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Fünfzig Jahre ist es her, vergessen ist es nicht: das Blutbad, das britische Soldaten 1972 in der nordirischen Stadt Derry verüben.
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Der 30. Januar 1972 geht als Bloody Sunday in die Geschichte ein, er wird zum Kristallisationspunkt des Nordirland-Konflikts.
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Dessen Wurzeln reichen weit zurück. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch England wird Irland 1921 unabhängig - muss im Anglo-Irischen Vertrag aber auf sechs Grafschaften verzichten.
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Dort, in Nordirland, werden die Katholiken systematisch diskriminiert. In den 1960er-Jahren entsteht eine Bürgerrechtsbewegung, die sich für die Gleichberechtigung der Katholiken einsetzt.
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Außerdem formiert sich 1969 die "Provisional IRA", die gemeinhin nur IRA genannt wird. Sie versteht sich als Nachfolgerin der irischen Widerstandskämpfer des Unabhängigkeitskrieges. "Irisch-Republikanische Armee" nannten sich auch die Truppen, die zwischen 1919 und 1921 gegen die Engländer gekämpft hatten.
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Der Bloody Sunday beginnt als Bürgerrechtsmarsch in der Bogside, einem katholischen Viertel der Stadt Derry, die von Unionisten "Londonderry" genannt wird. Ungefähr um 16 Uhr eröffnen britische Fallschirmjäger das Feuer gegen einen unbewaffneten 15-Jährigen.
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Innerhalb von zehn Minuten werden dreizehn Teilnehmer der Demonstration - alles Männer - von Soldaten erschossen. Ein weiteres Opfer stirbt später an seinen Verletzungen. Keiner von ihnen ist bewaffnet. Sechs von ihnen sind 17 Jahre alt, einer ist 19.
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Dass die Schüsse unrechtmäßig und verbrecherisch sind, ist offenkundig: Mindestens drei der Opfer werden von hinten getötet. Mehrere der Männer werden aus nächster Nähe erschossen. Einer hält die Hände hoch und ruft "nicht schießen".
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Durch das Massaker eskaliert der Nordirlandkonflikt noch weiter. Hunderte Freiwillige schließen sich der Terrororganisation IRA an. Das Jahr 1972 wird zum blutigsten des als "Troubles" bezeichneten Konflikts in der Provinz.
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"Bloody Sunday nahm den Menschen das Gefühl, dass sie in einer demokratischen Gesellschaft leben, in der Wandel möglich ist und in der das Rechtsstaatsprinzip ein wichtiges Konzept ist", sagt Paul O'Connor vom Pat Finucane Centre in Derry, einer Interessenvertretung für Hinterbliebene von Gewaltopfern.
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Der einzige Ausweg für die in der nordirischen Gesellschaft benachteiligten Katholiken scheint damals eine Wiedervereinigung mit dem Süden - notfalls mit Waffengewalt.
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Fünf Jahrzehnte später sind die Wunden noch immer nicht geschlossen. Schlimmer noch: Sie drohen wieder aufzureißen. Denn obwohl der damalige Premierminister David Cameron im Jahr 2010 nach Abschluss einer zwölf Jahre dauernden Untersuchung die Unschuld der Demonstranten und das Fehlverhalten der Armee eingesteht, wurde bis heute kein einziger der 15 beteiligten Soldaten verurteilt.
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Und nun plant die Regierung in London auch noch ein Gesetz, das jegliche Strafverfolgung, Zivilprozesse oder auch nur öffentliche Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt unmöglich machen soll.
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Dabei ist das Bedürfnis nach Aufarbeitung riesig: Der Konflikt zwischen den meist katholischen Befürwortern der Wiedervereinigung - den Republikanern oder Nationalisten - …
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… und den überwiegend protestantischen Anhängern der Union Nordirlands mit Großbritannien - den Unionisten oder Loyalisten - …
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… kostet zwischen 1968 und 1998 mehr als 3600 Menschen beider Seiten das Leben - meist durch die Hand von Paramilitärs wie der IRA oder der protestantischen Terrorgruppen.
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Noch immer markiert vielerorts die Farbe der Bordsteinkanten, ob man sich gerade in einem katholischen oder (wie hier) in einem protestantischen Viertel befindet.
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Mit dem Gesetzesvorhaben sollen Veteranen vor "rechtsmissbräuchlichen Verfahren" geschützt werden, sagt Premierminister Boris Johnson im vergangenen Sommer im Parlament in London. Außerdem werde den Menschen die Möglichkeit gegeben, "einen Strich unter die Troubles" zu ziehen.
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Tatsache ist aber, dass außer Johnsons Tory-Partei diese Pläne praktisch niemand unterstützt. Weder die nordirischen Parteien, egal auf welcher Seite, noch die irische Regierung oder die Überlebenden und Hinterbliebenen.
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Der Regierungschef der Republik Irland, Micheàl Martin, bezeichnet das Vorhaben erst Mitte Januar als "Verrat an den Opfern aller Gewalt". Die Regierung in London habe die Aufarbeitung schon viel zu lange verschleppt, kritisiert er.
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Die harschen Worte spiegeln das Verhältnis zwischen Dublin und London wider: Es sei so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr, sagt die Konfliktforscherin Katy Hayward von der Queen's University Belfast. Schuld daran ist vor allem der Brexit.
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Die Grenze zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der irischen Insel gleicht während des Bürgerkriegs einem Bollwerk mit Türmen und Stacheldraht.
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Das ändert sich mit dem Friedensschluss durch das Karfreitagsabkommen 1998 - die Trennlinie wird beinahe unsichtbar. Die Ungleichbehandlung von Protestanten und Katholiken nimmt ab. Das Leben unter britischer Herrschaft scheint damals wieder möglich.
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Doch das droht der EU-Austritt Großbritanniens zunichte zu machen: Kontrollen werden plötzlich wieder nötig, weil die irische Grenze zur EU-Außengrenze wird. Das zu verhindern, erweist sich als extrem schwierig.
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Die damalige Premierministerin Theresa May versucht, die Quadratur des Kreises zwischen den Forderungen der Brexit-Anhänger in London und den beiden Konfessionen in Nordirland sowie der EU zu finden - und scheitert.
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Ihr Nachfolger Johnson hält sich damit nicht lange auf. Er schließt gegen den Widerstand der protestantischen Parteien ein Abkommen mit Brüssel, dessen Konsequenz - eine Warengrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs - er umgehend abstreitet und inzwischen versucht, wieder rückgängig zu machen.
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Das sogenannte Nordirland-Protokoll ist seitdem Zankapfel zwischen London und Brüssel - mit ungewissem Ausgang. Das Ergebnis ist, dass laut Umfragen nur vier Prozent der Menschen in Nordirland - gleich welcher Konfession - noch Vertrauen in die nationale Regierung in London haben.
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Was das alles für den Friedensprozess bedeutet? "50 Jahre nach Bloody Sunday ist die Frage der Wiedervereinigung Irlands so sehr auf der Tagesordnung wie noch nie seither", sagt O'Connor. (hvo/dpa)
Nordirland-Konflikt Die Wunden des Bloody Sunday bluten wieder
Vor fünf Jahrzehnten töten britische Fallschirmjäger im nordirischen Derry friedliche Demonstranten. Durch den Brexit und das Verhalten des britischen Premierministers reißen die alten Wunden heute wieder auf.
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