
The wonder of birth - immer wieder!
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Von wegen "mother cake", "fruit bladder", "Emperors cut", "circle hall" oder "baby deadline". Wer im englischsprachigen Ausland als Hebamme arbeiten oder ein Kind gebären möchte, sollte kreißsaaltaugliches Englisch draufhaben - und die blutigen Einzelheiten aussparen.
Am Anfang macht jeder Mensch Arbeit. Ungeheure Arbeit! Mütter wissen, was ich meine: Eine Geburt ist Schwerstarbeit - giving birth is a tremendously labourious affair!
Früher wurde diese Angelegenheit im Englischen hochgestochen französisch formuliert. Früher, das war zu Zeiten von Königin Victoria, als man am englischen Hof noch Deutsch sprach und Babys und Bräute schwarz gekleidet waren. Über werdende Mütter - expecting mothers - deren Wehen einsetzten, sagte man: She is in travail.
Eine Arbeiterbewegung für sich
So wenig heute am englischen Hof Deutsch gesprochen wird, so sehr ist auch "travail" nicht mehr en vogue. (Auf Englisch übrigens in vogue.) Egal, ob im Hochadel oder im Proletariat, egal ob Brite oder Amerikaner, sie alle formulieren es lateinisch: She is going into labour - sie ist auf dem Weg zur Arbeit. Die US-Amerikaner verwenden die Schreibweise der alten Römer: labor.
Dabei versteht es sich von selbst, dass das Laborieren gebärender Frauen nichts mit der Arbeit in einer Fabrik, mit der internationalen Arbeiterbewegung oder gar mit der britischen Arbeiterpartei Labour zu tun hat. Genauso wenig ist Labour Day der "Tag des Gebärens", sondern der Tag der Arbeit. Im Deutschen sagen wir auch nicht "die SPD setzt ein", wenn die Wehen beginnen - egal wie schmerzvoll der Gedanke an diese Partei sein mag.
Selbst Engländer sind verwirrt
Mein Telefonjoker Joe räumt ein, dass labour selbst englischsprachige Menschen verwirrt: Während etwa heavy labour eine schwere Geburt ist, darf hard labour nicht einmal im Kreißsaal vorkommen, weil es "Zwangs- oder Strafarbeit" bedeutet.
Besonders verwirrend ist die Sache mit der Arbeit für die Menschen außerhalb des englischen Sprachraums. Wie soll man zum Beispiel wissen, dass onset of labour den Beginn einer Geburt bedeutet, während upset of labour ein Protest unter Arbeitern ist? Gemeint sein könnte damit auch eine Demonstration von deutschen Hebammen, die sich in den vergangenen Jahren über ihre Arbeitsbedingungen - labour conditions - beklagt haben. Deshalb suchen sie immer häufiger Arbeit im Ausland, gewissermaßen "Geburtsarbeit" - labour labour.
Kommt eine deutsche Hebamme in die USA …
Gordon, ein US-amerikanischer Arzt aus Boston, berichtete mir von der deutschen Hebamme Gabi, die einen Job an seiner Geburtsklinik gefunden habe und dort auch sehr beliebt sei. Allerdings wirke sie manchmal etwas sonderbar - at times seems quite outlandish. Vorsicht! "Outlandish" bedeutet nicht "ausländisch", sondern "befremded" und "seltsam". Das liege daran, so Gordon, dass sie Sachen sage, die keine der werdenden Mütter versteht. Zum Beispiel: "The waves are coming."
In Gordons Ohren klingt das erheiternd psychedelisch, aber es ergibt für ihn keinen rechten Sinn. Andererseits sei es ihm viel lieber als der Satz, den Gabi stets sagt, wenn die Wehen der Frauen einsetzen: "The mother pains have started." Keine Frage, jede Geburt ist schmerzhaft. Doch in Gordons Ohren ist das trotzdem zu viel. Er fragte mich: "Seid ihr in Deutschland immer so direkt?"
