Urban Gardening bleibt ein Trend "Wer gärtnert, kann verrückte Sorten anbauen"
23.04.2023, 19:24 Uhr
Radieschen gedeihen auch auf dem Balkon.
(Foto: imago images/Hans Lucas)
Der Frühling kommt und es wird gesät und gepflanzt. Das geht auch mitten in der Stadt und ist dort sogar mehr als reine Gemüseproduktion, sagt Anna Meincke. Im ntv-Gespräch erklärt die Autorin des Buches "Stadtgemüse" außerdem, wie viel grünen Daumen es für ein Erfolgserlebnis braucht und warum sie die "Lila Luzi" so gerne mag.
ntv.de: Gerade während der Corona-Pandemie haben viele Menschen das Stadtgärtnern für sich entdeckt. Ist das Interesse inzwischen abgeebbt?
Anna Meincke: Ich habe den Eindruck, dass der Trend ungebrochen ist. Es entstehen auch weiterhin neue Urban-Gardening-Initiativen. Ich glaube, das Thema wird uns noch lange begleiten. Es ziehen ja immer mehr Leute in die Städte und die Menschen sehnen sich nach Grün, nach Naturverbundenheit und danach, etwas mit ihren Händen zu erschaffen. Und da ist Urban Gardening eine tolle Sache, die das alles vereint.
Alleine Gärtnern oder in Gemeinschaft - für wen passt welches Modell?
Das kommt auf die persönlichen Präferenzen an. Wenn es nur um die Ernte geht, dann würde ich lieber alleine gärtnern, weil man im Gemeinschaftsgarten die Ernte meistens auch teilen muss. Aber die Gemeinschaftsgärten haben natürlich den Pluspunkt des sozialen Miteinanders. Man kommt mit Leuten in Kontakt, auch mit Gesellschaftsgruppen, zu denen man vielleicht sonst keine Berührungspunkte hat. Ich glaube, wer da Wert drauf legt oder vielleicht neu in eine Stadt zieht und Leute kennenlernen will, da ist das eine tolle Sache.
Wie könnten mehr Gärten die Stadt der Zukunft verändern?
Meine Vision ist es, die Städte grüner und gleichzeitig essbar zu machen. Also dass wir alle Flächen in der Stadt, die ungenutzt sind oder die man vermeintlich für nichts gebrauchen kann, für den Gemüseanbau nutzen und so die Stadt ganz lokal mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen. Es hat natürlich ganz viele positive Effekte, die Stadt zu begrünen. Das geht los bei der Überhitzung im Sommer, ich kann die Stadt kühlen mit mehr Grün. Beetflächen können bei Starkregen den Regen wegpuffern, sodass die Kanalisation nicht überlastet wird und es nicht zu Überschwemmungen kommt. Und es wird Lebensraum für Insekten geschaffen. Stadtgärtnern macht das Leben in der Stadt lebenswerter und leistet gleichzeitig einen positiven Beitrag für die Umwelt.
Wo überall kann in der Stadt denn gegärtnert werden?
Das geht im ganz Kleinen los mit dem Fensterbrett. Und wenn wir ganz groß denken, dann auf Flachdächern, sofern die Traglast mitspielt. Und hier in Erfurt haben wir zum Beispiel eine alte Gleisanlage in eine Stadtgemüsefarm umgewandelt.
Was kann ich denn im ganz Kleinen, also auf der Fensterbank, züchten?
Man kann sich so kleine Balkonkästen aufs Fensterbrett setzen und zum Beispiel Pflücksalate oder Radieschen anbauen. Viele Kräuter gehen natürlich auch. Es gibt eine ganze Reihe an Blattgemüse, da findet sich einiges, was man da anbauen und ernten kann.
Wie ausgeprägt muss denn mein "grüner Daumen" sein, damit ich ein bisschen was ernten kann?
