilometern einzusehen, dass physikalische Grenzen nicht absolut, sondern relativ sind. Es ist relativ einfach, einen Kompaktwagen auf dem Wedelkurs zu Haftungsproblemen zu verleiten, aber es ist relativ schwierig, einen GT-R an den Rand des Kontrollverlusts zu treiben. Lenkpräzision, Spurtreue, der phänomenale Grip – es braucht keine Rennfahrer-Ausbildung, dies zu genießen. Beherztes Festhalten des wulstigen Lederlenkrads reicht in den meisten Fällen aus. Und wenn nicht, sind die 6-Kolben-Brembo-Bremsen der Anker, der das Boot im tosenden Sturm wieder auf Kurs bringt.
Seltsames Geräusch-Repertoire
Langsam kann er nicht so gut. Das Rangieren erfordert einen recht hohen Kraftaufwand, hier wäre mehr Lenkunterstützung wünschenswert und mehr als elf Meter Wendekreis liegen jenseits des Begriffs "handlich". Wer Parktaschen frontal ansteuert, ruft sich vorsichtshalber die mächtige Bugschürze und den enormen Karosserieüberhang in Erinnerung. 94 Zentimeter sind es vorn. Gelegentliche Verspannungen im Antriebsstrang pflegen Kenner durch einen kurzen Tastendruck zu kurieren, der löst die hintere Differenzialsperre. Mit Einlegen des Vorwärtsganges, was allerdings nicht unmittelbar nach dem Starten möglich ist, wird die Sperre wieder aktiviert.
Im niederen Tempobereich unterhält der Wagen die Insassen mit einem verblüffenden akustischen Repertoire. Doch dem Mahlen und Rumoren, dem Schaben, Knirschen und Rasseln sollte man nicht all zu viel Aufmerksamkeit schenken. Ein Rennwagen für die Straße darf auch mal etwas unzivilisiert klingen, "Godzilla" tut das auf der Leinwand auch. Jeder, der die Anschaffung eines GT-R in Betracht zieht, wird wissen, dass der Nissan nicht als notorischer Getriebezerleger bekannt ist. Wenn es die 6-Gang-Doppelkupplungs-Schaltbox aber doch einmal erwischt hat, wird’s teuer. Ein Drittel des Neuwagenpreises sollte man kalkulieren.
Für Sportwagenfahrer sind rationale Überlegungen wie Kostenargumente nur selten entscheidend. Ihnen geht es darum, zügig ums Eck zu kommen und das ist eine der Paradedisziplinen des GT-R. Angeblich soll ihn sein brachiales Spurtvermögen in unter drei Sekunden von Null auf Hundert katapultieren, bei neutralen Tests war es wiederholt geringfügig mehr. Aber statt sich auf statistische Fingerübungen einzulassen, genießt man lieber die archaische Eruptivität, mit der längs- und querdynamische Kapriolen die Adrenalinausschüttung anregen. Da sieht man gern darüber hinweg, dass die schwere Motorhaube nicht von Gasdruckdämpfern gehalten wird oder die Ladekante mit 89 Zentimetern extrem hoch ist. Schließlich sind LED-Scheinwerfer, Bose-Soundsystem, Navigationssystem mit Spracherkennung, elektrisch einstell- und beheizbare Sitze, Fahrlicht- und Klima-Automatik serienmäßig an Bord.
Fazit: Ein supersportliches Coupé für einen vergleichsweise günstigen Preis – Punkt. Das ist der GT-R zu allererst. Durchaus alltagstauglich und dem gemessenen Cruisen nicht abhold, offeriert er überragende Fahrleistungen in einer nur mäßig begeisternden Verpackung. Exklusivität auf der Straße und auf dem Parkplatz sind garantiert und – etwas Geduld vorausgesetzt – einen Sonderstatus, wenn er zu den ersten Youngtimer-Rallyes heranrollt.
DATENBLATT | Nissan GT-R |
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) | 4,67 / 1,90 / 1,37 m |
Leergewicht (DIN) | 1760 kg |
Sitzplätze | 2 + 2 |
Ladevolumen | 315 Liter |
Motor | V6-Zylinder Turbo mit 3799 ccm Hubraum |
Getriebe | 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Systemleistung | 404 kW/ 550 PS |
Kraftstoffart | Super Plus |
Antrieb | Allradantrieb |
Höchstgeschwindigkeit | 315 km/h |
max. Drehmoment | 632 Nm bei 1750 U/min |
Beschleunigung 0-100 km/h | 2,7 s |
Normverbrauch (Stadt, Land, kombiniert) je 100 km | 17,0 / 8,8 / 11,8 l |
Testverbrauch | 12,8 l |
Tankinhalt | 74 l |
CO2-Emissionen (Normverbrauch) | 275 g/km |
Grundpreis | 96.900 Euro |
Preis des Testwagens | 101.900 Euro |
Quelle: ntv.de