
Charmant zitieren Yannick Vu und Ben Jakober Bekanntes, wie hier mit den "Golden Idols".
(Foto: Courtesy of Ben Jakober and Yannick Vu)
Wann endet die Leidenschaft, Kunst zu sammeln? Kann die Beschäftigung mit Kunst über den Verlust eines Kindes hinweghelfen? n-tv hat Yannick Vu und Ben Jakober im Museum Sa Bassa Blanca besucht. Auf Mallorca haben die beiden Künstler unfassbaren Schmerz in einen besonderen Ort für ihre Tochter umgewandelt.
Am Ende der Insel liegt das Museum Sa Bassa Blanca mitten in einem mallorquinischen Naturschutzgebiet mit Blick aufs Meer - bezaubernder geht es kaum. Der Besucher trifft in unterirdischen Räumen auf Porträts von Kindern aus unterschiedlichen Epochen ab dem 16. Jahrhundert. Die "Nins", wie das Ehepaar Vu und Jakober diese außergewöhnliche Sammlung nennt, schauen den Betrachter direkt an - mal fordernd, mal scheu. Ihre Haltung, Kleidung, Gegenstände, Früchte oder Tiere, die mit ihnen auf den Bildern zu sehen sind, erzählen Spannendes aus anderen Zeiten in Europa. Die adeligen Kinder erleben hier eine Renaissance, zumal die Sammler ihre teilweise verschütteten Identitäten klären ließen. Diese private Sammlung lässt in Qualität und Dichte Museumsdirektoren aus aller Welt vor Neid erblassen. Immerhin reisen die Nins hin und wieder in andere internationale Museen.

"Die Nins sind unserer Tochter gewidmet." Yannick Vu und Ben Jakober in der unterirdischen Zisterne, jeder Raum wird genutzt
(Foto: Courtesy of Ben Jakober and Yannick Vu)
Aber nicht nur die Nins locken an diesem Ort gut 20 Minuten von Alcudia entfernt: Im ehemaligen Wohnhaus und dem parkähnlichen Garten zeigen Ben Jakober und Yannick Vu ihre Kunstsammlung. Gekonnt kombinieren sie diese mit eigenen Objekten. Die von ihnen geschaffenen Skulpturen stehen in Saint Paul de Vence oder in Palma am Flughafen und waren in Venedig auf der Biennale zu sehen. Inzwischen entwerfen sie nur noch sehr exklusiv für eine Hotelgruppe und ihren Museumspark. Diese Mischung aus hochkarätigen Kunstwerken und Fundstücken aus der ganzen Welt mit ihren eigenen Kunstwerken ist faszinierend. Charmant zitiert das Künstlerpaar andere, berühmte Kunstschaffende. Das Lippen-Sofa aus rotem Granit an der Eingangstür etwa erinnert an eine flauschigere Variante, die einst Salvador Dalí kreiert hat. Vieles hier wirkt in diesem privaten Rahmen sehr vertraut.
Ben Jakober öffnet gut gelaunt, trotz eines Hexenschusses, die Tür zum weißen Museumsbau. In den 80er-Jahren hatten er und seine Frau den ägyptischen Architekten Hassan Fathy beauftragt, dieses Haus zu bauen: Mallorquinischer Naturstein trifft auf Ornamente aus Marokko und Sevilla. Bestechend schön. Innenhöfe, Springbrunnen, Säulengänge und steinerne Treppen wirken wie aus den Geschichten aus 1001 Nacht. In einem kleineren Teil des Hauses wohnen und arbeiten sie in unterschiedlichen Ateliers. So viel sei verraten: Ihres ist sehr ordentlich, nur die Wände sind vollgehängt mit ihren Zeichnungen. Sein Studio ist unübersichtlicher und an der Wand über seinem Schreibtisch hängen Fotos von bereits verstorbenen Freunden. "Es werden immer mehr."

