Eyelar kämpft für Iran "Meine Eltern sind für mich geflohen"
02.05.2023, 18:08 Uhr Artikel anhören
Eyelar lebte immer in ihrem "kleinen Kosmos" - ihre Musik geht nun inzwischen aber hinaus in die ganze Welt.
Der Widerstand im Iran hört nicht auf und breitet sich ebenfalls, vielleicht etwas unscheinbarer, über soziale Medien und die bereits aus dem Iran Geflüchteten in aller Welt aus. Die Mutter von Sängerin Eyelar ist geflohen, als sie noch mit ihr schwanger war. Wie ist es, als Iranerin nicht im Iran aufzuwachsen? Eyelar erzählt offen über ihr Heranwachsen in Holland, ihre Dankbarkeit, ihre Jugend in einem friedlichen Land verbracht zu haben, aber auch über die durchaus schweren Momente, die sie noch heute verspürt - vor allem jetzt, wo Situation im Iran besonders gefährlich ist und die Proteste trotzdem nicht abebben. Nachdem die Pop-Künstlerin lange nur für andere, wie David Guetta, Charlie XCX oder Demi Lovato geschrieben hat, schreibt sie nun endlich auch für sich! In ihrer Musik positioniert sich Eyelar gegen das Regime ihrer Heimat - so könne man lauter sein, erzählt sie ntv.de im Interview.
ntv.de: Hast du dich als Kind je gefragt, weshalb deine Eltern geflohen sind?
Eyelar: Ja, auf jeden Fall. Das wussten mein Bruder und ich, während wir aufgewachsen sind. Ich wurde einen Monat, nachdem meine Eltern geflohen sind, geboren. Mein Bruder war schon acht. Wir wussten immer, dass sie geflohen sind, weil sie im Iran keine Zukunft gesehen haben. Das ist auch der Grund, weshalb ich immer dachte, etwas aus meinem Leben machen zu müssen: Unsere Eltern haben so viel für uns aufgegeben.
Was hat die Flucht deiner Eltern in dir ausgelöst?
Viele Kinder haben nicht die Chancen, die mein Bruder und ich dank unserer Eltern haben. Ich habe den Frieden, den ich so nicht gehabt hätte, wären meine Eltern nicht nach Holland gegangen. Um meinen Dank zu zeigen, habe ich immer mein Bestes in der Schule gegeben und war fleißig - also ich habe keine Zeit mit Sinnlosem vergeudet.
Gab es Momente, in denen du dich je unterdrückt gefühlt hast?
In meiner Kindheit hatte ich selten das Gefühl, irgendwo reinzupassen. Ich komme aus einer sehr kleinen Stadt, wo alle ziemlich gleich sind. In der Schule wurde ich für meinen Namen gemobbt. Sie nannten mich "Eyelar Alien". Das hat mich sehr bedrückt. Da war ich sechs oder sieben. Ehrlich gesagt war ich immer in meiner eigenen kleinen Welt. Von daher hat mich so was nie richtig berührt.
War es je die Art der Unterdrückung, die iranische Frauen kennengelernt haben?
Nein. Aber auf jeden Fall wurde ich für meinen Namen oder Aussehen diskriminiert. Ich war sehr stolz auf meine Wurzeln, deshalb habe ich absichtlich in jedem Aufsatz über den Iran geschrieben oder Wahlpflichtkurse gewählt, in denen man über den Iran sprechen konnte. Das realisiere ich erst jetzt so richtig.
Du bist mit Musik aufgewachsen und hast schon immer gerne gesungen. Wie bist du ins Geschäft eingestiegen?
2012 bin ich zu "The Voice Of Holland" gegangen. Davon habe ich meinen Eltern aber nichts erzählt, und zwar deshalb, weil ich aus einer sehr kleinen Stadt komme, in der es vermutlich gar nicht so viele Kreative gibt. Zu "The Voice Of Holland" bin ich gegangen, weil ich nicht wusste, wie ich anders in die Musikwelt einsteigen kann.
Wie haben deine Eltern reagiert, als du denen gesagt hast, dass du Musik machen willst?
Normalerweise sind Eltern eher skeptisch. Besonders iranische Eltern wollen, dass ihr Kind entweder Zahnarzt oder Anwalt wird - so und nicht anders (lacht). Tatsächlich habe ich angefangen, Jura zu studieren. Bis ich dann 2012 zu "The Voice Of Holland" bin. Eines Tages habe ich es meinen Eltern gebeichtet. Meine Mutter war zuerst begeistert, weil sie dachte, dass ich weiter Jura studiere und nebenbei Musik mache - nur, dass ich gar nicht mit Jura weiter machen wollte (lacht). Dann kam die Skepsis und sie fragte, was aus meinem Leben werden soll.
Was hast du gesagt, um sie von deinem Plan zu überzeugen?
