Leben

Der Denglische Patient Christian Lindner and the Gäng

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Christian Lindner ist definitiv ein Denglischer Patient.

(Foto: imago images/Emmanuele Contini)

Die FDP macht auf "Freie Denglische Partei". Baden-Württemberg ist nun offiziell "The Länd". Und unser Kolumnist erkennt nicht, wem der deutsch-englische Stuss - nicht zuletzt in der Politik - dienen soll.

Leadership! Ein Wort, one man - der sich womöglich im kleinen Kreis "The Lindner" nennen lässt und ins Spieglein sagt: "I am proud on you" - statt proud of you. Auszuschließen ist das nicht, bei dem vielen deutsch-englischen Nonsens, den Christian Lindner im Namen der FDP schon von sich gegeben hat. "Digital first, Bedenken second" zum Beispiel. Oder "German Mut", was übersetzt "deutscher Köter" bedeutet. Ein Juniorpartner des German Shepherd? Der Umgang mit der englischen Sprache, den die FDP pflegt, hat sie in meinen Augen zur "Freien Denglischen Partei" gemacht.

Über die Absichten lässt sich nur spekulieren: Möglicherweise will man die sprachliche Realität in Deutschland abbilden, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie hybrid, also chaotisch die Lage längst ist. Dieser Ansatz könnte bildungs- und sprachpolitisch etwas taugen, wäre er zu Ende gedacht und würde man den Menschen brauchbare Angebote machen, um sichere Mehrsprachigkeit oder wenigstens eine Art "Chaos-" und "Hybridsprachkompetenz" zu entwickeln. Immerhin könnte die FDP mit ihrer eigenen Idee des "Midlife-Bafög" einen Anspruch auf lifelong language learning in die nächste Bundesregierung einbringen.

Doch was machen Christian Lindner and the Gäng? Nicht viel, was der eigenen oder der allgemeinen Sprachkompetenz zuträglich wäre. Sie geben ein angelsächsisches mindset vor, vermutlich um cooler, businessorientierter und kosmopolitischer rüberzukommen - und ohne zu begreifen, dass sie damit unseren sprachlichen Anschluss an die Weltspitze aufs Spiel setzen. Denn darum geht es schließlich in der viel beschworenen globalisierten und vernetzten Welt: dass wir hinaustreten können, um überall verstanden und tätig zu werden.

Noch unverständlich oder schon total daneben?

Etwa zum Zweck des Jobsharing. Wer dann in der großen weiten Welt auch nach "Topsharing"-Optionen sucht, entlarvt sich rasch als "Denglischer Patient", weil niemand weiß, was damit gemeint ist. Und wer dann das Programm der FDP hochhält, in dem "Topsharing" als Teilzeit-Arbeitsmodell für Führungskräfte gefordert wurde, muss feststellen, dass das freimütige Denglisch der Freidemokraten keine internationale Referenz darstellt - aber zur Rufschädigung führen kann. Mit angelsächsischem goodwill kann "Topsharing" nämlich für schlüpfrige Spielchen mit den (ärmellosen) Oberteilen der anderen gehalten werden.

Merke: Oft ist Denglisch nicht unbedingt "richtig" oder "falsch", sondern irgendwas zwischen "unverständlich" und "total daneben". Dass die Neigung der FDP zu englischer Effekthascherei groß ist, demonstrierte im letzten Wahlkampf auch die Zeile "Make in Germany". Ohne Zweifel eine Anspielung auf Made in Germany, Deutschlands berühmte englischsprachige tagline, hatte sie weder einen neuen noch einen tieferen oder überhaupt einen erkennbaren Sinn.

Unheimlich bedeutungsschwanger war dagegen der Auftritt von Noreen Thiel, eine 18-Jährige, die für die FDP in den Bundestag einziehen wollte und kein Geheimnis daraus macht, unter Depressionen zu leiden. Im Wahlkreis Berlin-Lichtenberg plakatierte sie den englischsprachigen Slogan "Mental health matters" - unschwer erkennbar eine Anleihe von #blacklivesmatter. Wollte man damit eine Hochburg der Linken gewinnen? Unmöglich! Vielmehr hat sich die FDP im Rückblick auf Kosten einer jungen, kranken Frau gegenüber den pflichtversicherten Normalos, die im Nordosten der Hauptstadt leben, als superelitär positioniert.

Das Problem mit der Leadership

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Die Masche funktioniert nicht nur auf Englisch besonders gut, sie erfordert ab einem bestimmten Punkt Englisch! So wie die Sache mit dem "Leadership", die übrigens Benjamin von Stuckrad-Barre zum Besten gegeben hat - jener Literat, der neulich durch die Veröffentlichung privater Nachrichten mit Mathias Döpfner zum Kronzeuge gegen den Axel-Springer-Verlag wurde … doch das ist eine andere Geschichte. Am Wahlabend erzählte "Stucki" im Fernsehen, er habe irgendwann mit dem Schriftsteller Ferdinand von Schirach in einem Restaurant gesessen, als sich The Lindner zu ihnen umgedreht und gesagt habe: "Sie wählen doch bestimmt FDP, Herr von Schirach!" Er daraufhin sinngemäß: "Nachdem Sie das letzte Mal gekniffen haben, wähle ich Sie bestimmt nicht." Darauf The Lindner: "Das war Leadership!"