Die Geburt als kulturelle Kluft
Was Gabi in Boston sucht, ist die richtige Übersetzung für die deutschen "Wehen". Wer nun den Ursprung des Wortes zurückverfolgt, kommt zu den gemeinsamen sprachlichen Wurzeln des Englischen und des Deutschen: Sie liegen im lateinischen Wort "vae", im altnorwegischen "vei", dem althochdeutschen "we" oder dem altenglischen "wa". Im modernen Englisch könnte man von woes sprechen. Macht aber niemand!
Denn "labour" klingt angemessen wichtig und es ist zugleich angenehm vage. Für den Geschmack englischsprachiger Menschen wie Gordon ist damit alles Wesentliche gesagt, bis das Kind dann schließlich auf der Welt ist. Was im Kreißsaal passiert, ist in der Öffentlichkeit kein Thema.
Womit wir bei den kulturellen Unterschieden sind. Ich habe sie selbst erlebt, als ich Vater wurde. Das war zum ersten Mal im Jahr 2004. Obwohl wir am Ende alle die gleichen Windeln kaufen, könnten die Gegensätze kaum größer sein. Es tut sich eine regelrechte Kluft auf - a cultural divide - auf deren englischer Seite Fragen gestellt werden wie: Boy or girl? Boy. Have you chosen the name? Yes: Frederick. What weight? 4200 g oder 9,5 lb. (das bedeutet Pfund) Is the mother well? Yes, she is. Thank you.
Auf der deutschen Seite kann man sich als Vater nicht einmal sicher sein, ob Mann überhaupt befugt ist, alles zu beantworten. Egal, ob in Hamburg, der deutschen Hauptstadt der Zurückhaltung, oder in Köln, der Hochburg der Jovialität, egal, ob Freunde oder Kollegen, die Landsleute zeigen ein auffälliges Interesse für die blutigen und schmerzhaften Einzelheiten - Germans show great interest in the bloody and painful details: Hat's lange gedauert? Hat's wehgetan? War ein Kaiserschnitt nötig? Auf Deutsch wird Mann gefragt: Wollen Sie nochmal?
Viele wollen auch wissen, ob ich die Nabelschnur durchgeschnitten habe - did you cut the umbilical cord? Solche Fragen wären in England und den USA undenkbar - unthinkable!
Mittlerweile denke ich, dass es nicht die Geburten der eigenen Kinder, sondern solche Momente sind, die man als Sensationen des Lebens abspeichern sollte. Zum Beispiel, wenn sich eine furchtbar nette Kollegin zwischen Tür und Angel erkundigt: "Na, und wollen Sie jetzt nochmal?" Ich dachte damals: Mein lieber Herr Fruchtbarkeitsverein! In welchem Land lebe ich, dass ich mit Menschen, mit denen ich weder Bad noch Bett teile, über meine Familienplanung sprechen muss?
German meticulousness als Falle
Ich erkläre mir diese Neugier mit der deutschen Sehnsucht nach "Detailtiefe". Wir kennen sie aus der Industrie genauso wie aus den Universitäten - sie ist gewissermaßen ein Mix aus Ferdinand Piëchs "Spaltmaß" und der "Systemtheorie" von Niklas Luhmann. Es ist eine Genauigkeit, für die wir berühmt und berüchtigt sind - the German meticulousness! Und da in der Geburt eines Menschen Produktion und Philosophie auf magische Weise zusammenkommen, bietet sie uns immer einen guten Anlass, mehr als nur das Nötige zu palavern.
Leider ist es ein sehr blutrünstiges Palaver, das auch schon Joe aufgefallen ist. Er ist ohnehin verblüfft, wie bereitwillig wir Deutsche über intime Einzelheiten sprechen - we are less reluctant to share juicy details. Oder soll ich sagen: There is a much greater willingness? Dass Joe recht hat, erkenne ich daran, dass ich in den vergangenen zehn Jahren mehr über Dammschnitte, Geburtsstellungen und Geburtsdepressionen von fremden Frauen erfahren habe, als ich je zu fragen wagte - und wissen wollte.
Too much Information!