Ich habe sie darum gebeten, mir zwei Jahre zu geben, um ein Netzwerk aufzubauen und Songs zu schreiben. Wenn es dann nicht funktioniert hätte, wäre ich wieder in die Uni gegangen. Das hat meine Mutter toleriert. Mein Vater fand es sowieso gleich toll. Er war ein großer Träumer und hat mich immer ermutigt. Auch, weil ich ein geborener Songwriter bin. In Iran werden Songwriter der Poesie wegen sehr respektiert.
Was meinst du, hat der Tod von Masha Amini in dir - und im Iran - ausgelöst?
Als Masha im Oktober umgebracht wurde und der ganze Prozess des Widerstands begann, war ich sehr traurig. Die Zeit war hart für mich, und ich glaube, viele iranische Menschen haben sich so gefühlt. Vor allem die, die geflüchtet und bereits gut integriert waren - die haben es ja vorher nicht ständig gezeigt, dass es sie schon immer emotional mitgenommen hat. Aber der ganze Druck, der im Oktober 2022 aufgekommen ist durch Mashas Tod, die Unterdrückung der Frauen, der Druck der letzten 44 Jahre, jede einzelne Fluchtgeschichte, ist auf einmal hochgekommen.
Und was ist in dir hochgekommen?
Mein Vater ist 2019 in den Iran gereist und dort leider verstorben. Und beerdigt worden. Ich konnte nicht hinfliegen, denn meine Musik ist nicht vereinbar mit den Ansichten des islamischen Staates. Ich hätte für meine Texte ins Gefängnis wandern können. Oder Schlimmeres. Ich konnte einfach nicht bei seiner Beerdigung dabei sein. Darüber habe ich nie geredet oder meine Gefühle gezeigt. Das hat mich so traurig gemacht, aber ich dachte: "Das ist der Iran, und so ist es eben." Frauen können dort nicht mal Fahrrad fahren oder Auto. Das ist so banal, aber irgendwie musste man es akzeptieren. Durch den Beginn der Revolution im Oktober habe ich mich endlich getraut, offen zu sprechen. Meine Freunde waren erstmal verdutzt.
Inwiefern?
Im Oktober hat endlich eine Veränderung begonnen, wir sind auch nur Menschen, wir sind normale Leute. Nur weil wir im Mittleren Osten leben, heißt das nicht, dass wir nicht normal leben wollen. Niemand sollte ins Gefängnis kommen oder ermordet werden, nur weil er sich öffentlich positioniert. In Europa ist das unvorstellbar.
Wie können wir den Frauen vor Ort helfen?
Ich denke, der Grund für die Aufmerksamkeit der Lage liegt in den sozialen Netzwerken. Von daher hilft es, Bilder oder Berichte zu teilen. Allgemein sollten wir einander freundlich begegnen und einander zuhören. Es hilft auf jeden Fall darüber zu sprechen. Mir hat die Situation im Oktober geholfen, endlich meine Freunde aufzuklären. Leute wollen das hören und wissen, was los ist.
Hat das in irgendeiner Weise deine Musik beeinflusst?
Auf jeden Fall. Das neueste Lied, das ich rausgebracht habe, heißt "Think Like A Man". Im Video habe ich viele Bezüge zur iranischen Kultur gezogen. Beispielsweise gibt es ein traditionelles Brettspiel, "Backgammon", das nur von Männern gespielt wird. Während die Männer es spielen und dabei Tee trinken, würden die Frauen Teller abspülen und aufräumen. Mein Vater hat es mir beigebracht. Im Video ist zu sehen, wie es zwei Mädchen spielen - im Iran undenkbar. Oder eine kleine Szene, auch im Video, in der eine Frau und ich uns voneinander angezogen fühlen. Zu sehen ist auch ein Mädchen, das seine Haare schneidet. Mit solchen Sachen versuchen wir, das Narrativ zu ändern. Ich poste viel auf Instagram, aber mir scheint, meine Musik ist eine mächtigere Art über das Geschehen zu sprechen und aufzuklären.
Wie kann aus deiner Sicht ein mögliches Miteinander zwischen Frau, Mann, Staat und Sittenpolizei aussehen?
Nein, das wird nie funktionieren. Die einzige Weise, in Harmonie zu leben, wäre, wenn der Staat und die Sittenpolizei fallen. Die glauben einfach nicht an Gleichheit oder dass Frauen gleichberechtigt sein sollten. Würden sie einen grünen Becher sehen, würden sie trotzdem behaupten, er ist rot, wenn sie das so wollen.
Gibt es Familienmitglieder/Freunde/Bekannte, von denen du dich abgewendet hast, weil sie das Regime, wie es ist, befürworten?
Nein. Meine Familie ist ziemlich groß und unterschiedlich: Es gibt sehr traditionelle muslimische Frauen und es gibt Frauen, die nicht religiös sind - sie kommen alle gut miteinander aus. Niemand in meiner Familie befürwortet, was im Iran passiert. Früher waren im Iran viele verschiedene Kulturen beheimatet, mit verschiedenen Religionen. Das ist das Ziel, denn es geht darum, eine Wahl zu haben.
Mit Eyelar sprach Tamara Kutanoski
Quelle: ntv.de