Wie aus den Geschichten aus 1001 Nacht - die Museumsarchitektur von Hassan Fathy.
(Foto: Courtesy of Ben Jakober and Yannick Vu)
Wer ist der 91-jährige Ben Jakober? "Ich weiß es nicht, das werden Sie herausfinden, wenn ich tot bin", sagt er scherzhaft. Jakober ist Objektkünstler, aber auch Sammler, Museumschef und Stiftungsgründer. Bis 1968 war er Banker bei Rothschild in Paris, bevor er sich autodidaktisch zum Bildhauer wandelte. Er kam in Wien als ungarischer Jude zur Welt und hatte das Glück, dass er und seine Eltern zunächst über Prag schließlich 1939 nach London emigrieren konnten. Was treibt ihn an? "Das ist so einfach und doch so schwierig. Wir haben in diesem Haus gelebt, es stand für Familie und Freunde offen. Als unsere Tochter starb, änderte sich alles." Mit 19 verunglückte sie tödlich bei einem Motorradunfall. "Wir entschieden uns, diesen Ort dem Publikum zu öffnen." Und seine Frau fügt hinzu: "Nach dieser Tragödie haben wir 1993 die Stiftung gegründet, die Nins sind ihr gewidmet."
Lieber ins Museum als in die Kirche
Kunst hat heilende Wirkung, davon ist die 79-Jährige überzeugt. "Meine Eltern waren katholisch, aber sie haben sich geweigert, mich religiös zu erziehen." Die Mutter war Pianistin, stammte aus der Bretagne, der Vater war ein bekannter Bildhauer aus Hanoi. Vu wuchs in Frankreich in einer Welt voll mit kunstsinnigen Menschen auf. "Wenn ich ein Problem hatte, ging ich ins Museum und nicht in die Kirche. Hier fand ich Antworten auf meine Fragen, auch auf die nach meiner Identität." Sie wollte Geschichte verstehen, aber aus "der Perspektive von Frauen und Kindern und nicht so, wie wir es in der Schule gelernt hatten. Da ging es immer nur um Schlachten und Kriege."

Ein Pferd auf Reisen. Das Pferd des Künstlerpaares war 1993 bei der Biennale in Venedig dabei.
(Foto: Courtesy of Ben Jakober and Yannick Vu)
Auch ihr Mann war eher im Museum oder in der Oper als in Gotteshäusern zu Gast. Ihr einziges Kind zu verlieren, hat ihr Weltenbummler-Leben radikal entschleunigt und sie enger zusammen geschweißt. "Andere Ehen zerbrechen an so einer Tragödie", sagt sie nachdenklich. Die Kunst und die Stiftung legten den Fokus auf andere Themen als den unvorstellbaren Verlust. "Als wir anfingen zu sammeln, haben wir das nicht kommen sehen", ergänzt Jakober. "Die Gründung der Stiftung war ein Prozess und hat uns Lebensführung gegeben." Und Yannick fügt hinzu: "Was gibt es Schöneres im Leben, als zu lernen und seine Gewohnheiten immer neu zu überdenken?"
Jetzt teilen sie alles, was sie gesammelt haben, mit fremden Menschen, schenken ihnen geglückte Erinnerungsmomente. Stundenlang kann sich das Publikum auf dem großzügigen Gelände, im Garten und in verschiedensten Ausstellungen treiben lassen, schließlich im Café Paloma eine Pause einlegen. "Das ist uns erst vor Kurzem genehmigt worden", erzählt Ben Jakober nicht ohne Stolz. "Es ist verrückt, wie lange das gedauert hat. Ich glaube, wir bringen das Ganze jetzt langsam zum Ende. Wir haben hier etwas Einzigartiges geschaffen. Das bleibt jetzt so, auch weil wir keinen Zentimeter mehr anbauen dürfen."
Die Sammlung ist also zwangsweise vollständig? "Nein, aber es war ein Fehler, nicht noch mehr zu kaufen", räumt Jakober lachend ein. Alles Geld, was zum Beispiel auch mit den Installationen für die Hotels eingenommen wird, fließt in die Stiftung. Die Sammlerleidenschaft wurde gezähmt zugunsten ihres Lebenswerkes. "Wir investieren nicht in Schmuck, Autos oder Handtaschen. Die Kunst, die wir gekauft haben, musste immer zu uns passen." Dieser besondere Dialog der Kunstwerke aus Europa, Afrika und Asien ist überraschend gelungen. Das Museum ist eine Wundertüte, in der ständig Neues und noch Verblüffenderes zum Vorschein kommt.
Gedanken an Yoko Onos Wunschbaum
Die letzte Neuerung ist das Café. Ein zusätzlicher Ort für gute Gespräche, um beispielsweise der einmaligen Energie des Museums nachzuspüren. Gekocht wird hier nach Rezepten von Yannick Vu. Beim gemeinsamen Lunch erwähnt sie ihr Kochbuch, an dem sie schreibt. Es wird eine Mischung aus Biografie und Rezepten, die ihr wichtig sind, hoffentlich erscheint es bald. Die beiden blicken auf ein glamouröses Leben zurück, zwischen Mallorca und Marrakesch, Paris und Tahiti, garniert mit allerlei Freundschaften zu Künstlerinnen wie Yoko Ono, der Witwe von John Lennon. An deren ikonischem Wunschbaum, der im Garten des Museums wächst, kann jeder seine Gedanken hinterlassen.