Offensichtlich fehlt uns Deutschen ein Alarmsignal, das in englischsprachigen Köpfen standardmäßig eingebaut ist: TMI! Too much information! Auch mir fehlte es natürlich manchmal, schließlich bin ich Deutscher - I am German after all.
Richtig gefährlich wird die kulturelle Kluft, wenn die Einzelheiten in holpriges Englisch übersetzt werden. Neulich hörte ich einen Mann in der Eisenbahn, der zu seinem Sitznachbarn sagte: "You know, my wife had a dam cut - or how do you say that?" Hier wäre es angebracht gewesen, einzugreifen. Alleine schon, um den ganz generellen Hinweis zu geben, dass das Englische oft besondere Latein- und Griechischkenntnisse erfordert, um über körperliche Leiden zu sprechen: Sorry, Mister birth reporter: Dammschnitt is called episiotomy. Auch vom "Kaiserschnitt" ist nicht etwa als "Emperor's cut" die Rede. Man sagt "Caesarian section", obwohl es längst in allen Sprachen als erwiesen gilt, dass der römische Kaiser Cäsar nicht auf diese Weise zur Welt kam.
Deutsche Hebammen wie Gabi, die im englischsprachigen Ausland eine Karriere planen, sollten also gewarnt sein, die deutsche Muttersprache nicht zu wörtlich zu nehmen und direkt zu übersetzen, damit sie keine sprachlichen Fehlgeburten hervorbringen - to avoid miscarriages in language terms.
Ein bekanntes Beispiel ist unser "Mutterkuchen", der nicht als "mother cake" übersetzt wird. Man sagt, was bei uns Ärzte in ihrem Fachchinesisch sagen: placenta. Fruchtblase? Wochenbett? Stichtag? Kleiner Test: Wissen Sie, was "Sturzgeburt" im Englischen ist? "Crash birth"? Nein. "Bungee birth"? Auch nicht. Man sagt "precipitate labour". So viel Zeit muss sein!
Auch das deutsche "Wochenbett" ist nicht einfach "week bed". Man sagt "confinement". Das ist lateinisch und bedeutet recht zutreffend "Gefängnis". Es klingt nur besser! Und die Fruchtblase heißt nicht etwa "fruit bladder", sondern "amniotic sac". Platzt sie, sagen Mann und Frau: "Her/my water broke".
Gabi, die deutsche Hebamme in Boston, hatte noch ein anderes Problem: Den Entbindungstermin, den wir auch "Stichtag" nennen, nannte sie immerfort "deadline". Verständlich ist due date oder delivery day. Als sie einer schwangeren Frau erklärte, dass ihr Kind nach dem Stichtag komme, brach die werdende Mutter in Tränen aus - the expecting mother got the shock of her life when Gabi repeatedly told her: "Your baby has missed the deadline." Kein Wunder: Frauen im Kreißsaal werden zu Recht panisch, wenn ihnen in einem Satz gleichzeitig die Wörter "baby" und "dead" zu Ohren kommen.
"Kreißsaal" kommt von "kreischen" - nicht vom Kreis
Apropos Kreißsaal: Ihn als "circle room" zu bezeichnen, ist Humbug. Mit einem Kreis hat der Raum Nullkommanull zu tun. Vielmehr leitet sich das Wort ab von der Haupttätigkeit der Hauptinsassin: Sie kreischt. Wer aber an der Pforte eines US-amerikanischen oder britischen Krankenhauses nach dem "scream room" oder der "cry hall" fragt, käme auch kaum ans Ziel - you would be going round in circles. Der Kreißsaal heißt labour room oder delivery room.
Zum Glück hat sich Gabi nicht auch noch als "lift nurse" vorstellt. Für manche deutsche Frau, die zur Eifersucht neigt, kann allerdings auch die englische Berufszeichnung der Hebammen etwas verstörend sein: midwife. In einer fremden Sprache, in der adultery Ehebruch bedeutet, kommt man schließlich nicht so leicht darauf, dass midwifery bloß die Geburtshilfe und midwife eine Hebamme ist.
Quelle: ntv.de