Aus der Schmoll-Ecke "Marvel38", schreiben Sie nicht mehr der "Springer-Nutte"


Der Kolumnist hat eine große Liebe zu Musik und eigentlich auch lieber seine Ruhe. (im Bild nicht der Autor)
(Foto: imago stock&people)
Das Leben wird immer anstrengender, findet unser Kolumnist. Er arbeitet nur noch 6,5 Tage die Woche, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, während andere die Vier-Tage-Woche fordern, was angesichts des Fachkräftemangels mutig ist. Aber Journalist ist immer noch besser als Pelzhändler.
Was ist der Unterschied zwischen Klimaaktivisten und Politikern? Die einen kleben auf der Straße, die anderen an ihrem Posten. Oh Gott, was für ein Witze-Niveau, werden Sie denken: Sind wir denn bei Monika Gruber gelandet? Nein, natürlich nicht, willkommen in der Schmoll-Ecke! Irgendetwas muss ich ja schreiben, damit ich Geld bekomme. Ich habe miese Laune, mein Leben wird immer anstrengender, die Work-Life-Balance haut ganz und gar nicht mehr hin.
Ich arbeite nur noch 6,5 Tage die Woche, um meinen Lebensunterhalt zu sichern, während andere die Vier-Tage-Woche für sich einfordern, was angesichts des Fachkräftemangels mutig ist. Wer wie ich im Buchmarkt und im Journalismus arbeitet, hat sich für untergehende Branchen entschieden. Ein Fehler, den ich nicht mehr korrigieren kann. Ich tröste mich damit, kein Pelzhändler zu sein, dann hätte ich die Tierschützenden an der Hacke und würde nichts mehr verkaufen, weil die Winter immer kürzer und wärmer werden und Nerztragende "umstritten" sind, weshalb man sie canceln darf.
Ich hätte in Kommentaren vergangener Jahre nicht so böse schreiben sollen über Politiker, dann wäre ich erst Regierungssprecher und danach staatsferner RBB-Intendant mit tollem Gehalt oder staatsnaher deutscher Botschafter in Israel geworden. Ich wäre ab und an irgendwohin einbestellt worden, hätte gesagt, dass das alles nicht so gemeint war, und würde hübschen Praktikantinnen Ratschläge für den Rest ihres Lebens geben: Werden Sie auf keinen Fall Journalistin! Sagen Sie niemals "Praktikanten", es heißt "Praktizierende". Und: Schließen Sie einen Ehevertrag ab! Auch wenn er sagt, dass er Sie ewig lieben wird. Männer sind Schweine.
Ich hätte Politiker stets loben sollen, dass es schön ist, dass es sie gibt, dass sie Heizungen einbauen lassen, damit Monteure nicht arbeitslos werden, dass sie Gesetze machen, damit Verfassungsrichter nicht arbeitslos werden, dass sie Atomkraftwerke abreißen lassen, damit Windmühlenbauer nicht arbeitslos werden, und dass sie das Asylrecht verteidigen, damit Zahnärzte nicht arbeitslos werden in diesen dunklen Zeiten des abnehmenden Lichts. Ich danke Politikern, dass sie sich DAS antun und sich von infantilen Abendlandverteidigern als "Kriegstreiber" beschimpfen lassen, während sogenannte Journalisten wie ich bei erstbester Gelegenheit erklären, dass Politiker immer nur Mist machen.
Männlicher Prostituierter, bitte
Kommen wir nun von Abendlandverteidigern (alte weiße Männer) zu den Feierabendverteidigern (junge Leute aller Couleur), die sich für Betroffene stark machen, nur Hafermilch trinken, Fair-Trade-Klamotten tragen und bei der Work-Life-Balance besser abschneiden als ich: wenig tun und dann sofort wegen Überlastung klagen. Neulich erzählte mir eine Führungskraft, dass sie einer Neueingestellten an deren erstem Arbeitstag erklärte, wie der Laden, der sie bezahlen wird, läuft. Nach dieser anstrengenden Erfahrung verkündete die junge Frau, dass sie nun erst einmal Pause machen müsse, weil das zu viel "Input" auf einmal gewesen sei, der verarbeitet werden müsse. Der Einschub des englischen Wortes beweist Weltläufigkeit, damit schafft man es nach ganz oben.
Matze Döpfner, bekannt für mehr oder weniger sinnfreie Einschübe in englischer Sprache, hat es damit zum Vorstandsvorsitzenden von Springer geschafft, ein Konzern, dem ich wegen meiner Kommentare und Kolumnen für ntv.de fälschlicherweise immer wieder zugeordnet werde. "Marvel38" bezichtigte mich neulich, eine "Springer-Nutte" zu sein. Aufmerksame Leser der Schmoll-Ecke wissen, dass ich als Sprachästhet, der tatsächlich ab und an für die "Welt" schreibt und das auch noch bereitwillig, weil sie anständig zahlt, auf der männlichen Form des Prostituierten beharre. So schrieb ich "Marvel38": "Bitte nennen Sie mich Springer-Stricher!"
Höflich, wie ich bin, antworte ich selbst Lesern, die es auf den ersten Blick nicht gut mit mir meinen und mich "Arschloch" schimpfen oder erklären: "Wir wissen, wo du wohnst." Mitunter wirken diese Leute sehr dumm, weshalb es gut ist, dass sie überhaupt etwas wissen, auch wenn es nur mein Wohnort ist. Vielleicht ist auch "Marvel38" klüger, als ich dachte, vielleicht stelle ich ihm eines Tages meine zwei Lieblingsfragen, die mich seit Jahren umtreiben und die Stammleser der Schmoll-Ecke kennen: 1. Hat die H-Moll-Sonate von Liszt programmatischen Charakter? 2. Warum war Vincent van Gogh zu Lebzeiten nicht erfolgreich?
Kunstwissenschaftliches Genie im Schafspelz?
Jedes Genie, sehe ich einmal kleinlich über mich hinweg, war zu Lebzeiten weltberühmt, wobei die Welt der italienischen Renaissance, also die von Michelangelo, Monteverdi und Tizian, viel kleiner war als die von Goethe, Mozart und Beethoven. Und erst recht die von Thomas Mann und Dmitri Schostakowitsch, dessen erstes Violinkonzert ich immer dann höre, wenn ich wissen will, wie es ist, wenn sich ein einzelner guter Mensch gegen die Übermacht des Bösen zur Wehr setzt, um schließlich zu merken, dass er, der gute Mensch, keine Chance gegen das Böse hat. Die helle Violine ringt mit der dunklen Tuba - dann folgt das Chaos, ein Wahnsinn und damit zeitgenössischer denn je. UND SO SCHÖN!
Das habe ich eben nur geschrieben, damit "Marvel 38" auf alle Fälle weiterliest und meine Botschaft vernehmen kann. Schreiben Sie nicht mehr der "Springer-Nutte"! Ich habe genug von Ihren unhöflichen Mails, meine Nerven stehen nicht zum Besten, wie Sie hier trotz Ihrer Abgestumpftheit vielleicht merken. Zudem glaube ich nicht, dass Sie Antworten auf meine ewigen Fragen A und B haben. Obwohl man nie weiß, welches kunstwissenschaftliche Genie im Schafspelz steckt.
Ich sehe gerade, dass ich schon genug niedergeschrieben habe, dass ich die Kolumne abgeben und eine Rechnung schreiben kann, um weiter meine Miete bezahlen und Schostakowitsch hören zu können, vielleicht sein letztes Streichquartett, Musik für Leute, die im Schmerz Abschied nehmen.
Quelle: ntv.de