Museum als Wundertüte. Der Apfel ist von Domenico Gnoli, dem ersten Mann von Yannick Vu.
(Foto: Courtesy of Ben Jakober and Yannick Vu)
Die letzten drei Jahre hat das Paar ausführlich mit der Yannick und Ben Jakober Stiftung befasst, um das Bestehen zu sichern. "Wir haben immer viel gearbeitet, aber diese Zeit war schon sehr intensiv. Das Ziel ist es, alles, was hier ist, zu teilen." Hat die Pandemie die Arbeit erschwert? "Nein, aber vielleicht wurde uns die Wichtigkeit, der Dinge, die wir hier tun und auch die Dringlichkeit bewusster. Covid-19 hat uns alle gestoppt und nun haben wir das Gefühl, man muss das Beste aus seinem Leben herausholen."
Besonders wichtig ist Yannick Vu im Moment auch eine große Ausstellung von Domenico Gnoli in der Mailänder Fondazione Prada. Mit Gnoli war sie in erster Ehe verheiratet. Gerade wurde die Retrospektive in Mailand eröffnet. Der italienische Maler ist etwas in Vergessenheit geraten. Vor ein paar Jahren "kamen Miuccia Prada und ihr Mann Patrizio Bertelli mit ihrem Privatjet angeflogen und haben uns hier besucht. Als sie in dem Raum mit unseren Gnolis standen, wollten sie uns alle abkaufen", erinnert sich Ben Jakober. Daraus wurde natürlich nichts, erzählt er vergnügt. Dafür gibt es nun diese große Retrospektive. Die Karriere von Domenico Gnoli nahm mit der 4. Documenta in Kassel Schwung auf. Seine realistischen Bilder fielen zwischen der aufkommenden Pop-Art auf. Zwei Jahre später, 1970, starb er überraschend mit nur 36 Jahren.
Sammler müssen geduldig sein

Die Kunstenthusiasten haben auf Mallorca ein bezauberndes Museum geschaffen.
(Foto: Courtesy of Ben Jakober and Yannick Vu)
Sein Archiv verwaltet Yannick Vu hier im Museum Sa Bassa Blanca. "Als ich Domenico kennenlernte, war Ben sein bester Freund und der große Verführer", sagt sie schmunzelnd. Klingt fast wie im Märchen, dass die beiden später heirateten. "Die Bibel sagt, wenn dein Bruder stirbt, musst du die Witwe heiraten, das habe ich getan", schmunzelt er. Heute nach fast 50 Jahren Ehe ist "Ben die Liebe meines Lebens". Und was bedeutet Yannick für ihn? "Keine Alternative", antwortet er schnell, fast typisch für ihn in unserem Gespräch. Kurze, prägnante Sätze, die schnell zum Kern kommen und den Zuhörerinnen dabei ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Yannick Vu hingegen kann wunderbar Geschichten erzählen und man möchte ihr ewig zuhören. Ihr Mann bremst sie, erinnert, dass hier kein Buch geschrieben werden soll. Beide sind sympathische, offene Kunstenthusiasten aus vollem Herzen. Die Arbeit für die Stiftung hat ihre Trauer gemildert. Das erste Bild der Nin-Sammlung hat Yannick Wu übrigens in einer Ausstellung hier auf Mallorca gesehen. Leisten konnte sie sich das Gemälde damals nicht. "Als Sammler muss man geduldig sein", rät sie. Zehn Jahre später, 1972, kaufte sie gemeinsam mit Ben Jakober das Kinderporträt. Es wurde zum Grundstein für dieses einmalige Museum am Ende der Insel.
Das Museo Sa Bassa Blanca ist auch virtuell einen Besuch wert, alle Informationen finden sich hier
Die Domenico Gnoli Retrospektive ist bis zum 27. Februar 2022 in Mailand in der Fondazione Prada zu sehen.
Quelle: ntv.de