Einsamkeit im Lockdown Singles kämpfen allein mit der Pandemie
22.11.2020, 06:56 Uhr
Für Alleinlebende kann es mit ausschließlich elektronischen Kontakten schnell einsam werden.
(Foto: imago images/photothek)
Kontaktbeschränkungen, geschlossene Bars und Restaurants, keine Kultur: Der Lockdown im Corona-Herbst hat für Singles besondere Härten. Viele fühlen sich einsam und nicht gesehen. Wie kommen sie gut durch den Corona-Herbst?
Teil-Lockdown und die Aussicht auf weitere Kontaktbeschränkungen, das stellt besonders Singles vor große Herausforderungen. Zur Einsamkeit gesellt sich der Frust darüber, dass die Partnersuche durch die Corona-Krise mächtig erschwert wurde. Auch die 25-jährige Johanna vermisst, wie viele Alleinstehende, die Geselligkeit beim Abend in der Bar oder einem Konzert und menschliche Nähe. Sie ist erst im Januar für ihr Studium nach Bremen gezogen.
Sie hatte dort noch nicht so richtig Anschluss gefunden, als der erste Lockdown im März kam. "Das hat eine ganz andere Dimension, wenn man neu in einer Stadt ist und niemanden kennt", sagt sie. "Ich habe auf jeden Fall Momente, in denen ich mich einsam fühle. Während des ersten Lockdowns waren diese häufiger als während des zweiten. Jetzt bin ich manchmal auch einfach nur wütend. Mir ist so, als würde bei den Maßnahmen nur auf die körperliche Gesundheit der Menschen geachtet und nicht auf die Herzen, auf die seelische Gesundheit", sagt Johanna.
Einsamkeit bei den Jüngeren steigt
Dabei sind Singles längst keine Randgruppe mehr, sondern ein großer Teil der Gesellschaft: In Deutschland ist die Zahl der Single-Haushalte laut Zahlen des Statistischen Bundesamts in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich gestiegen: von 34 Prozent im Jahr 1991 auf 42 Prozent im Jahr 2019. Mit dieser Entwicklung ist auch bei Jüngeren Einsamkeit zum Thema geworden. Das zeigt eine Studie der Ruhr-Uni Bochum aus dem Jahr 2016. Zwar haben die Ältesten am meisten damit zu kämpfen (jeder Fünfte der über 86-Jährigen gab an, sich einsam zu fühlen), aber unter den 26- bis 35-Jährigen sind es stolze 15 Prozent, die Einsamkeit beklagen.
Dieser Entwicklung widmet sich die Autorin und Politikerin Diana Kinnert in ihrem Buch "Die neue Einsamkeit", das im März erscheinen wird. "Einsamkeit steigt enorm bei der Generation der unter 30-Jährigen, also bei der Generation Z und bei den Millennials. Auf den ersten Blick wirkt das paradox: Diese Generation ist erreichbarer, vernetzter und verbundener denn je. Sie kann sich über Online-Dating-Apps wie Tinder, soziale Netzwerke oder Sharing-Plattformen in Sekundenschnelle in sozialen Austausch beamen", sagt Kinnert. "Dennoch leidet diese Generation unter Einsamkeit. Ich glaube, dass das mit einer Kultur des neuen Kapitalismus zu tun hat, in der Eigenschaften wie Agilität und Flexibilität belohnt werden. Qualitäten wie Verbindlichkeit geraten ins Hintertreffen. Intimität entsteht aber dort, wo wir uns Zeit nehmen, uns emotional zu öffnen. Viele junge Menschen beginnen jedoch, Zwischenmenschliches zu konsumieren. Damit überträgt sich ihr Arbeitsleben auf ihr Privatleben. Wo Intimität, Verbindlichkeit und Verantwortung fehlen, grassiert Einsamkeit."