Ich glaube, nicht so ausgeprägt. Gerade Radieschen und Pflücksalat sind sehr leicht zu kultivieren. Man sät sie aus und muss sie halt ab und zu gießen. Und dann hat man schon nach wenigen Wochen ein Erfolgserlebnis. Wenn es jetzt wärmer wird, brauchen Radieschen vier Wochen, dann kann man schon ernten. Da muss man jetzt nicht monatelang Arbeit reinstecken.
Sie selbst haben vor ein paar Jahren Ihre Gärtnerleidenschaft wiederentdeckt, Ihre Dachterrasse in einen Gemüsegarten verwandelt und dort sogar Auberginen und Brokkoli geerntet. Das klingt jetzt nicht gerade nach Anfängerpflanzen - welche wären das denn?
Ja, genau, Auberginen und Brokkoli sind durchaus ein bisschen anspruchsvoller. Und sie brauchen ein bisschen mehr Platz als das Fensterbrett. Ich würde erst mal mit Radieschen anfangen. Erbsen und Spinat sind auch immer sehr dankbar für den Einstieg. Das sind alles Pflanzen, die nicht wahnsinnig viel Platz und Pflege brauchen und relativ schnell wachsen.
Wenn ich mit dem Gärtnern anfangen möchte, was benötige ich für den Start als Ausrüstung?
So viel braucht man gar nicht. Man hat ja im Idealfall zwei Hände. Und dann braucht man nur ein Gefäß. Und man muss gar keine speziellen Pflanzgefäße kaufen, sondern kann irgendwelche ausgemusterten Alltagsgegenstände umwandeln. Zum Beispiel eine alte Konservendose. Ein alter Putzeimer tut's auch. Und dann brauche ich im Wesentlichen Erde und Saatgut. Zum Gießen kann ich auch eine Teekanne nehmen. Also eigentlich: Gefäß, Erde, Saatgut und los geht's!
Gibt es ein Gemüse, das bei Hobbygärtnerinnen und -gärtnern besonders beliebt ist?
Ein Dauerbrenner sind natürlich Tomaten. Die sind beliebt, weil es da einfach so eine schöne Vielfalt gibt. Und der Geschmacksunterschied zwischen Supermarkt und selbst angebauter Tomate ist einfach sehr groß, da merkt man am deutlichsten die Qualitätsunterschiede.
Haben Sie persönlich ein Gemüse, das Sie besonders gerne anbauen?
Mein persönliches Trendgemüse ist zum einen die Zitronengurke. Die ist rund und gelb, sieht aus wie eine Zitrone, schmeckt aber wie eine Salatgurke. Und zum anderen "Lila Luzi", eine Regenbogen-Chili, die hat am Anfang lila Schoten und im Reifeprozess werden sie erst weiß, dann gelb und am Ende rot. Und weil man verschiedene Reifegrad an der Pflanze hat, sind dort alle Farben dran und das sieht total schön aus.
Das klingt nicht nach den üblichen Verdächtigen, die im Supermarktregal liegen.
Nutzpflanzenvielfalt ist ein Leidenschaftsthema von mir. Beim Artensterben denken wir ja immer an einen Eisbären auf einer Eisscholle. Aber das betrifft natürlich auch Pflanzen. Seit der Industrialisierung sind schon 75 Prozent der Nutzpflanzen ausgestorben, weil sie nicht mehr in die industrielle Landwirtschaft passen. Und das ist schade, weil sich da ein Genpool hinter verbirgt, der wichtig sein kann, um uns an die Klimawandelfolge anzupassen. Und es gibt total viele tolle Sorten, auch Sorten, die vom Aussterben bedroht sind, mit denen man rumexperimentieren kann, also zum Beispiel Palmkohl oder Haferwurzel. Und wenn man selber gärtnert, kann man sich natürlich ganz viele tolle, verrückte Sorten anbauen, die man im Supermarkt niemals finden würde.
Mit Anna Meincke sprach Katja Sembritzki
Quelle: ntv.de