Als Kolumnist für Sprachkultur interessiere ich mich weniger für die politischen Manöver eines Politikers als vielmehr für seine sprachlichen. Und als Denglischer Patient werde ich hellhörig, wenn er in den hybriden Sprachbetrieb schaltet. Weil man öffentlich lieber denglischen Humbug fabriziert, als geradeaus "Führung" oder "Führungsqualität" auszusprechen? Weil man sich also irgendwie hinter Englisch verstecken will, um damit gewissermaßen "abzusoften", was auf Deutsch zu plump und direkt, peinlich, abgehoben, waghalsig, provinziell oder bloß banal klingen würde? In der deutschsprachigen Politik werden auf diese Weise nicht nur Hemmungen, Großspurigkeit oder gleich beides kaschiert, sondern eine ganz Menge mehr.

Obwohl die FDP den englischen Ton angibt, haben auch die anderen Parteien den Kniff längs raus. So zählte ich im Wahlprogramm 2021 der FDP 65 englische und pseudoenglische Wörter und Wendungen (zum Beispiel "Easy Tax", "Carbon Capture and Storage", "Geo Engineering", "Quick Freeze", "Learning Analytics"). Bei Bündnis90/Grüne waren es 32 englische Anleihen (zum Beispiel "Greentech", "Gender Budgeting", "Diversity Management", "Community Health Nurse"), 20 bei der CDU/CSU (zum Beispiel "Smart Farming" oder "Gig-, Click- and Crowdsourcing"), 20 bei der Partei Linke (zum Beispiel mehr "Urban Gardening" oder "Ridesharing") und 13 bei der SPD (zum Beispiel "One-stop Agenturen", "E-Sports"). Nach der AfD können Sie selbst suchen!

Selbstverständlich unverständlich

Was auffällt: Immer wieder gleiten die Programmtexte mit einer Selbstverständlichkeit ins Englische ab, als befände man sich gar nicht im Wahlkampf einer deutschsprachigen Gesellschaft. Das gilt einerseits für Begriffe, die an weltweite Debatten und Standards anschließen sollen ("Hate speech", "Whistleblowing", "Racial profiling", "Public health", "Mentoring", "streaming", "Crowd working" et cetera). Andererseits gilt es auch für große und kleine politische Traumschlösser wie "Boring Banking" (B90/Grüne, Linke: "langweiliges Banking"), "Housing First" (B90/Grüne, SPD). Und für visionäre Vorhaben wie "New Space" (B90/Grüne, CDU/CSU und FDP), "E-justice" (FDP) oder "E-health" (B90/Grüne, CDU/CSU, FDP) … was immer das alles heißen mag!

Während die Parteien davon auszugehen scheinen, dass die Menschen sprachlich folgen können, bezweifle ich genau das. Wenn ich alleine an eine Befragung des Allensbach-Instituts denke, nach der rund 36 Millionen Deutsche angeben, "wenig bis gar kein Englisch" zu beherrschen! Schreiben Sie mir, wenn Sie selbst Fragen haben.

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Noch vertrackter wird es angesichts der pseudoenglischen Begriffe, die das Wahlvolk verstehen soll, während sie in der Anglosphere niemand verstehen würde. Mit ihnen kommt der denglische Stuss ins Spiel, den wir von der FDP kennen: "Minijob" (B90/Grüne, CDU/CSU, FDP, Linke, SPD) oder "Midijob" (FDP) - "Kinder-" (CDU/CSU) oder "Ehegattensplitting" (B90/Grüne, CDU/CSU, FDP, Linke, SPD) - "Mobbing" (B90/Grüne, CDU/CSU, FDP, Linke, SPD), "Cybermobbing" (B90/Grüne, CDU/CSU, FDP - und immer und immer wieder: Das "Homeoffice".

Übertroffen wird der Nonsens übrigens noch von der Regierung in Baden-Württemberg, die ihr "Ländle" unlängst "The Länd" getauft hat. Ist das Kollektiv von Baden und Schwaben schon seit Jahren der irrigen Auffassung, es sei der Rede wert und von irgendeinem Vorteil, "alles außer Hochdeutsch zu können", hat man nun auch noch die völlig falschen Schlüsse aus Günther Oettingers bizarren Denglischshows gezogen. Ich hatte sie wirklich für Geschichte gehalten. Klar ist mir bewusst, dass es noch Menschen gibt, die Quatschenglisch für unheimlich "funny" halten. Aber funny kann eben nicht nur "witzisch", sondern auch "verdammt komisch", "verhaltensgestört" und "inkompetent" bedeuten. Mit Leadership hat es nichts zu tun. Deshalb wäre es gut, wenn wenigstens die neue Bundesregierung endlich Wert auf allgemeine Sprachkompetenz und ihre flächendeckende Förderung legen würde. I äm gespännt!

Quelle: ntv.de

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