Knuffelkontakte gegen das Alleinsein
In Belgien hat die Regierung für Alleinstehende im Lockdown eine Ausnahme gemacht: Anders als Menschen, die nicht alleine leben, dürfen sie nicht einen, sondern zwei sogenannte "Knuffelkontakte" haben, also zwei Menschen außerhalb des eigenen Haushalts empfangen - nur nicht gleichzeitig. Singles in Deutschland werden bei den Überlegungen der Regierung hingegen kaum berücksichtigt, findet Johanna. "Ich halte die Maßnahmen für wichtig und sinnvoll, aber in manchen Punkten wirken sie auch beliebig und oft so, als würde an Menschen, die alleine leben, einfach nicht gedacht. Deswegen fällt es mir mittlerweile schwer, sie zu respektieren", sagt sie.
Das bestätigt auch Kinnert. Es sei zwar sehr nachvollziehbar und explizit sinnvoll, auf Kontaktvermeidung als erste Maßnahme gegen die Virusverbreitung zu setzen. "Allerdings wird bei diesen Corona-Maßnahmen nicht ausreichend auf die spezifischen Auswirkungen auf unterschiedliche soziale Gruppen geachtet", sagt die Autorin. Gründe sieht sie auch in der Sichtweise von Politikern. "Der Durchschnitt der aktuellen Abgeordneten sieht auf ein bürgerliches Industriezeitalter zurück, in dem Eigentum einen anderen Stellenwert besaß, Wohnraum darum großzügiger bemessen war, ein Haushalt gut und gerne vier bis sechs Personen meinte. Das ist nicht die Realität von heute: Der Wohnungsmarkt zwingt uns in urbane Zellen. Kontaktbeschränkungen haben also ganz andere Auswirkungen als noch vor Jahrzehnten."
Partnersuche in Zeiten des Lockdowns
Und die Partnersuche? Nadja von Saldern, die gemeinsam mit ihrem Mann Clemens eine psychologische Paartherapie-Praxis in Berlin leitet, berät in diesen Tagen auch viele Singles. Die meisten seien es zwar gewohnt, für sich selbst zu sorgen - aber vielen fehle dennoch die Geselligkeit und die Aussicht, beim Abend in der Kneipe vielleicht auch einen potenziellen Partner kennenzulernen. "Viele versuchen deshalb gerade eher, mit sich klarzukommen und sich auf sich zu besinnen. Die Motivation, die Komfortzone zu verlassen, ist eher gering, viele scheinen sich eher phlegmatisch zu verhalten", sagt die Therapeutin. Zudem gebe es für Verabredungen wenige Möglichkeiten. Der Spaziergang im Park sei zwar eine beliebte Option. "Aber danach gibt es nicht viel zur Auswahl außer: Zu dir oder zu mir? Das finde ich problematisch."
Auch sie sorgt sich um die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die seelische Gesundheit von Alleinstehenden. "Viele Überlegungen kommen aus meiner Sicht bei den Kontaktbeschränkungen und den Corona-Maßnahmen zu kurz. Liebe ist immer der Gegenentwurf zu Angst. Ich finde es wichtig, den Menschen diese zu nehmen und ihnen auch Hoffnung zu machen. Viele Menschen müssen gerade auch ohne liebevolle Gesten auskommen, das ist keine leichte Zeit", sagt sie.
Von Saldern rät Singles zu Mut und findet es sinnvoll, trotz des Lockdowns die Suche nach einem Partner nicht aufzugeben. "Gerade jetzt merkt man ja, dass wir sehr soziale Wesen sind und eine enge Bindung zu anderen brauchen", sagt die Therapeutin. Beziehungskompetenzen stärken, Innenschau betreiben, Bücher zum Thema lesen: All das sei eine gute Idee. "Und kleine, liebevolle Gesten im Alltag: Ein festlich geschmücktes Fenster, ein Brief an die beste Freundin, ein Überraschungsgeschenk für die nette Nachbarin - mit solchen Aktionen kann man auch etwas Liebe in sein Leben holen."
Quelle: ntv.de